Als Insulinanaloga bezeichnet man Moleküle, die auf Basis des Humaninsulins durch Modifikation seiner Struktur entwickelt wurden, um gewünschte Eigenschaften zu erzielen, ohne die Immunogenität zu verändern. Ziel dieses „Pharmacological Engineering“ ist es, einen gegenüber Humaninsulin veränderten Wirkverlauf mit schnellerer Absorption oder längerer Wirkungsdauer herbeizuführen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Depotinsulinen, deren Verzögerungsprinzip durch Protamin oder Zinkionen erreicht wird, geschieht dies bei Analoginsulinen durch den Ersatz einzelner Aminosäuren bzw. die Addition von Fettsäure-Ketten.
Leider lassen sich Langzeitanaloga nicht mit ultrakurz wirksamen Insulinen mischen, da dies zu einer substanziellen Veränderung der Pharmakokinetik führen würde. Ziel weiterer Entwicklungen der Analoginsuline muss es sein, die pharmakokinetische Vorhersehbarkeit zu erhöhen und die Wirkdauer zu verlängern (z. B. Insulin degludec).
Seit Jahren tobt unter Wissenschaftlern, Diabetologen und Sozialversicherungsträgern ein heftiger Streit um mögliche Vorteile der Analoginsuline im Vergleich zu Humaninsulin. Der unleugbare Nutzen dieses in wissenschaftlichen Journalen (leider auch in der Sensationspresse) geführten Diskurses liegt in der Tatsache, dass sich klinisch tätige Ärzte mit der Analyse wissenschaftlicher Daten auseinandersetzen und den Nutzen therapeutischen Handelns vor dem Hintergrund verunsicherter Patienten hinterfragen müssen. Durch gezielte (!), aber gut begründete Auswahl der einschlägigen Literatur, z. B. durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Deutschland, konnte in Metaanalysen kein überzeugender Beleg für eine Überlegenheit kurz wirksamer Insulinanaloga gegenüber Humaninsulin bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes gefunden werden. Vielmehr wurden Studienergebnisse mit Hinweis auf mangelhaftes Design und fehlende Endpunktdaten über Reduktion diabetischer Spätschäden und kanzerogenes Risiko als patientenirrelevant abgetan. Mit dem Totschlagargument fehlender Langzeitdaten (d. i. > 10 Jahre) und potenzieller Karzinogenität würde konsequenterweise natürlich auch jegliche Pharmakotherapie in der Mehrheit der Fälle bei Schwangeren, Kindern und Intensivpatienten weitgehend abzulehnen sein.
Mit einem rascheren Wirkungseintritt durch Insulinanaloga wurde die postprandiale Hyperglykämie reduziert und durch eine Reduktion protrahierter Hyperinsulinämien sowie Verbesserung der Resorptionsvariabilität die Zahl der Hypoglykämien reduziert. Die Schaffung möglichst lang wirkender Insulinanaloga soll die Zahl der Insulingaben im Vergleich zu NPH-Insulin reduzieren helfen.
Als Vorteil kurz wirksamer Insulinanaloga wird angeführt, dass Patienten auf den Spritz-ess-Abstand verzichten könnten. Diesem Argument ist jedoch entgegenzuhalten, dass auch reguläres Humaninsulin kurz vor einer Mahlzeit verabreicht werden kann und in aller Regel von den Patienten im Alltagsleben auch wird. Ein verbindlicher Spritz-ess-Abstand für Humaninsulin ist aus der Literatur jedenfalls nicht abzuleiten.
Bedauerlich ist, dass manche Analoginsuline (wie Insulin lispro) seit über 10 Jahren im Einsatz sind, aber keine Langzeitdokumentation zu Spätkomplikationen des Typ-1-Diabetes bzw. dessen Sterblichkeitsrisikos vorliegt. Bezüglich der Stoffwechselqualität lassen sich unter Analoginsulin zwar – abhängig vom Studiendesign – im Durchschnitt niedrigere Blutzucker- und HbA1c-Werte nachweisen, die statistischen Unterschiede sind jedoch so gering, dass sie kaum gesundheitliche Auswirkungen erwarten lassen.
Im Falle der kurz wirksamen Insuline ist der Unterschied der Kassenpreise in Österreich zwischen Humaninsulin (2,39–2,70 Euro/100 IE) und ultrakurz wirksamen Analoginsulinen bei Penapplikation (2,69–2,90 Euro/100 IE) marginal, ebenso für NPH- und Misch-Insuline (2,39–2,73 Euro/100 IE) im Vergleich zu analogen Mix-Insulinen (2,78–3,65 Euro/100 IE).
Anders hingegen die Situation der Langzeitinsuline glargin (Lantus®) und detemir (Levemir®) mit Patronenpreisen von 4,53 bzw. 4,95 Euro/100 IE. Bei diesen im Vergleich zu NPH-Insulin fast doppelt so hohen Preisen stellen die Kostenträger natürlich die Forderung, den medizinischen Nutzens dieses Mehraufwandes wissenschaftlich nachzuweisen.
Ein Hauptargument für den Einsatz von Analoginsulinen wären niedrigere Folgekosten durch Reduktion der Hypoglykämiefrequenz (die aber im Falle vermehrter Spitalsaufenthalte einen anderen Kostenträger belasten!), womit die höheren Preise aber volkswirtschaftlich gerechtfertigt erschienen.
Ultrakurz wirksame Analoginsuline senken die postprandiale Hyperglykämie in der Größenordnung von 10 mg/dl. Die Langzeitkontrolle, festgemacht am HbA1c, wird auf Grund der zeitlichen Kürze der postprandialen Glukoseexkursion jedoch kaum beeinflusst (–0,1 %). Sollte die postprandiale Glykämie ätiopathogenetisch wirklich für diabetische Spätkomplikationen verantwortlich zeichnen, wäre somit der Einsatz eines Analoginsulins gut begründbar. Für einen derartigen kausalen Zusammenhang von postprandialer Hyperglykämie und Spätkomplikationen gibt es zwar experimentelle Hinweise in Perfusionsmodellen, jedoch keinen Beweis im klinischen Setting.
Während Unterschiede in der interindividuellen Insulinresorptionskinetik akzeptabel sind, sind intraindividuelle Schwankungen der Insulinresorption zur Vermeidung von Hypo- und Hyperglykämien tunlichst zu vermeiden. So ist es ein wichtiges Ziel neuer Insuline, die Pharmakodynamik vorhersehbar zu gestalten. Dieses reproduzierbarere Profil der Insulinanaloga hat offensichtlich auch zur Reduktion von Hypoglykämien geführt.
Auf Grund des meist kontinuierlichen Abfalls der Betazellfunktion und der steten Wirkungsabnahme oraler Antidiabetika bei Typ-2-Diabetikern ist diese schlussendlich insulinpflichtige Patientengruppe mit hoher Fallzahl eine interessante Zielgruppe nicht nur für ultrakurz wirksame Insuline, sondern auch für langwirksame Präparationen. Da speziell bei Typ-2-Diabetikern hypoglykämische Ereignisse meist dramatische Ereignisse sind, kommt der in Studien beschriebenen Senkung der Hypoglykämiefrequenz durch Verwendung von Insulinanaloga besondere Bedeutung zu. Da die Gewichtszunahme unter Insulin ein besonderes Thema für Typ-2-Diabetiker darstellt, ist dem Befund einer geringeren Gewichtszunahme unter bestimmten Langzeitinsulinen (wie detemir) Beachtung zu schenken.
Unabhängig von der wissenschaftlichen Diskussion über potenzielle Vorteile der Insulinanaloga bleiben für Typ-2-Diabetiker Ernährung, Gewichtsreduktion und körperliche Ertüchtigung die Träger einer sinnvollen Therapie. Im Vergleich von NPH-Insulin und lang wirksamen Insulinanaloga bei Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes zeigen die meisten Studien speziell während der Nachtstunden eine Abnahme der Hypoglykämiefrequenz unter Insulinanaloga. Da die Angst vor Hypoglykämien nicht nur eine Barriere am Beginn einer Insulintherapie darstellt, sondern auch eine Therapieintensivierung behindert, ist diese Tatsache speziell bei Typ-2-Diabetikern zu beachten. Darüber hinaus stellen unter Umständen vermehrte Hypoglykämien eine bedeutende Determinante für das kardiovaskuläre Langzeitrisiko dar. Der Umstieg von herkömmlichem NPH-Insulin auf ein Langzeitanaloginsulin könnte daher bei Hypoglykämieneigung und Schwierigkeiten der Dosisadaption versucht werden. Diese Abnahme der Hypoglykämiefrequenz beträgt in den meisten Studien – die zugegebenermaßen mit einer meist
6-monatigen Dauer nicht den geforderten Kriterien von Langzeitstudien entsprechen – bis zu 50 %, wobei die Detektion der Hypoglykämien durch Blutglukosemessungen (< 50 mg/dl oder < 60 mg/dl oder < 75 mg/dl?) oder subjektive Symptome die Glaubwürdigkeit der Literaturdaten fraglich erscheinen lässt. Die geringere Hypoglykämierate unter Langzeitanalogen wurde im Vergleich zu herkömmlichem Humaninsulin, nicht im Head-to-Head-Vergleich zu analogem Mixinsulin nachgewiesen. Im Falle der ultrakurz wirksamen Analoginsuline zeigen Metaanalysen bei Studien an Typ-2-Diabetikern keinen Einfluss auf die Stoffwechsellangzeitkontrolle oder die Zahl hypoglykämischer Episoden; jedoch wird von den Patienten die Anordnung, dieses Insulin unmittelbar vor der Mahlzeit zu verabreichen, als Gewinn an Lebensqualität gewertet. Aber selbst Leitlinienexperten der Fachgesellschaften sind sich über die Empfehlung des Einsatzes der Insulinarten „Humaninsulin oder Analoga“ oder „bevorzugt Humaninsulin“ uneins.
Größere Metaanalysen verschiedener Therapieregime mit Analoginsulinen bei Typ-2-Diabetikern zeigen, dass – wenig überraschend – Patienten unter einem Basis-Bolus-Regime am häufigsten ihr HbA1c-Ziel erreichten, gefolgt von biphasischen Insulinregimen und am wenigsten unter reinem Langzeitinsulin. Diabetesdauer, mangelhafte Insulindosisanpassung und Furcht vor Hypoglykämien dürften nur einige der Ursachen sein, das Therapieziel zu verfehlen. Leider zeigt intensivierte Glykämiekontrolle bei Typ-2-Diabetikern nur einen limitierten Einfluss auf kardiovaskuläre Erkrankung und Gesamtmortalität. So dürfte bei dieser insulinpflichtigen Patientengruppe, abweichend von den Leitlinien der Nadir der Mortalität, bei einem HbA1c zwischen 7,5 % und 8 % gelegen sein. Unabhängig von der gewählten Insulinpräparation müssen daher sinnvolle Überlegungen zu flexiblen Therapiezielen mit flexibler Therapiemodalität angestellt werden. Mit einer geänderten Wahl des HbA1c-Zieles (z. B. 7,5 %) würden nicht nur mehr Patienten das Therapieziel erreichen, sondern insgesamt vielleicht auch einen besseren Outcome aufweisen.
Insulin kann das Krebsrisiko auf Grund seiner anabolen Wirkung und Bindung an den IGF-Rezeptor potenziell erhöhen. Es wird daher nach Analoginsulinen mit geringer IGF-Rezeptor-Affinität und hoher Geschwindigkeit der Dissoziation vom Rezeptor gesucht. Die potenzielle Kanzerogenität im klinischen Alltag lässt sich jedoch in epidemiologischen Studien schwer erhärten, da zur statistischen Analyse wichtige „confounding factors“ wie Körpergewicht, Diabetestyp, Diabetesdauer, Insulinmischungen und Nikotinkonsum bei der Datengewinnung kaum erfassbar sind.
Für kurz wirksame Insulinanaloga wurde bisher kein Hinweis auf eine erhöhte Karzinogenität gefunden. Lang wirksame Insulinanaloga, wie glargin, wurden zwar dahingehend beschuldigt, eine erhöhte Karzinogenität konnte jedoch vor dem Hintergrund einer an sich erhöhten Karzinomfrequenz bei Diabetikern unter Insulintherapie nicht bewiesen werden.
RESÜMEE: Wenn Analoginsuline verordnet werden, sind deren Kosten, Gewichtszunahme, Hypoglykämiefrequenz und subjektive Präferenzen der Patienten zu beachten. Grundsätzlich stehen wir vor dem Problem, dass wir mit dem Wissen eines unleugbar überragenden Vorteils von Ernährungstherapie und Exercise zur besseren Stoffwechselkontrolle und damit Senkung der Spätfolgen einen wissenschaftlichen Diskurs über die Therapie bei Typ-2-Diabetikern mit Insulin – analog oder „nur“ human – führen, für das bloß die „Wirkungen“
zweifelsfrei durch Studien belegt sind.2