Das Thema „Operation und Diabetes mellitus“ umfasst die präoperative Evaluierung des Gesundheitsstatus des Patienten, die präoperative Stoffwechselkontrolle und die perioperative medikamentöse Diabetestherapie.1
Die präoperative Evaluierung eines Patienten mit Diabetes mellitus ist prinzipiell analog zu nichtdiabetischen Patienten zu sehen. Der Stellenwert internistischer „Operationsfreigaben“ wird kontroversiell gesehen, da die primäre Verantwortung für die Durchführung eines operativen Eingriffes beim behandelnden Chirurgen und narkoseführenden Anästhesisten liegt. Die Indikation zur Durchführung eines Akuteingriffes bei vitaler Bedrohung ergibt sich naturgemäß aus der Zusammenschau der klinischen Situation.
Patienten mit Diabetes mellitus haben ein höheres Risiko für Begleiterkrankungen als gleichaltrige Nichtdiabetiker. Das statistische Risiko für eine bestehende Multimorbidität steigt allgemein mit dem Lebensalter und insbesondere mit der vorbekannten Diabetesdauer. Zu erwartende Begleiterkrankungen betreffen insbesondere das kardiovaskuläre System (z. B. koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Durchblutungsstörung, periphere arterielle Verschlusskrankheit), die Nieren und das urogenitale System (z. B. Nierenfunktionseinschränkung in Folge von Nephropathie, Infektionen) sowie die Nerven und Sinnesorgane (periphere und autonome Neuropathie, Retinopathie und Makulopathie).
Eine internistische präoperative Evaluierung umfasst in der Regel die Erhebung des klinischen Status des Patienten (Schwerpunkte: Herz, Lunge, Karotiden, Extremitäten inklusive Blutdruckmessung an beiden Armen und Pulsstatus der Beine). Neben einer erweiterten diabetesspezifischen Anamnese bietet die Bestimmung von Routineparametern (komplettes Blutbild, Entzündungsparameter, Nierenfunktionsparameter inklusive Elektrolyte, Leber- und Lipidbefunde, basales TSH, Harnbefund, Gerinnung) eine gute Abschätzung des Gesundheitszustandes. Zudem ist die Bestimmung des HbA1c-Wertes und der Blutglukosekonzentration (nüchtern oder postprandial bzw. selbsterhobenes Profil) unabdingbar. Anamnestisch ist zudem das Auftreten von Hypoglykämien abzufragen. Bei komplexen diabetologischen Therapieregimen und/oder beim Vorliegen diabetischer Spätsyndrome ist die Beiziehung eines diabetologisch versierten Arztes geboten.
Patienten mit Diabetes mellitus weisen ein generell erhöhtes Risiko für Infektionen bzw. für postoperative Infektionskomplikationen auf. Prinzipiell ist eine klare Assoziation von chirurgischen Komplikationen zur vorbestehenden chronischen Stoffwechselkontrolle anzunehmen. Zusätzliche Risikofaktoren für Infektionen stellen ausgeprägte Adipositas bzw. mikro- und makroangiopathische Durchblutungsstörungen und das Vorliegen einer diabetischen Nephropathie dar. Präoperativ sollte daher ein HbA1c-Wert von 7 % bzw. darunter angestrebt werden. Bei Patienten, bei denen eine derartig strikte Stoffwechselkontrolle nicht erzielbar ist bzw. aufgrund von begleitender Multimorbidität und fortgeschrittenem Alter nicht geboten ist, sollte der HbA1c-Wert vor geplanten Operationen zumindest unter 8 % liegen. Operationen bei HbA1c-Werten von über 10 % sollten nur bei vitaler bzw. dringlicher Operation durchgeführt werden. Zu dieser relevanten Thematik wurde rezent eine Substudie der BARI-2D-Studie publiziert, die bei retrospektiver Analyse zeigte, dass bei einer aortokoronaren Bypass-Operation ein präoperativer HbA1c von über 8,0 % im Vergleich zu einem HbA1c zwischen 6,1 und 7,0 % mit einem signifikant höheren Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen (MACE) (HR 1,77) und instabile Angina Pectoris (HR 5,21) assoziiert war. Ein perioperativer HbA1c von unter 6,0 % zeigte in der untersuchten diabetischen Kohorte hingegen ein erhöhtes Mortalitätsrisiko (HR 2,41) gegenüber einem HbA1c von 6,1 bis 7,0 %. Die Gründe dafür bleiben jedoch unklar.2
Perioperativ sollen Blutzuckerwerte zwischen 110 und 140 mg/dl angestrebt werden. Blutzuckerwerte über 180 mg/dl auf Intensivstationen bzw. über 200 mg/dl auf der Normalstation sind zu vermeiden bzw. legen die Einleitung einer Insulintherapie nahe. Laut einer rezenten Übersichtsarbeit ist allerdings das erhöhte Risiko für postoperatives Delirium oder kognitive Dysfunktion positiv mit chronischer und/oder perioperativer Hyperglykämie assoziiert. Septische Patienten auf Intensivstationen ohne vorbestehenden insulinbehandelten Diabetes mellitus zeigten bei ausgeprägter Hyperglykämie in den ersten 24 Stunden nach Aufnahme eine erhöhte Mortalität, während diese bei insulinvorbehandelten Patienten, relativ gesehen, gesenkt war. Eine Studie weist zusätzlich darauf hin, dass erhöhte perioperative Glukosekonzentrationen im Sinne einer „Stresshyperglykämie“ bei präoperativ nicht manifest diabetischen Patienten mit einer statistisch erhöhten Rate an postoperativen Komplikationen und Spitalsmortalität verbunden sind. Ob durch eine adäquate Glukosekontrolle, z. B. mittels Insulininfusion, die Prognose in dieser Gruppe tatsächlich verbessert werden kann oder ob die Stresshyperglykämie per se Ausdruck eines „schwereren“ und damit komplikationsbehafteten Verlaufes ist, kann mit dieser retrospektiven Analyse nicht beantwortet werden.3 In diesem Kontext sind rezente Daten einer japanischen Arbeitsgruppe interessant, die zeigen, dass der postoperative Insulinbedarf nach einer Operation wegen Spinalkanalstenose bei Patienten mit vorbekanntem Diabetes mellitus Typ 2 positiv mit der Konzentration des C-reaktiven Proteins (Akute-Phase-Protein und Entzündungsmarker) korreliert war. Gemäß einer Modellberechnung erhöhte sich der Insulinbedarf um 0,60 Einheiten/Tag pro Anstieg des CRP um 1 mg/dl, was aus klinischer Sicht aufgrund der erhöhten Insulinresistenz bei Inflammation durchaus nachvollziehbar ist.4
Metformin: Generell sollen orale Antidiabetika am Tag der Operation (zumeist morgens) pausiert werden. Für Metformin wird ein Absetzen des Präparates 24–48 Stunden vor dem Operationszeitpunkt bei elektiven Standardeingriffen (z. B. Appendektomie, Cholezystektomie, orthopädische Operationen etc.) laut aktuellem Zulassungstext empfohlen, jedenfalls aber 48 Stunden vor großen Eingriffen mit zu erwartender postoperativer Intensivpflichtigkeit (z. B. Herz-Thorax-Operationen, große abdominelle Eingriffe etc.), um eine allfällige Kumulation von Metformin aufgrund von Nierenfunktionseinschränkung bzw. Nierenversagen zu verhindern. Zudem verzögert Metformin den Abbau von Laktat in der Leber, welches sich bei größeren Operationen bzw. bei gastrointestinalen Eingriffen vermehrt bilden kann. Bei normaler Nierenfunktion beträgt die Plasmahalbwertszeit von Metformin etwa 13 Stunden. Bei sonst gesunden Diabetespatienten genügt vor kleineren Eingriffen ein Pausieren von Metformin am Operationstag. Jedenfalls sollte Metformin postoperativ bis zur Sicherstellung einer adäquaten Nierenfunktion pausiert bleiben.
Sulfonylharnstoffe können bei mangelnder Nahrungszufuhr (z. B. 12-stündiges Fasten präoperativ) Hypoglykämien auslösen. Zudem deuten tierexperimentelle Studien auf eine mögliche ungünstige Interferenz auf hypoxiebedingte Vasodilatation hin, was z. B. bei Patienten mit kritischer Koronardurchblutung Probleme verursachen könnte.
Acarbose kann bei manchen Patienten zu vermehrter Darmgasentstehung führen. Gliptine und vor allem subkutan zu verabreichende GLP-1-Mimetika können die Magenentleerung verzögern und gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen auslösen. Pioglitazon kann vermehrte Flüssigkeitsretention begünstigen und somit zur Volumenüberlastung beitragen.
SGLT-2-Inhibitoren (Gliflozine) sollten am Operationstag jedenfalls pausiert werden, ein Wiederansetzen darf postoperativ erst bei stabiler kardiovaskulärer und metabolischer Situation erfolgen, da unter diesem Therapieprinzip gehäuft Fälle euglykämischer Ketosen bei Eintreten kritischer Erkrankung beobachtet wurden. Dabei wurden Operationen als mögliche Auslöser einer euglykämischen Ketose identifiziert. Ein rezenter Review aus anästhesiologischer Sicht, der 42 publizierte Fälle von Ketoazidosen unter SGLT-2-Inhibitor-Therapie zusammenfasst, inkludierte 12 Fälle nach bariatrischen Operationen unter hypokalorischer Kost, aber keinen klaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Zeitpunkt des Absetzens des SGLT-2-Hemmers und des Auftretens der Ketoazidose. Gewarnt wird vor allem vor einer verspäteten Diagnosestellung aufgrund der untypischen Präsentation mit nicht selten (fast) normalen Plasmaglukosespiegeln.5
Da SGLT-2-Hemmer immer breitere Verwendung finden, in Zukunft (nach entsprechender Zulassung) nicht nur bei Menschen mit Diabetes mellitus, sondern auch bei nichtdiabetischen Personen mit Herzinsuffizienz und Nephropathie, erscheint eine adäquate Medikamentenanamnese besonders wichtig. Ob bei diesen nichtdiabetischen Individuen das Risiko für eine Ketoazidose unter SGLT-2-Hemmung überhaupt gegeben ist, und wenn ja, unter welchen Bedingungen, ist derzeit noch nicht bekannt.
Unsere Anästhesiologische Abteilung im Wiener Wilhelminenspital empfiehlt im Rahmen der präoperativen Vorbereitung, generell alle oralen Antidiabetika am Tag der geplanten Operation zu pausieren, was durchaus gut nachvollziehbar ist. Offen bleibt, ob manche davon idealerweise nicht schon 24 Stunden vor dem Eingriff zu stoppen wären (z. B. lang-wirksame Sulfonylharnstoffe, Glitazone, Metformin und SGLT-2-Inhibitoren). Eine valide Literatur basierend auf prospektiven Studien dazu gibt es derzeit aber nicht.
Wiederbeginn der Therapie: Bei kurzen operativen Eingriffen kann die orale Therapie nach unkompliziertem chirurgischem Verlauf und Wiederaufnahme der Nahrungszufuhr wieder angesetzt werden. Bei längeren Operationen sollte frühestens am ersten postoperativen Tag die orale Antidiabetikatherapie wiederverordnet werden. Eine Kontrolle der Nierenfunktionsparameter vor neuerlicher Gabe von Metformin ist dabei erforderlich (auch bei Interventionen mit Verabreichung von Röntgenkontrastmittel).
Insulinpräparate sind perioperativ (vor allem bei schweren und längeren Eingriffen mit protrahierter intensivmedizinischer Betreuung) derzeit die einzige therapeutische Option, um Blutzuckerwerte zu kontrollieren. Bei großen Operationen mit protrahierter intensivmedizinischer Betreuung ist eine an aktuell gemessenen Blutglukosewerten adaptierte i. v. Verabreichung von kurzwirksamen Insulinanaloga die Therapie der Wahl. In der Regel sind Insulindosen von 1 bis 3 Einheiten Insulin pro Stunde ausreichend, um die Blutglukose zu kontrollieren. Empfehlenswert ist die gleichzeitige Bereitstellung von i. v. Glukoseinfusionen (ggf. mit Kaliumzusatz), um hypoglykämische Werte rasch korrigieren zu können.
Bei Patienten mit basal unterstützter oraler Therapie (BOT) kann bei Routineoperationen das abendliche bzw. morgendliche Basalinsulin in unveränderter Dosis appliziert werden, nachdem die orale Therapie (s. oben) präoperativ pausiert wurde. Engmaschige Blutglukose-Kontrollen perioperativ sind erforderlich, um allfällige Korrekturen mittels i. v. Glukoseinfusion bzw. subkutaner zusätzlicher Gabe von rasch wirksamem Insulin bzw. von Insulinanaloga zu gewährleisten.
Patienten mit Basis-Bolus-Insulintherapie sollen die vorgesehene Basalinsulindosis bei Routineoperationen ebenfalls applizieren. Korrekturen der Blutglukosewerte erfolgen in Abhängigkeit von engmaschig durchgeführten Kontrollen mittels Glukoseinfusion oder kurzwirksamen Insulins. Als Faustregel ist davon auszugehen, dass das Kohlenhydratäquivalent einer „Broteinheit“ (BE = 10–12 g Glukose) den Blutglukosewert um 25 bis 50 mg/dl hebt, eine zusätzlich gespritzte Einheit kurzwirksames Insulin den Blutzucker um 25 bis 50 mg/dl senkt (in Abhängigkeit von Insulinresistenz, Verteilungsvolumen und wirksamer Diabetestherapie). Somit müssen pro peroral oder i. v. zugeführter BE etwa 1–2 Einheiten kurzwirksamen Insulins (prandiales Insulin) zusätzlich zum Basalinsulin verabreicht werden, um eine Euglykämie zu gewährleisten.
Patienten unter konventioneller Insulintherapie mit einem Mischinsulin sollen bei Routineoperationen auf ein langwirksames Insulin (1- oder 2-mal tgl. gespritzt) umgestellt werden, wobei die zu veranschlagende Insulindosis des langwirksamen Insulins etwa zwei Drittel der Standarddosis des ursprünglichen Mischinsulins betragen soll. Entsprechende Korrekturen mit i. v. Glukose und kurzwirksamem Insulin sind wie oben dargestellt durchzuführen.
Patienten unter Insulinpumpentherapie sind perioperativ in erster Linie mittels einer i. v. Insulininfusionstherapie zu behandeln. Die Steuerung der vom Patienten benutzten Insulinpumpe ist für nichtversierte Personen zu komplex. Die vorbekannte Basalrate der Pumpe kann als Maßstab für die erforderliche Dosis an kurzwirksamen Insulinanaloga pro Stunde für die i. v. Infusion herangezogen werden. Alternativ ist die Umstellung präoperativ von einer Insulinpumpe auf eine Basis-Bolus-Therapie anzudenken, wobei am Operationstag lediglich das Basalinsulin verabreicht wird. Spannend sind rezente Ergebnisse einer chinesischen Arbeitsgruppe, die bei jeweils 253 Patienten pro Gruppe retrospektiv zeigten, dass eine kontinuierliche subkutane Insulininfusion mittels Insulinpumpe die perioperative Glukosekontrolle versus Insulinspritzentherapie verbesserte und die postoperativen Infektionen verringerte, ohne den (finanziellen) medizinischen Gesamtaufwand zu erhöhen.6 Bei der Interpretation der Daten ist aus meiner Sicht etwas Vorsicht angebracht, da die Patienten für die Analyse retrospektiv statistisch gematcht wurden und damit natürlich relevante Einflussfaktoren bezüglich der Selektion der Patienten im jeweiligen Therapiearm nicht ausgeschlossen werden können. Andererseits hat ein aktuell publizierter Review die klinische Praktikabilität und Sicherheit einer fortgesetzten perioperativen subkutanen Insulininfusion unter bestimmten Rahmenbedingungen prinzipiell bejaht, wobei weitere Studien dazu eingefordert werden.7
Aufgrund der häufig bestehenden Multimorbidität stehen viele Patienten mit Diabetes mellitus unter Begleittherapie mit Herz-Kreislauf-wirksamen Medikamenten (z. B. Präparate, welche das Renin-Angiotensin-System beeinflussen, bzw. Betablocker) und unter Therapie mit gerinnungshemmenden Medikamenten (z. B. Thrombozytenaggregationshemmer in dualer Therapie, neue orale Antikoagulanzien (NOAKs), Vitamin-K-Antagonisten, niedermolekulare Heparine usw.). Neuere Studien sprechen für einen protektiven Effekt einer perioperativen Betablockertherapie für Patienten mit mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren bei nichtkardialen Engriffen, aber für einen ungünstigen Effekt bei jenen ohne jeglichen Risikofaktor. Andererseits dürfte eine präoperative Statintherapie die postoperative Komplikationsrate bei herzchirurgischen Eingriffen reduzieren. Die Umstellung bzw. Pausierung dieser Medikamente ist in enger Absprache mit dem behandelnden Chirurgen und Anästhesisten zu bestimmen und muss sich am geschätzten Nutzen-Risiko-Profil für den Patienten orientieren. Im Zweifelsfall sind spezialisierte Ärzte (z. B. Kardiologen bei Z. n. Stentimplantation) vor elektiven Eingriffen beizuziehen, um einerseits den günstigsten Operationstermin zu wählen bzw. andererseits ein optimales Management der gerinnungshemmenden Therapie festzulegen.
Zum Schluss etwas Skurriles zum Nachdenken: Eine topaktuell publizierte retrospektive Studie aus Pittsburgh, USA, postuliert, dass 2.730 Patienten mit Typ-2-Diabetes, welche zumindest 180 Tage vor einer schweren Operation unter einer Metformintherapie standen, im Vergleich zu 2.730 Patienten ohne Metformin (Propensity Score Matching) am 90. postoperativen Tag eine deutlich reduzierte Mortalität und Wiederaufnahmerate aufwiesen (HR 0,72; Reduktion des absoluten Risikos um 1,28 %) und dass präoperative Inflammationsmarker in der Metformin-Gruppe niedriger schienen. In einem dazugehörigen Kommentar wird nun diskutiert, ob in Zukunft präoperativ auch Metformin neben Statinen und Betablockern zur perioperativen Risikominimierung eingesetzt werden sollen. Dafür seien aber weitere prospektive randomisierte Studien erforderlich, da auch hier aufgrund des Studiendesign zahlreiche zusätzliche Einflussfaktoren nicht ausgeschlossen werden können.8