Therapie myelodysplastischer Syndrome (MDS)

Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind  klonale Stammzellerkrankungen des höheren  Lebensalters (Altersmedian > 60 Jahre)  mit peripherer Zytopenie (meist therapierefraktäre  Anämie) und hyperzellulärer, dysplastischer  Knochenmarkveränderung. In den  letzten Jahren konnten neben der Diagnostik  und Prognoseabschätzung mit neuen Therapieoptionen  bedeutende Fortschritte erzielt  werden: 

Prognose- und  Risikoabschätzung

Gemäß der WHO-Klassifikation (2008) und  Prognosescores (IPSS,1997, und WPSS,  2005), die vorwiegend den Grad der Zytopenie,  medullären Blastenanteil, den Transfusionsbedarf  und die Chromosomenveränderungen  der Hämatopoese berücksichtigen, kann die  Prognose des einzelnen Patienten abgeschätzt  werden. Wir können somit Patienten identifizieren  (Low Risk/Intermediate I), bei denen  ein langer Krankheitsverlauf wahrscheinlich  ist, und Patienten (Intermediate II/High Risk)  mit kurzer Überlebenswahrscheinlichkeit (unter  12 Monaten).
Zusätzlich müssen jedoch vor einer Therapieentscheidung  der Allgemeinzustand und die  Komorbiditäten des Patienten beachtet werden. 

Therapie von  Niedrigrisiko-Patienten

Bei der Mehrzahl der alten MDS-Patienten  (medianes Alter: 75 Jahre) sind palliative  Therapiestrategien indiziert. Supportive Therapien  mit Erythrozytenkonzentraten oder  Wachstumsfaktoren (Erythropoetin 150–300  U/kg 3 x/Woche s. c., ev. mit G-CSF) können  bei Niedrigrisiko-Patienten eingesetzt werden.  Prädiktive Faktoren für das Therapieansprechen  sind:
1. endogener Erythropoetinspiegel  < 200 (500) IE/ml oder
2. geringe Transfusionsabhängigkeit (maximal  2 EK [Erytrozytenkonzentrate] in  8 Wochen).

Da jedoch die Eisenüberladung (bei hohem  Transfusionsbedarf) einen prognostisch ungünstigen Faktor darstellt, sollte  bei diesen Patienten an eine  Eisenchelator-Therapie gedacht  werden. Bei Patienten, die Desferal  ® nicht oder ungenügend tolerieren,  steht ein oral wirksamer  Eisenchelator, Deferasirox (Exjade  ®), zur Verfügung mit hoher  Selektivität für dreiwertiges Eisen.  Ein weiteres therapeutisches  Konzept ist die immunmodulierende-  bzw. immunsuppressive  Therapie (z. B. mit Cyclosporin  oder Antithymozytenglobulin wie  bei der aplastischen Anämie). Auch die immunmodulierenden  Substanzen Thalidomid  bzw. der CD52-Antikörper Campath erbrachten  bei MDS-Patienten ohne Blastenvermehrung  gute Stabilisierungen. Das orale Thalidomid –  analogon Lenalidomid (Revlimid®) zeigte besonders  bei MDS-Patienten mit einer singulären  oder komplexen Chromosomenaberration des  Chromosoms 5 (5q-Deletionen) eine hohe  Ansprechrate. Mit einem Ansprechen von  über 60 % und einer Normalisierung der pathologischen  Chromosomenbefunde bei ca.  40 % stellt diese Substanz eine wirksame  und nebenwirkungsarme Alternative dar. Die  Lebensqualität der MDS-Patienten wurde  damit signifikant verbessert. Ob Lenalidomid  auch bei anderen MDS-Subgruppen (ev. in  Kombination) verbesserte Remissionsraten  ermöglicht, wird derzeit in Studien überprüft.  Eine mögliche Option stellt auch die Therapie  mit Valproinsäure dar, einem Histon-Deacetylase-  Inhibitor (HDAC-Inhibitor), der in steigender  Dosierung (beginnend mit 500 mg/d)  verabreicht wird (diese Substanz ist jedoch  für MDS-Patienten nicht registriert). Die Effektivität  anderer HDAC-Hemmer wird derzeit  ebenfalls in klinischen Studien überprüft.

Therapie von  Hochrisiko-Patienten

Eine intensive AML-Induktionstherapie ist bei  diesen überwiegend alten Patienten meist  sehr toxisch und selbst komplette Remissionen  sind nur von kurzer Dauer. Diese Therapie  kann vor einer Transplantation sinnvoll sein,  muss jedoch im Einzelfall genau überlegt werden. 

Epigenetische Therapie: Ein neues therapeutisches  Prinzip ist die epigenetische Therapie  der DNA-Demethylierung: Tumor-(Leukämie-) –  Zellen zeigen bezüglich ihres DNA-Methylierungsmusters  ein spezifisches Verhalten, z. B.  wird die DNA-Methyltransferase hochreguliert.  Zwei neue Substanzen, 5-Azacytidin (Vidaza®,  seit 2008 in Europa zugelassen) und 5-Aza-  2-Deoxycytidin (Decitabin), sind aufgrund  dieses Wirkungsprinzips bei MDS-Patienten  eingesetzt worden. Beide zeigen – bei geringer  Nebenwirkungsrate – ein gutes Ansprechen,  das jedoch manchmal erst nach Monaten  Therapiedauer sichtbar wird. Besonders Hochrisiko-  MDS-Patienten mit komplexem Karyotyp  konnten in Remission gebracht werden und  in Studien signifikante Überlebensvorteile erreichen.  Diese Therapiekonzepte mit reduzierter  Nebenwirkungsrate sind besonders auch als  Vorbereitung einer Stammzelltransplantation  interessant.
5-Azacytidin ist für
1. MDS mit IPSS Int-2/High Risk
2. AML (bis 30 % Blasten) und multi –  lineärer Dysplasie
3. und CMML < 13 G/l Leukozyten  (dysplastische Variante) zugelassen.

Kombinationen von DNA-methylierenden Substanzen  mit anderen neuen Medikamenten  (z. B. Histondeacetylase-Inhibitoren) werden  ebenfalls in Studien geprüft. 

Lenalidomid bei CMML: Da es für die chronisch-  myelomonozytäre Leukämie (eine myelodysplastische/  myeloproliferative Erkrankung)  keine Standardtherapie gibt, wurde in Österreich  eine klinische Studie mit Lenalidomid  initiiert, die interessante Ergebnisse bringen  wird. 

Kurative Therapie  bei MDS

Das einzige kurative Therapiekonzept für MDSPatienten  stellt heute die allogene Stammzelltransplantation  (von einem [möglichst HLAidenten]  Familien- bzw. Fremdspender) dar.  Vor der Transplantation sollte, wenn es der  Allgemeinzustand des Patienten erlaubt,  mittels einer AML-Induktion eine Remission  erzielt werden. Auch bei älteren Patienten  mit „Hochrisiko“-MDS können durch neue dosisreduzierte  Konditionierungs-Schemata Transplantationen  erfolgreich durchgeführt werden,  trotzdem ist die Stammzelltransplantation  nach wie vor durch eine Mortalitätsrate von  10–30 % gekennzeichnet. Daher ist eine  frühzeitige Evaluierung notwendig, welcher  Patient wann transplantiert werden soll, und  eine HLA-Austestung des Patienten und seiner  Geschwister bei diesen Erkrankten rasch anzustreben. 

ZUSAMMENFASSUNG: In den letzten Jahren  haben zahlreiche neue Entwicklungen in der  Diagnostik und Therapie der myelodysplastischen  Syndrome stattgefunden. Daher sollte  jeder Patient mit Verdacht auf MDS einem  hämatologisch-onkologischem Zentrum vorgestellt  werden, das eine umfassende Diagnostik  mit Risikoeinschätzung durchführt  und ein Therapiekonzept erstellt. Eine MDSPlattform  (von österreichischen MDS-Spezialisten)  im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft  für Hämatologie und Onkologie  (www.oegho.at) wurde gegründet, um Ärzte  und Patienten über neue Therapieoptionen zu  informieren.

FACT-BOX
• Neue Klassifikationen (WHO 2008) und  Prognosescores (IPSS/WPSS) charakterisieren  das Risiko einzelner MDSSubtypen  besser.  • Die Komorbidität stellt einen wichtigen  Faktor für die Therapieentscheidung  dar.  • Bei Niedrigrisiko-MDS sollte der  Eisenüberladung Beachtung geschenkt  werden. Erythropoetine sind indiziert,  Lenalidomid ist die Therapieoption für  das 5q-Syndrom.  • Bei Hochrisiko-MDS ist Vidaza® eine  gute Therapieoption; auch bei älteren  Patienten sollte an die Möglichkeit der  (kurativen) dosisreduzierten Stammzelltransplantation  gedacht werden.