Was empfiehlt die Literatur bei aggressiver Polyarthritis?

Geschwollene Gelenke können eine diagnostische Herausforderung darstellen. Bei Vorliegen einer chronisch-entzündlichen Gelenks­erkrankung sollte die Therapie aber rasch etabliert werden.
Bei der Begutachtung eines Patienten mit dem klinischen Befund „Polyarthritis“ kommen differenzialdiagnostisch eine Reihe von Ursachen in Frage: Neben der – unter den entzündlichen rheumatologischen Erkrankungen am häufigsten gesehenen – rheumatoiden Arthritis (RA) können mehrere geschwollene Gelenke auch ein Hinweis auf seronegative Spondyloarthropathien wie Psoriasisarthritis sein, oder im Rahmen einer Kollagenose oder Polymyalgia rheumatica auftreten. Auch an eine septische Arthritis oder Kristallarthropathie ist zu denken, und letztlich auch an degenerative Gelenks­erkrankungen (Abb. 1).

 

 

Zur Diagnosefindung werden das Verteilungsmuster des peripheren Gelenkbefalls, zusätzlicher axialer Befall, extraartikuläre Manifestationen sowie die Anamnese und Laborbefunde miteinbezogen. Symmetrische synovitische Schwellungen an den proximalen Interphalangeal- und Metakarpophalangealgelenken sprechen dabei für die Diagnose RA1, und auch die Anzahl der befallenen Gelenke hat große Aussagekraft, wobei 4–10 oder sogar mehr als 10 synovitisch geschwollene Gelenke eine RA bereits sehr wahrscheinlich machen.2
Wichtig ist aber, dass eventuelle diagnostische Unsicherheiten in der Frühphase nicht zur Verzögerung einer entzündungshemmenden Therapie führen sollten. Die Abgrenzung chronisch-entzündlicher gegenüber anderen Arthropathien muss daher rasch getroffen werden, und die Zeit bis zur Vorstellung beim Facharzt für Rheumatologie gilt als wichtiger Indikator für die Qualitätssicherung des Patientenmanagements bei Polyarthritis:3, 4 Diese sollte nach einer Vorgabe der European League Against Rheumatism (EULAR) maximal 6 Wochen betragen.5

Das „Window of opportunity“

Die Rationale hinter dieser Empfehlung ist, dass gerade am Beginn von chronisch-entzündlichen Gelenkserkrankungen in kurzer Zeit beträchtlicher Schaden an den Gelenken entstehen kann. Bei Patienten mit frisch diagnostizierter RA konnten in bis zu 72 % der Fälle Erosionen im Röntgen bereits innerhalb weniger Monate nach Symptombeginn dokumentiert werden.6 Andererseits ist gut belegt, dass die effektive Unterdrückung der Krankheitsaktivität in der Frühphase die radiologische Progression im weiteren Verlauf deutlich verzögert und die körperliche Funktionalität erhält.7 Neben der Gelenksdestruktion durch die lokale Entzündung rücken immer mehr die Auswirkungen von chronisch-entzündlichen Systemerkrankungen auf die Gesamtmortalität und hier besonders auf das kardiovaskuläre Risiko ins Bewusstsein. Die RA gilt als eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor8, und gerade auch für die Auswirkungen der Erkrankung auf die Mortalität konnte erst kürzlich anhand von Registerdaten die Wichtigkeit eines optimalen therapeutischen Managements am Beginn der Erkrankung gezeigt werden: Wer früh und anhaltend in Remission gebracht werden kann, hat eine höhere Lebenserwartung als Patienten, die erst später in Remission kommen.9

Aggressive Verlaufsformen

Ineffektiv unterdrückte Synovitis führt zur progressiven Gelenkszerstörung, und diese radio­logischen Schäden sind maßgeblich am Verlust von Funktion beteiligt.10 Die Aggressivität des Krankheitsverlaufs kann allerdings äußerst variabel sein, und im Einzelfall vorherzusagen, ob es bei einem konkreten Patienten rasch zur Entwicklung von Erosionen kommt, ist schwierig. Man weiß aber, dass einige Faktoren als Prädiktoren für das frühe Auftreten von Erosio­nen gewertet werden können: Es sind dies neben einer hohen Entzündungsaktivität das Bestehen von bereits abgelaufenen radiologischen Schäden sowie Seropositivität.11–13

„Positiv“ – Antikörper von Gewicht

Von einer seropositiviten Arthritis spricht man im Fall der Nachweisbarkeit von Rheumafaktor (RF) und/oder Antikörpern gegen zitrullinierte Peptide und Proteine (ACPA) im Serum. Beide Antikörper sind diagnostisch von Bedeutung, um eine Arthritis bereits früh als RA zu identifizieren2, allerdings gibt es auch seronegative RA-Varianten. Prognostisch deuten RF und ACPA – vor allem in sehr hohen Titern – auf ein erhöhtes Risiko zu früher radiologischer Progression hin.14–19 Für den Rheumafaktor wurde dies erst rezent auch unabhängig von der Krankheitsaktivität gezeigt.20

Guidelines und therapeutischer Algorithmus

Aus dem oben Gesagten ergibt sich ein gewisses Risikoprofil für Patienten, an einer aggressiven, also früh erosiven Verlaufsform einer RA zu leiden. Wichtig ist aber zu betonen, dass der therapeutische Approach zunächst für alle Patienten derselbe ist: Gemäß den EULAR-Empfehlungen soll so rasch wie möglich eine Basistherapie mit „disease-modifying antirheumatic drugs“ (DMARD) begonnen werden, sowohl bei diagnostisch gesicherter RA12 als auch bei undifferenzierter Früharthritis, wenn die etablierten Klassifikationskriterien (noch) nicht erfüllt sind5, da auch hier ein güns­tiger Effekt von frühem DMARD-Einsatz auf das radiologische Outcome nachgewiesen ist.21 Als Goldstandard gilt dabei nach wie vor Methotrexat (MTX)5, 12, bei Kontraindikation können alternativ Leflunomid oder Sulfasalazin zum Einsatz kommen.12
Weiters spielen besonders in der Frühphase der Therapie auch Kortikosteroide eine Rolle. Diese sollen aber bevorzugt kurzzeitig systemisch oder lokal als intraartikuläre Injektion erwogen werden.5, 12, 22

Das Ziel ist eine vollständige Unterdrückung der Entzündungsaktivität, also Remission, zumindest sollte aber rasch eine niedrige Krankheitsaktivität5, 12, 13, 23 erreicht werden, um die kumulative Entzündungsaktivität zu minimieren.4 Visiten zur Verlaufskontrolle sollten im Abstand von 1 bis 3 Monaten durchgeführt werden5, 12, 23, und der therapeutische Erfolg sollte mithilfe validierter Aktivitätsscores24–26 objektiviert und dokumentiert werden.23 Bei suboptimalem Therapieansprechen unter MTX kommen als nächster Schritt Biologika zum Einsatz12, wobei hier Tumornekrosefaktor-Inhibitoren, Interleukin-6(IL-6)-Blocker, B-Zell-Depletoren und T-Zell-Co-Stimulationsblocker zur Verfügung stehen. (Diese Therapien werden meist mit MTX kombiniert. Wenn aber – zum Beispiel bei MTX-Unverträglichkeit – eine Biologika-Monotherapie indiziert ist, scheint nach neuesten Daten auch die Monotherapie mit dem IL-6-Inhibitor Tocilizumab ein gangbarer Weg.27)

Die Empfehlungen der Fachgesellschaften sehen den Übertritt in diese „Phase II“ der Therapie, also den Beginn mit Biologika nach MTX-Versagen, dann vor, wenn innerhalb von 3 bis spätestens 6 Monaten das therapeutische Ziel Remission (oder zumindest niedrige Krankheitsaktivität) nicht erreicht wird. Die Entscheidung zur therapeutischen Eskalation sollte bei Vorhandensein von prognostisch ungünstigen Faktoren wie hochtitrigen RF/ACPA, sehr hoher Krankheitsaktivität oder bereits abgelaufenen Erosionen umso rascher getroffen werden.12, 13 Gleichlautend zur Evaluation der MTX-Therapie wird für Biologika gefordert, nach spätestens 3–6 Monaten bei Nichterreichen des Therapieziels weitere Anpassungen, also den Wechsel auf ein anderes Biologikum vorzunehmen12, 13 (Abb. 2). Neben der Therapie der Grunderkrankung sollte im Hinblick auf die oben erwähnte kardiovaskuläre Morbidität ein konsequentes Management zusätzlicher Risikofaktoren wie Nikotinabusus, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie etc. Teil des Behandlungsplans sein.8

 

 

Zusammenfassend ist vor allem die Bedeutung des frühen Therapiestarts – auch bei noch nicht gesicherter Diagnose – hervorzuheben, weil dadurch irreversible radiologische Schäden am effektivsten aufgehalten werden können. Die spezielle Herausforderung von aggressiv verlaufenden Arthritiden, gekennzeichnet durch Seropositivität, hohe Entzündungsaktivität und früh auftretende Erosionen, liegt im besonders engmaschigen Monitoring und im Fall von suboptimalem Ansprechen in der raschen Adaptierung der Therapie, um Funktion, Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit der Patienten zu erhalten.

 

1 Hochberg MC et al. (Ed.), Practical Rheumatology. 3rd Edition
2 Aletaha D et al., Rheumatoid arthritis classification criteria: an American College of Rheumatology/European League Against Rheumatism collaborative initiative. Arthritis Rheum 2010; 62(9):2569–81
3 Fautrel B et al., Early referral to the rheumatologist for early arthritis patients: evidence for suboptimal care. Results from the ESPOIR cohort. Rheumatol 2010; 49:147–55
4 Kiely PDW et al., Contemporary treatment principles for early rheumatoid arthritis: a consensus statement. Rheumatology 2009; 48:765–72
5 Combe B et al., EULAR recommendations for the management of early arthritis: report of a task force of the European Standing Committee for International Clinical Studies Including Therapeutics (ESCISIT). Ann Rheum Dis 2007; 66:34–45
6 Goekoop-Ruiterman YPM et al., Clinical and radiographic outcomes of four different treatment strategies in patients with early rheumatoid arthritis (the BeSt Study). Arthritis Rheum 2005; 52:3381–90
7 Breedveld F, The value of early intervention in RA – a window of opportunity. Clin Rheumatol 2011; 30(Suppl 1):S33–S39
8 Peters MJL et al., EULAR evidence-based recommendations for cardiovascular risk management in patients with rheumatoid arthritis and other forms of inflamma­tory arthritis. Ann Rheum Dis 2010; 69:325–331
9 Scire CA et al., Early and sustained remission is associated with improved survival in patients with inflammatory polyarthritis: results from the Norfolk Arthritis Registion. Ann Rheum Dis 2012; 71(Suppl3):95
10 Aletaha D et al., Measuring Function in Rheumatoid Arthritis; Identifying Reversible and Irreversible Components. Arthritis Rheum 2006; 54(9):2784–2792
11 Brook A et al., Radiographic changes in early rheumatoid disease. Ann Rheum Dis 1977; 36:71–3
12 Smolen JS et al., EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs. Ann Rheum Dis 2010; 69:964–75
13 Singh JA et al., Update of the 2008 American College of Rheumatology recommendations for the use of disease-modifying antirheumatic drugs and biologic agents in the treatment of rheumatoid arthritis. Arthritis Care Res 2012; 64:625–39
14 Schoels M et al., Diagnostic and prognostic value of antibodies and soluble biomarkers in undifferentiated peripheral inflammatory arthritis: a systematic review. J Rheumatol 2011; 87 (Suppl):S20–5
15 Agrawal S et al., Autoantibodies in rheumatoid arthritis: association with severity of disease in established RA. Clin Rheumatol 2007; 26:201–4
16 Ates A et al., Effects of rheumatoid factor isotypes on disease activity and severity in patients with rheumatoid arthritis: a comparative study. Clin Rheumatol 2007; 26:538–45
17 Berglin E et al., Radiological outcome in rheumatoid arthritis is predicted by presence of antibodies against cyclic citrullinated peptide before and at disease onset, and by IgA-RF at disease onset. Ann Rheum Dis 2006; 65:453–8
18 Meyer O et al., Anticitrullinated protein/peptide antibody assays in early rheumatoid arthritis for predicting five-year radiographic damage. Ann Rheum Dis 2003; 62:427–30
19 Vencovsky J et al., Autoantibodies can be prognostic markers of an erosive disease in early rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis 2003; 62:427–30
20 Aletaha D et al., Rheumatoid factor determines structural progression of rheumatoid arthritis dependent and independent of disease activity. Ann Rheum Dis 2012 [Epub ahead of print]
21 Lukas C et al., Favorable effect of very early disease-modifying antirheumatic drug treatment on radiographic progression in early inflammatory arthritis. Arthritis Rheum 2011; 63(7):1804–11
22 Mouterde G et al., Indications of glucocorticoids in early arthritis and rheumatoid arthritis: recommendations for clinical practice based on data from the literature and expert opinion. Joint Bone Spine 2010; 77(6):597–603
23 Smolen JS et al., Treating rheumatoid arthritis to target: recommendations of an international task force. Ann Rheum Dis 2010; 69(4):631–7
24 Prevoo ML et al., Modified disease activity scores that include twenty-eight joint counts. Development and validation in a prospective longitudinal study of patients with rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 1995; 38:44–8
25 Aletaha D et al., Acute phase reactants add little to composite disease activity indices for rheumatoid arthritis: validation of a clinical activity score. Arthritis Res Ther 2005; 7(4):R796–806
26 Smolen JS et al., A simplified disease activity index for rheumatoid arthritis for use in clinical practice. Rheumatology (Oxford) 2003; 42(2):244–57
27 Gabay C et al., Tocilizumab (TCZ) monotherapy is superior to adalimumab (ADA) monotherapy in reducing disease activity in patients with rheumatoid arthritis (RA): 24-week data from the phase 4 ADACTA trial. Ann Rheum Dis 2012; 71(Suppl3):152
28 Dietel M et al. (Hg), Harrisons Innere Medizin, 17. Auflage 2009