Umgebungsuntersuchungen bei offener TBC 
– Österreichischer Standard 2012


Weltweit erkranken jährlich 8,8 Millionen Menschen an Tuberkulose, es kann aber in den letzten Jahren ein leichtes Fallen der Inzidenzen, nicht nur in Europa, sondern auch weltweit, beobachtet werden. Zwischen 2005 und 2010 verzeichnete die europäische Region der WHO einen Rückgang der Melderaten für Tuberkulose um 15,2 %.

In Österreich wurden im Jahr 2010 688 Neuerkrankungen gemeldet, davon 15 MDR-Fälle (Multi Drug Resistant). Die Inzidenz beträgt 8,2/100.000, damit ist Österreich ein Niedriginzidenzland. Dies ist, neben der Verfügbarkeit aller Tuberkulosemedikamente, einer optimalen medizinischen Versorgung und einer gebesserten sozioökonomischen Situation, der konsequenten Politik der Tuberkulosebekämpfung zu verdanken. Das bewährte System der so genannten „Tuberkulosefürsorgen und -vorsorgen“ wurde in Österreich nie aufgegeben.
Die Umgebungsuntersuchung nach einem Indexfall ist neben der korrekten Therapie, der schnellen Diagnostik und den Reihenuntersuchungen von Gruppen mit hohem Risiko, an Tuberkulose zu erkranken, die effizienteste Art, die Ausbreitung der Tuberkulose zu verhindern. Notwendig dazu ist ein intaktes öffentliches Gesundheitssystem, das die im §6 Tuberkulosegesetz festgesetzten Anforderungen für die Tuberkulosebekämpfung erfüllt.

Österreichische Leitlinien zur Umgebungsuntersuchung

Die Österreichische Leitlinien sind von einer Expertenrunde aus allen Bundesländern im Frühjahr 2012 auf Basis der Wiener Leitlinien bearbeitet worden. Die Wiener Leitlinien wurden im Jahr 2010 im Auftrag der Wiener Landessanitätsdirektion von einem Expertenteam erstellt und 2011 von der MA 15 (Landessani­tätsdirektion) herausgegeben, wobei ein besonderer Schwerpunkt die Kindertuberkulose war. Von kinderfachärztlicher Seite wurde dringend angeraten, auf das Thoraxröntgen nicht zu verzichten, da bei einer floriden Erkrankung an Tuberkulose sowohl der Tuberkulin-Hauttest als auch die IGRA-Tests negativ sein können. Dies gilt natürlich auch für die Erwachsenentuberkulose, und auch hier hat man das Thoraxröntgen, von Ausnahmefällen abgesehen, als notwendig erachtet. Ziel der Umgebungsuntersuchung ist es, erkrankte Personen, angesteckte Personen und die Infektionsquelle zu finden.

Indikationen zur Umgebungsuntersuchung: Die zentrifugale Umgebungsuntersuchung, d. h. die Suche nach erkrankten Kontaktpersonen, ist indiziert, wenn der Indexpatient an einer Lungen- oder Kehlkopftuberkulose leidet und säurefeste Stäbchen im Sputum oder im gewonnenen Material der Bronchoskopie vorliegen (Ziehl-Neelsen-Färbung, ZN). Ferner wenn der kulturelle und molekularbiologische Nachweis von Mycobacterium-tuberculosis-Komplex in diesen respiratorischen Sekreten gelingt oder wenn im Thoraxröntgen der Nachweis einer Kaverne gegeben ist, auch wenn noch kein mikroskopischer oder molekularbiologischer Befund vorliegt, oder wenn die Tuberkulose als Obduktionsergebnis mit dem Hinweis auf Ansteckungsgefahr diagnostiziert wurde.
Die zentripetale Umgebungsuntersuchung, d. h. die Suche nach der Infektionsquelle, erfolgt durch ein einmaliges Lungenröntgen.

Definition des zu untersuchenden Personenkreises: Die Erhebungen der Kontaktpersonen sind sehr wichtig und oft zeitaufwändig. Als Hilfestellung wird den Leitlinien ein „Anamnesebogen“ im Anhang beigegeben.
Primär muss das Zeitfenster der infektiösen Phase festgelegt werden, da der Beginn der Infektiosität objektiv nicht bestimmt werden kann. Man rechnet das Zeitfenster bei ausgedehntem Röntgenbefund mit Kaverne ab der Diagnosestellung bis zu 6 Monate zurück, bei einem Röntgenbefund ohne Kaverne und ZN-positivem Sputum bis zu 3 Monate zurück und bei einem Befund, der nur in der Kultur positiv ist, im Sputum jedoch ZN-negativ, bis zu 2 Monate ab Diagnosestellung zurück.

Vorgehen nach dem Stone-in-a-Pond-Prinzip: Das Stone-in-a-Pond-Prinzip (Abb.) wurde von Jaap Veen für das optimale Vorgehen bei Umgebungsuntersuchungen 1991 beschrieben und ist auch heute noch gültig.
Der erste und enge Kreis sind die Haushaltskontakte und engen Kontakte außerhalb des Haushalts, wobei die Definitionen „mehr als 40 Stunden Aufenthalt im gleichen Raum“ oder „8 Stunden hintereinander auf engem Raum“, z. B. in einem Auto, gelten.
Der zweite Kreis bezieht sich auf gelegentliche Kontakte, wie z. B. häufige Besuche zu Hause, bei Freunden und Verwandten, Schulkameraden oder Arbeitskollegen.
Der dritte Kreis bezieht sich auf Gemeinschafts­einrichtungen, wie einen Sportclub, dieselbe Schule oder den Arbeitsplatz mit nur gelegentlichen Kontakten.
Auch müssen die Kontaktpersonen nach der Priorität festgelegt werden.
Eine hohe Priorität ist dann gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung fortschreitet, erhöht ist. Hohe Priorität besteht bei Personen aus dem ersten Kreis und bei Personen, deren Erkrankungswahrscheinlichkeit aufgrund ihres Lebensalters oder aufgrund einer Grunderkrankung erhöht ist.
Eine mittlere Priorität wird Personen aus dem zweiten Kreis zugeordnet und auch Menschen aus dem dritten Kreis, die ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben.
Eine geringe Priorität besteht allgemein für Menschen aus dem dritten Kreis.

 

 

Untersuchungsmethoden: Im Rahmen der Umgebungsuntersuchung werden zwei Methoden angewandt. Das Lungenröntgen dient dem Erkennen bzw. dem Ausschluss einer manifesten Lungentuberkulose. Im Bedarfsfall muss zusätzlich eine HR-CT gemacht werden. Der Nachweis der Tuberkuloseinfektion kann mittels Tuberkulinhauttest (Mendel-Mantoux-Test) oder IGRA-Test (Gamma-Interferon-Release-Assay) erfolgen. Der Zweck beider Untersuchungsmethoden besteht darin, Personen mit rezenter Infektion, die von einer präventiven Therapie profitieren könnten, herauszufinden. Personen, die keine präventive Therapie aus verschiedenen Gründen erhalten können, sollen über 2 Jahre radiologisch in Evidenz gehalten werden.

Dokumentation: Nach Abschluss einer Umgebungsuntersuchung sollten folgende Parameter zur statistischen Analyse vorliegen.
Wie viele Personen im ersten, zweiten und dritten Kreis untersucht wurden respektive wie viele Personen zur Umgebungsuntersuchung – trotz wiederholter Aufforderungen – nicht erschienen sind. Erhoben werden sollte, wie viele Thoraxröntgen, Tuberkulinhauttests und IGRA-Tests durchgeführt wurden, wie viele Erkrankte und wie viele latent infizierte Personen bei der ersten und zweiten Umgebungsuntersuchung gefunden wurden und wie viele präventive Therapien angeraten wurden. Bei der präventiven Therapie muss erhoben werden, ob der niedergelassene Arzt diese durchgeführt hat und ob sie abgeschlossen wurden.
Ferner gilt als sehr wichtige Information, ob die Infektionsquelle gefunden werden konnte, wie dies bei der Kindertuberkulose in mehr als der Hälfte der Fälle gelingt. Es ist zu klären, ob aus der Umgebungsuntersuchung mittels konventioneller Epidemiologie, unterstützt durch Fingerprinting, weitere Vorsichtsmaßnahmen abgeleitet werden können und ob aus der abschließenden Analyse neue Risikogruppen bzw. Risikosituationen definiert werden können.