Herr P., 59 Jahre, Patient mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom im palliativen Setting, stellt am Tag nach einem ausführlichem Gespräch – bei dem er und seine Ehefrau darüber aufgeklärt wurden, dass die Fortführung der Chemotherapie wegen der Progredienz der Erkrankung und der massiven Nebenwirkungen nicht mehr sinnvoll ist und aus diesem Grund abgesetzt werden muss – bei der Visite die Frage, ob er heute denn keine Chemo bekomme …
Verleugnung ist in der klinischen Arbeit mit KrebspatientInnen ein wohlbekanntes Phänomen und hat einen erheblichen Einfluss auf die Kommunikation zwischen PatientInnen und ihren BehandlerInnen.
Das Konzept der Verleugnung stammt ursprünglich aus der Psychoanalyse und wurde als pathologischer, ineffektiver Abwehrmechanismus gesehen (A. Freud, 1937). Ganz anders wird Verleugnung in Stress- und Coping-Theorien beschrieben (Lazarus, 1974), nämlich als Bewältigungsstrategie, um sich gegen überwältigende Ereignisse und Emotionen zu schützen, wobei sich erst in späterer Folge zeigt, ob diese Anpassung für den Betreffenden nützlich ist oder nicht.
Verleugnung von Krankheit wird in der Medizin schon seit langem kontroversiell diskutiert, in der Forschung erschwert die Operationalisierung von „Verleugnung“ vergleichbare Untersuchungen. Es bleibt bis jetzt unklar, ob diese Form der Anpassung in der Krankheitsbewältigung effektiv oder maladaptiv zu bewerten ist, und erst in den letzten Jahren widmen sich spezifische klinische Studien diesem Thema. Dabei zeigt sich, dass Verleugnung häufig ist, sich im Krankheitsverlauf verändern kann, Hintergrundvariablen wie kulturelle Unterschiede und Geschlecht eine Rolle spielen und es Konsequenzen für die Lebensqualität von Krebspatienten gibt, die sich jedoch im individuellen Krankheitsverlauf sehr unterschiedlich darstellen (Vos M. S. et al., 2007, 2008 und 2011).
Schon am Beginn einer Krebserkrankung wird im Rahmen der Aufklärung das Phänomen Verleugnung zur großen Herausforderung für die BehandlerInnen. Wird verleugnet, bedeutet dies für den Aufklärenden eine Gratwanderung zwischen Konfrontation mit dem Befund „Krebserkrankung“ und dem Respektieren von Abwehr. Es bedarf großer kommunikativer Kompetenz, um im Aufklärungsgespräch Beziehung zu schaffen, Fakten zu vermitteln und gemeinsam mit dem Patienten einen Therapieplan zu entwickeln. Einen nicht unerheblichen Einfluss auf diesen Prozess haben der soziale Hintergrund sowie die Angehörigen und deren Coping, also deren Anpassung an die belastende Situation. Ziel für alle Beteiligten ist, bestehende oder erwartete Belastung zu verringern, auszugleichen, zu verarbeiten oder auch zu ertragen, also „angemessen“ zu reagieren, wobei „angemessen“ sehr unterschiedlich ist. Verleugnung kann im Moment hilfreich, ja sogar notwendig sein, damit Angst oder Belastung nicht ins Unermessliche steigen.
Hier wird klar, dass im System PatientIn–Angehörige–BehandlerIn auch die Einstellung der Mitglieder des Behandlungsteams Einfluss auf diesen Prozess hat. Diese profitieren von einer guten Aus- und Weiterbildung in Kommunikation und Gesprächsführung sowie den Möglichkeiten zur Selbstreflexion in Fallbesprechungen und Supervision (Fallowfield, 2002).
Die Verleugnung von Leiden und Sterben ist auch ein gesellschaftliches Phänomen und wird im Alltag unserer Gesundheitseinrichtungen deutlich, wo die Paradigmen der Institutionen mit ihren Abläufen und Routinen Verleugnung unterstützen, aber auch in Frage stellen können. Das onkologische Team ist gefordert, damit umzugehen: in der Wahl der (medizinischen) Interventionen, in der Behandlung selbst, aber vor allem im Gespräch und im Umgang, wenn in einer stark mit Angst besetzten Situation, z. B. bei Entscheidungen am Lebensende, Positionen stark divergieren. Hier geht es vor allem um Umgang mit starken Emotionen – bei PatientInnen und BehandlerInnen!
Verleugnung bei Krebserkrankungen ist eine komplexe Anpassungsleistung, die differenziert betrachtet und in der Behandlung und Begleitung bei KrebspatientInnen als eine Form von Angstabwehr berücksichtigt werden muss. PsychoonkologInnen können sowohl PatientInnen und ihre Angehörigen als auch das Behandlungsteam dabei unterstützen.