Therapie von Nausea und Emesis bei Tumorpatienten

Geschätzt die Hälfte aller Krebspatienten haben im Laufe ihrer Erkrankung mit Nausea und Emesis zu kämpfen, entweder durch die Erkrankung selbst oder aber durch die Behandlung derselben. Ursachen hierfür sind nicht nur systemische Therapien wie z. B. Chemotherapie (chemotherapieinduziertes Erbrechen [CINE] = chemotherapieinduzierte Nausea und Emesis), sondern auch durch die Erkrankung ausgelöste organische Veränderungen im Körper des Patienten. Das richtige Erkennen der Ursache für Nausea und Emesis stellt die Grundlage für die gezielte Behandlung dieser leidvollen Symptome dar. In einer Übersicht werden hier die wesentlichen Antiemetika sowie die zielgerichtete Behandlung von Nausea und Emesis erörtert.

Definition und Mechanismen

Nausea ist eine mit dem Drang zu Erbrechen verbundene Empfindung, welche von kortikalen Bereichen ausgeht und von vegetativer Symptomatik begleitet wird.

Emesis stellt einen komplexen Fremdreflex dar, der durch periphere und zentrale Afferenzen oder direkte Aktivierung der Chemorezeptortriggerzone ausgelöst wird. Dies resultiert in explosionsartigem Auswurf von Mageninhalt durch Kontraktionen von Abdominal- und Thoraxwandmuskulatur.

Das Erbrechen wird durch zwei Bereiche im Hirnstamm kontrolliert: dem Brechzentrum in der Formatio reticularis in der Medulla oblongata sowie der Chemorezeptortriggerzone in der Area postrema. An der Empfindung von Nausea und Emesis ist vermutlich der Cortex cerebralis beteiligt.

Das Brechzentrum in der Medulla oblongata ist ein diffuses neuronales Netzwerk innerhalb der Blut-Hirn-Schranke, das als „Schrittmacher“ und Koordinator für das Erbrechen dient. Es enthält Rezeptoren für 5-HT2, Acetylcholin (ACH), Opioide (µ), Histamin (H1) und Neurokinin (NK1).

Die Chemorezeptortriggerzone (CTZ, Area postrema) liegt am Boden des 4. Ventrikels im Gehirn, das außerhalb der Blut-Hirn-Schranke liegt. Die CTZ enthält Rezeptoren für Dopamin (D2), Serotonin (5-HT3), Acetylcholin (ACH) und Neurokinin (NK1).

Verschiedene Neurotransmitter sind daher an der Entstehung von Nausea und Emesis beteiligt. Die Blockade dieser Neurotransmitter kann daher das Auftreten von Nausea und Emesis verhindern oder abschwächen.

Die Reizung des Brechzentrums führt über Aktivierung des motorischen, parasympathischen und sympathischen Nervensystems zum Erbrechen.

Differenzialdiagnose des Erbrechens

Gerade bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung ist es besonders wichtig, Überlegungen anzustellen, welche Ursachen für Übelkeit und Erbrechen in Frage kommen könnten. Eine genaue differenzialdiagnostische Analyse ergibt oft wichtige Hinweise für auslösende Faktoren oder zusätzliche Auslöser von Nausea und Emesis.

Diagnostische Maßnahmen

Zur genaueren Differenzierung des Erbrechens sowie zur Erhebung der Ursache sind einige diagnostische Untersuchungen unerlässlich. Eine gründliche Anamnese und genaue körperliche Untersuchung lassen oft schon Rückschlüsse über die Genese des Erbrechens zu. Das Labor sollte neben den Routineparametern (Blutbild, klinische Chemie, CRP) auch den Eisenstatus und die Pankreasenzyme erfassen. Bei Vorliegen von Diarrhö ist an eine Stuhlkultur zu denken. Zur weiteren Abklärung dienen auch bildgebende Verfahren (Abdomen leer, CT-Abdomen, CCT etc.). Bei anhaltender Übelkeit oder Verdacht auf Ulzera sollte auch an eine endoskopische Untersuchung gedacht werden.

Komplikationen von Nausea und Emesis

Die häufigste Komplikation von Nausea und Emesis ist die Dehydratation, der generell mit intravenöser Flüssigkeitssubstitution entgegengewirkt werden kann. Regelmäßiges Erbrechen führt in der Folge zu Mangelernährung, Karies und sogar zur metabolischen Alkalose. Nicht selten leiden Patienten mit rezidivierendem Erbrechen an Aspirationspneumonien.

Non-Compliance unter Chemotherapie, bedingt durch Nausea und Emesis, führt zu schlechteren Ansprechraten und somit verkürztem Gesamtüberleben.

Therapie des Erbrechens

Symptomorientierte Therapie: Eine wichtige Säule in der Behandlung von Emesis stellt die intravenöse Rehydrierung dar.

Danach sollte die Ursache eliminiert werden. Falls dies nicht gelingt, gelangen Medikamente zur Unterdrückung des auslösenden Reizes zum Einsatz.

Therapie durch Antiemetika: Antiemetika vermindern bzw. blockieren die Wirkung von emetogenen Substanzen an den entsprechenden Rezeptoren. Sie können entsprechend ihrem Wirkort (Tab. 1) oder ihrer Substanzklasse eingeteilt werden. Die Affinität der Antieme­tika zu den jeweiligen Rezeptoren ist unterschiedlich. Einige Antiemetika binden sogar an mehrere Rezeptoren, sodass sie ein breiteres Wirkungsspektrum aufweisen.

Häufig angewandte Antiemetika

Levomepromazin (Nozinan®): Wirkort: D2-, H1-, Muskarin- und 5-HT2-Rezep­toren.

Indikation: starke, anhaltende Übelkeit, therapierefraktär, Antiemetikum der 2. Wahl

Dosierung: 5 bis 10 mg p. o. bzw. s. c.

Cave: Parkinsonismus, Hypotonie und Epilepsie, stark sedierend, anticholinerg, QT-Zeit-Verlängerung.

Haloperidol (Haldol®): Wirkort: D2-Rezeptor.

Indikation: arzneimittelinduziertes Erbrechen (v. a. durch Opioide); Emesis durch Elektrolytstörungen.

Nebenwirkungen: extrapyramidale Symptome, tarditive Dyskinesien, Hypotonie, Leberfunktionsstörungen, Blutbildveränderungen, malignes neuroleptisches Syndrom, QT-Zeit-Verlängerung.

Dosierung: 1,5–3 mg p. o. (bzw. s. c. möglich, aber nicht zugelassen). Cave: M. Parkinson.

Metoclopramid (Paspertin®): Wirkort: D2-, 5-HT3- und 5-HT4-Rezeptoren.

Indikation: Emesis bedingt durch Gastrostase, Chemotherapie oder Bestrahlung.

Nebenwirkungen: Benommenheit und Ruhe­losigkeit, malignes neuroleptisches Syndrom.

Dosierung: 10–20 mg p. o. bis zu 4 x tgl., (100 mg s. c. möglich, aber nicht zugelassen) über 24 Stunden oder 8 mg alle 8 Stunden i. v.

Cave: gleichzeitige Gabe von Anticholinergika, anderen HT3-Antagonisten, Antidepressiva und Neuroleptika; jüngere Patienten (< 30 J).: Auftreten von extrapyramidalen Nebenwirkungen. Gegenmittel: Biperiden (Akineton®) i. v.

5-HT3-Antagonisten – Ondansetron (Zofran®), Granisetron (Kytril®), Palonosetron (Aloxi®) und Tropisetron (Navoban®): Wirkort: 5-HT3-Rezeptoren.

Indikation: chemotherapieinduzierte Übelkeit, postoperativ, Nausea/Emesis durch Migräne, strahlentherapieinduzierte Nausea/Emesis.

Nebenwirkungen: Obstipation, Cephalea und selten Diarrhö, selten erhöhte Leberfunktionsparameter.

Dosierungen:

• Ondansetron 8 mg 2 x tgl. p. o., i. v.
• Granisetron 2 mg 1 x tgl. p. o., 1 mg i. v.
• Tropisetron 5 mg 1 x tgl. p. o., 2 mg i. v.
• Palonosetron 0,25 mg i. v.

NK1-Rezeptor-Antagonisten: Wirkort: Neurokinin-1-Rezeptoren (NK1).

Indikation: verzögerte Übelkeit, hochemetogene Chemotherapie.

Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, bei Aprepitant Schmerzen an der Einstichstelle.

Dosierung:

• Aprepitant: Tag 1: 125 mg p. o.; Tag 2 und 3: 80 mg p. o.
• Fosaprepitant: 150 mg i. v.

Kortikosteroide: Wirkort/Wirkmechanismus: unklar. Vermutlich reduzieren Kortikosteroide die Permeabilität der Area postrema und der Blut-Hirn-Schranke und führen dadurch zur Verminderung von Emesis. Bei Gehirnmetastasen dürfte ein Abschwellen des umgebenden Ödems einen positiven Effekt auf durch erhöhten Hirndruck bedingtes Erbrechen haben.

Indikation: hochemetogene und moderat emetogene Chemotherapie in Kombination mit anderen Antiemetika.

Nebenwirkungen: Immunsuppression, Muskelschwäche, Hyperglykämie, Magenreizungen, Schlafstörungen, Aggravierung von Psychosen, Schleimhautbrennen.

Dosierung: 8 bis 40 mg Dexamethason i. v./p. o.

Cannabinoide: Wirkort: CB1-Rezeptor.

Indikation: Zweitlinientherapie bei refraktärer Nausea/Emesis.

Nebenwirkungen: Benommenheit, Schwindel, Euphorie, Mundtrockenheit, Ataxie, Sehstörungen, Konzentrationsstörungen, Verwirrtheit, Halluzinationen, Psychosen, Depression, Tremor, Tachykardie, Bauchschmerzen.

Dosierung: Initial 2,5–5 mg p. o., aufgeteilt auf 2–3 Einzelgaben, bis zu 20 mg ölige Dronabinol-Tropfen 2,5 %; 10 g = 250 mg.

Cave: ältere Menschen und Patienten mit psychotischen Episoden in der Anamnese, generell vorsichtig eintitrieren.

Benzdodiazepine: Wirkort: GABA-Rezeptoren. Indikation: antizipatorisches sowie refraktäres Erbrechen.

Nebenwirkungen: Abhängigkeitspotenzial, ­Sedierung, Wahrnehmungsstörungen, Hypotension, anterograde Amnesie, Verwirrung, Ataxie.

Dosierung: Lorazepam 0,5 mg p. o., Diazepam 5 mg p. o.

Antihistaminika: Wirkort: Histaminrezeptoren. Indikation: Reisekrankheit, mechanischer Ileus, erhöhter intrakranieller Druck. Bei chemotherapieinduzierter Emesis nur zusätzlich zu anderen Antiemetika, niemals alleine.

Nebenwirkungen: selten halluzinogene Wirkungen, öfter jedoch Schläfrigkeit, Trägheit, selten Agitiertheit, Stimmungsschwankungen, Mundtrockenheit und Obstipation.

Dosierung: 50–150 mg tgl. i. v.

Atypische Neuroleptika Olanzapin (Zyprexa®):

Wirkort: D1-, D2-, D4-, 5-HT4-, 5-HT2, α-adrenerge-, H1- und Muskarinrezeptoren. Indikation: refraktäres Erbrechen in der Zweit- bzw. Drittlinientherapie.

Cave: Prostatahypertrophie; Glaukom und M. Parkinson: Kontraindikation.

Nebenwirkungen: Benommenheit und Gewichtszunahme, QT-Zeit-Verlängerung.

Dosierung: 1,25–2,5 mg p. o., erhöhen bis ­ 5 mg p. o. zur Nacht.

Chemotherapieinduzierte Übelkeit und Erbrechen

Nausea und Emesis zählen zu den gefürchtetsten Nebenwirkungen einer Chemotherapie, ihre Inzidenz wird meist unterschätzt. Chemotherapieinduzierte Übelkeit und Erbrechen, auch CINE genannt (Abkürzung für chemotherapie-induzierte Nausea und Emesis) wird in unterschiedliche Gruppen unterteilt

Akute CINE: Die akute Form der CINE tritt innerhalb von 24 Stunden nach erfolgter Chemotherapie auf. Sie wird durch das Freiwerden von Serotonin aus den enterochromaffinen Zellen des Darmes, ausgelöst durch die Chemotherapie, vermittelt. Die akute CINE kann erfolgreich durch prophylaktische Gabe von 5-HT3-Antagonisten blockiert werden.

Verzögerte CINE: Die verzögerte Form der CINE tritt meist erst nach 24 Stunden bis zu 5 Tagen nach Verabreichen der Chemotherapie auf. Sie wird hauptsächlich über die Substanz P vermittelt. Durch NK1-Inhibitoren kann die verzögerte CINE hintangehalten werden.

Antizipatorische Übelkeit und Erbrechen: Das antizipatorische Erbrechen erfolgt meist erst nach vorangegangenen Chemotherapien, insbesondere wenn die antiemetische Therapie bei diesen Zyklen unzureichend war. Sie ist eine klassische Konditionierung des Patienten, der, weil er bereits die Erfahrung der schlechten Verträglichkeit von Chemotherapie gemacht hat, dies nun bei allen Folgetherapien erwartet. Die antizipatorische Nausea und Emesis ist schlecht therapierbar, am ehesten noch durch Benzodiazepine, Levomepromazin oder Olanzapin.

Risikofaktoren für CINE

Wie stark ein Patient an CINE leiden muss, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: dem Patienten selbst und dem emetogenen Risiko Chemotherapie.

Chemotherapie: Das emetogene Potenzial der Chemotherapie gilt als Hauptrisikofaktor für chemotherapieinduziertes Erbrechen. Je nach emetogenem Potenzial werden Chemotherapien in 4 Gruppen eingeteilt.

Patient: Jugendliches Alter, weibliches Geschlecht, geringer Konsum von Alkohol sowie vorangegangene Episoden von Übelkeit (z. B. Reisekrankheit) prädisponieren einen Patienten leider für schlechtere Verträglichkeit der Chemotherapie. Da sich diese Faktoren schlecht beeinflussen lassen, sollte bei Vorliegen dieser Faktoren die Antiemese forciert werden.

Prophylaktische Therapie

Entsprechend den Richtlinien der MASCC, NCCN und ASCO werden CINE je nach Risiko des emetogenen Potenzials therapiert (Tab. 2).

Die Richtlinien unterscheiden sich nicht in wesentlichen Punkten voneinander.

Bei hochemetogener Chemotherapie kommen 5-HT3-Antagonisten, NK1-Inhibitoren und Kortikosteroide zum Einsatz, das gleiche Schema wird beim AC-Schema (Anthrazyklin/Cyclophosphamid) verwendet. Bei moderat emetogener Chemotherapie werden ebenfalls 5-HT3-Antagonisten und Kortiko­steroide empfohlen, wobei hier als 5-HT3-Antagonist Palonosetron der Vorzug zu geben ist. Bei niedriger Emetogenität Dexamethason. Die MASCC empfiehlt in der akuten Phase hier auch noch als Alternative einen 5-HT3-Antagonisten oder einen Dopaminrezeptorantagonisten, NCCN ebenfalls alternativ einen Dopaminantagonisten. Bei minimaler Emetogenität wird von allen drei Gruppen keine prophylaktische Antiemese empfohlen. NCCN schlägt zusätzlich zur antiemetischen Prophylaxe bei allen Gruppen noch die zusätzliche Gabe von Lorazepam nach Ermessen vor.

Literatur bei den Verfassern