Vitamin D und Arthritis – Potenzial und offene Fragen

Ein schwerer Vitamin-D-Mangel verursacht die klassischen Krankheitsbilder Rachitis (bei Kindern) und Osteomalazie (bei Erwachsenen). Es besteht jedoch auch eine Assoziation mit erhöhter Mortalität und Morbidität in der Gesamtbevölkerung. Ein rezenter Cochrane- Review (Bjelakovic G. et al., Cochrane Database Syst Rev 2011) konnte zeigen, dass die Mortalität unter Vitamin-D-Supplementierung signifikant niedriger ist.
Der Vitamin-D-Status wird definiert durch den Serumspiegel von 25-Hydroxyvitamin D (25- OH-D). Die am häufigsten gebräuchliche, jedoch leider nicht einzige Definition für Mangel, Insuffizienz und Suffizienz von Vitamin D ist in Tab. 1 dargestellt. 25-OH-D ist der beste Indikator, da der Serumspiegel von 1,25-(OH)2- D (Calcitriol) auch bei defizienten PatientInnen durch die enge Regulierung primär über Parathormon (PTH) und Fibroblast Growth Factor 23 normal sein kann.


Funktionen von Vitamin D

Vitamin D hat endokrine und autokrine Funktionen (Abb.). Die endokrine Funktion von Vitamin D ist die Regulation des Kalzium- und Phosphathaushaltes über das zirkulierende 1,25-(OH)2-D, welches diesen über die Zielorgane Knochen, Gastrointestinaltrakt und Niere reguliert. Außerdem hat Vitamin D zahlreiche pleiotrope Effekte auf zellulärer Ebene, welche in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt haben. Diese „nicht-klassischen“ Funktionen sind unter anderem die Regulierung der Immunfunktion, die Hormonsekretion sowie die Zellproliferation und -differenzierung. Zudem wird geschätzt, dass 3 % des Genoms direkt oder indirekt durch Vitamin D reguliert werden (Bouillon R. et al., Endocr Rev 2008). Viele Zellen, unter anderem Makrophagen, Chondrozyten und Synovialzellen, besitzen die 25-OH-D-α-Hydroxylase (CYP27B1, ein mitochondriales P450-Enzym) und können Calcitriol für den Eigenbedarf produzieren. Calci triol wirkt über den Vitamin-D-Rezeptor (VDR), der wiederum in den meisten Geweben exprimiert wird.

Potenzial bei rheumatoider Arthritis

Chronisch Kranke, darunter auch PatientInnen mit rheumatoider Arthritis (RA), haben ein hohes Risiko für einen Vitamin-D-Mangel. Natürlich muss man sich fragen, inwieweit hier eine reverse Kausalität bestehen könnte und die Krankheit den Vitamin-D-Mangel beeinflusst, da Vitamin D ein Marker für Mobilität (im Freien) ist. Über 90 % des körpereigenen Vitamin D wird durch UV-B-Einstrahlung in der Haut produziert, und nur ein geringer Anteil über die Nahrung zugeführt (z. B. Eier, manche Fische und Pilze), sofern keine Supplemente eingenommen werden. Natives Vitamin D (Vitamin D2, Ergocalciferol, oder Vitamin D3, Cholecalciferol) ist sehr günstig und in Österreich in Mono- bzw. Kombinationspräparaten (mit Kalzium) erhältlich. Die kürzlich publizierte Leitlinie der Endocrine Society empfiehlt bei Risikopopulationen, zu denen RA-Betroffene zweifellos gehören, eine Gabe von 1.500 bis 2.000 IE Vitamin D täglich. Die Tageshöchstdosis, die als sicher gilt, liegt sogar bei 10.000 IE (Holick M. F. et al., J Clin Endocrinol Metab 2011). Aktive Vitamin-D-Metaboliten wie Calcitriol müssen bei Vitamin-D-Mangel nicht verabreicht werden, außer im Fall einer zusätzlich bestehenden schweren Niereninsuffizienz.
Die wichtigsten Organsysteme, die bei RA von einem Vitamin-D-Mangel betroffen sein und von einer Substitution profitieren könn

Knochen

Die Effizienz in Prävention und Therapie der Osteoporose ist wohl die derzeit am besten belegte Wirkung von Vitamin D. Gerade bei RA-Betroffenen, die ein hohes Risiko für eine Osteoporose haben, sollte daher die Schwelle für die Empfehlung einer Kalzium-/Vitamin-DSubstitution niedrig sein. Wenn Kalziumpräparate von den PatientInnen nicht vertragen werden oder eine ausreichende nutritive Kalziumversorgung vorliegt, sollte eine alleinige Vitamin-D-Supplementierung erfolgen (Dosierung: 800–2.000 IE Cholecalciferol täglich, entsprechend 2–5 Oleovit® D3 Tropfen). Alternativ ist eine wöchentliche Gabe problemlos möglich (Dosierung 5.600–14.000 IE Cholecalciferol pro Woche, entsprechend 14–35 Tropfen Oleovit®). Auch vor bzw. mit Einleitung einer Kortisonbehandlung, die länger als wenige Wochen dauert, ist eine Kalzium-/Vitamin- D-Gabe (evtl. mit Bisphosphonaten) sinnvoll. Für eine optimale Knochengesundheit sollte mindestens ein Spiegel von 20 ng/ml erreicht werden (Ross A. C. et al., J Clin Endocrinol Metab 2011).

Immunsystem

Vitamin D hat äußerst interessante immunmodulatorische Wirkungen, die bei RA in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung sein könnten:

Primärprävention und Reduktion der Krankheitsaktivität: Tierdaten konnten bereits vor Jahren zeigen, dass aktives Vitamin D sowohl Inzidenz als auch Krankheitsschwere einer kollageninduzierten Arthritis vermindern kann. Vitamin D kann zudem unter bestimmten Bedingungen durch Inhibition der Zellproliferation und Reduktion der Lymphokinproduktion die T-Zell-Reaktivität vermindern (Zhang R. et al., Nutr J 2010). Bisher sind jedoch keine randomisierten placebokontrol lierten Studien (RCT) publiziert, obwohl auf www.clinicaltrials.gov 2 Studien mit 22 (NCT00423358; primärer Endpunkt: Knochenumbau) respektive 140 PatientInnen (NCT01426347; primärer Endpunkt: Krankheitsaktivität) und abgeschlossener Rekrutierung gemeldet sind.

Vermeidung opportunistischer Infekte unter immunsuppressiver Therapie: Ein ausreichender Vitamin-D-Status könnte eine wichtige Rolle in der Vermeidung opportunistischer Infektionen spielen. Kinder mit Rachitis haben häufig Infekte, insbesondere Pneumonien. Die Vitamin-D-Knockout-Maus hat eine deutlich eingeschränkte Makrophagenfunktion (Bouillon R. et al., Endocr Rev 2008). Monozyten in Vitamin-D-defizientem Plasma haben eine verminderte Expression des antimikrobiellen Peptides Cathelicidin (LL-37), das an vielen Epithelien exprimiert wird und eine wichtige Barrierefunktion hat. Eine In-vitro-Vitamin-D-Gabe konnte diese signifikant erhöhen (Liu P. T. et al.. Science 2006). Zwei RCT in Japan (Urashima M. et al., Am J Clin Nutr 2010) und Afghanistan (Manaseki-Holland S. et al., Trop Med Int Health 2010) konnten bei 334 bzw. 453 Kindern einen signifikanten Benefit einer Vitamin-D-Behandlung zeigen (niedrigere Influenza- Inzidenz und geringeres Risiko eines Pneumonierezidivs).

Muskel

Vitamin D ist wichtig für die Muskelfunktion und -entwicklung. Insbesondere bei geriatrischen Kollektiven kann Vitamin D das Sturzrisiko signifikant vermindern und die Muskelkraft verbessern.

Sicherheit der Supplementation

Vitamin D hat ein sehr gutes Risikoprofil, manche Vorsichtsmaßnahmen und Kontraindikationen müssen jedoch beachtet werden. Eine Vitamin-D-Vergiftung mit Hyperkalzämie und akutem Nierenversagen ist bei einem Spiegel von > 150 ng/ml möglich, jedoch sind Dosen von bis zu 10.000 IE täglich über Monate sicher. Sogar das Institute of Medicine gesteht die Sicherheit einer täglichen Dosis von 4.000 IE zu (Ross A. C. et al., J Clin Endocrinol Metab 2011).
Eine Vitamin-D-Vergiftung ist in der Regel akzidentell verursacht (zu hohe Dosierungen durch Fehler in der Anwendung oder bei der Produktion von Vitamin-D-Präparaten). Bei granulomatösen Erkrankungen inklusive Sarkoidose oder Wegener-Granulomatose sollte eine allfällige Vitamin-D-Therapie vorsichtig titriert werden und nur unter regelmäßiger Kontrolle der Serumkalziumwerte erfolgen. Auch bei RA wurden Einzelfälle mit Hyperkalzämie unter Vitamin-DTherapie beschrieben, die jedoch auf exorbitant hohe Dosen (mehrere 100.000 IE wöchentlich) oder andere häufige Ursachen einer Hyperkalzämie (z. B. primärer Hyperparathyreoidismus) zurückzuführen waren.
Von sehr hohen Ladedosen ohne nachfolgende Erhaltungsdosen ist man inzwischen weitgehend abgekommen, da in zwei Studien ein erhöhtes Risiko für Stürze und Frakturen beschrieben wurde.

Zusammenfassung und Ausblick

Eine Vitamin-D-Therapie bei rheumatoider Arthritis ist ein vielversprechender therapeutischer Ansatz mit niedrigem Risiko. Neben den altbekannten Effekten auf das muskuloskelettale System haben die pleiotropen autokrinen immunmodulatorischen Effekte von Vitamin D ein großes Potenzial. Dennoch steht der berechtigte Einwand einer reversen Kausalität neben vielen weiteren Fragen nach Dosierung etc. im Raum. Große prospektive Interventionsstudien in diesem Setting werden uns diese in den nächsten Jahren hoffentlich beantworten. Die gut belegten günstigen Effekte von Vitamin D (+ Kalzium) auf die Knochengesundheit mit einem Zielspiegel von mindestens 20 ng/ml sollten jedoch gerade in dieser Population genützt werden.

FACT-BOX

• Vitamin D hat neben den altbekannten endokrinen Wirkungen auch autokrine Effekte, u. a. auf das Immunsystem, die bei Autoimmunerkrankungen von großem Interesse sind.
• Patientinnen mit chronischen Erkrankungen inklusive rheumatoider Arthritis zeigen eine erhöhte Prävalenz eines Vitamin-D-mangels.
• im Tiermodell verringert aktives Vitamin D Inzidenz und Krankheitsaktivität einer kollageninduzierten Arthritis.
• Bisher gibt es keine Daten von prospektiven kontrollierten Interventionsstudien mit Vitamin D bei rheumatoider Arthritis, die jedoch unabdingbar sind, um den potenziellen nutzen von Vitamin D bei dieser Erkrankung zu klären.
• eine Vitamin-D/Kalzium-Supplementierung sollte bei Patientinnen mit Osteoporose bzw. vor Einleitung einer Kortisonbehandlung, die länger als wenige Wochen dauert, unbedingt durchgeführt werden.


Weitere Literatur bei der Verfasserin

Interessenkonflikt: PD Dr. Karin Amrein führt an der Medizinischen Universität Graz derzeit eine Interventionsstudie mit Vitamin D bei kritisch Kranken durch, die eine finanzielle Förderung bzw. Studienmedikation von Fresenius Kabi, der ESPEN und dem Jubiläumsfonds der ÖNB erhält (www.clinicaltrials.gov; NCT01130181).