Noch sind nicht alle Durchgänge der Ärztekammerwahlen in den Ländern gelaufen und die Wahl des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer folgt erst am 22. Juni. Aber eines ist jetzt schon klar. Spitalsärzte verschiedenster Fraktionen werden künftig in den Gremien der Ärzteschaft ein noch größeres Gewicht haben als bisher. Die Ergebnisse von Niederösterreich, aus der Steiermark und Kärnten geben ein deutliches Bild davon. Viele der Spitalsärzte, die auf diesen Listen gewählt wurden, sind auch Wahlärzte. Sie reklamieren damit für sich, auch für die niedergelassene Ärzteschaft zu sprechen. Dem kann Dr. Lothar Fiedler, der Obmann der Fachgruppe Innere Medizin in der Österreichischen Ärztekammer, in weiten Bereichen zustimmen. Für die Kassenmedizin, das bisherige Rückgrat der österreichischen Gesundheitsversorgung, gilt das aber nur sehr bedingt, so Fiedler. Denn Spitalsärzte wie Wahlärzte haben keine eigene Anschauung und Erfahrung, was es heißt, als niedergelassener Arzt mit Kassenvertrag tätig zu sein. Dazu noch: Für einen Wahlarzt ist auch das Kassensystem nicht mehr relevant. Was sich bald in der Verhandlungsführung mit den Kassen und mit der Politik niederschlagen könnte.
„Welches System wollen wir?“ fragt sich Fiedler daher angesichts dieser Entwicklung. Er erwartet nicht, dass Spitals- und Wahlärzte selbst unmittelbar in eine andere Richtung tendieren werden, nämlich jene, die bisherige „Kassen“-Medizin“ im Spital und in den Ambulanzen zu konzentrieren und die „Privat“-Medizin“ bei den Wahlärzten anzusiedeln. Schon deshalb, weil die kandidierenden Spitalsärzte beteuern, dass es ihr Ziel wäre, die Spitalsambulanzen zu entlasten. Aber die Wahlärzte hätten auf dem verbleibenden Privatsektor viel bessere Arbeitsbedingungen als ein Kassenarzt jetzt. „Das wäre ein massiver Bruch des Systems“, hält Fiedler dazu fest. Möglich, dass eine neue Generation von Ärzten diesen Weg bevorzugen würde – aber es sollte allen bewusst sein, dass man damit den Pfad der vergangenen Jahrzehnte verlässt.
In der Politik mancher Bundesländer wäre ein solcher Wandel, so Fiedlers Einschätzung, nicht unwillkommen. Könnte man damit doch die vielen teuren Spitalsprojekte besser auslasten und den Ruhm der eigenen Gesundheitsversorgung mehren. Die Kassen müssten in einer solchen Ordnung mehr Gelder für die Spitäler abliefern als bisher, den betroffenen Landesregierungen sicher höchst willkommen. Der Stellenwert der Ärzteschaft wäre damit aber reduziert. Im Spital wäre er Teil des – vom jeweiligen Land gesteuerten? – Versorgungssystems und kein Vertreter des „freien Berufs“. Das war das bisherige Ärzteselbstverständnis in der ambulanten Versorgung. Der Wahlarzt könnte nur für jene Schicht von Patienten sprechen, die sich Privatmedizin leisten können oder wollen.
Wäre aber damit die Position weiter aufrechtzuerhalten, dass der Arzt der prädestinierte und beste Vertreter der Interessen der Patienten ist? Und damit auch gegenüber der Politik mit dem nötigen Gewicht auftreten kann? Die Folgen daraus könnten das Bild des Arztes in unserer Gesellschaft grundlegend verändern. Das sollte man sich jedenfalls vor Augen halten – und es keinesfalls nur „passieren“ lassen.
Die Kassen selbst, so die Einschätzung des Fachgruppenobmanns, wären in der Auseinandersetzung „Übergang zur Spitalsmedizin oder Beibehaltung der Medizin beim niedergelassenen Arzt“ auf Seiten der niedergelassenen Ärzte. Es könnten sich dadurch neue und überraschende Konstellationen ergeben. „Die Kassen wären in einem solchen System sonst nur mehr reine Verwaltungsstellen“, sagt Fiedler voraus. Die Selbstverwaltung und ihre Funktionäre hätten wohl wenig Interesse, sich quasi selbst „abzuschaffen“. Es geht dabei ja auch um die Vertretung der Patienten im Rahmen der Selbstverwaltung. So hat es jedenfalls das ASVG vorgesehen.
Für sich selbst sagt Fiedler, dass er bereit wäre, sich für die bisherige Funktion als Obmann der Fachgruppe Innere Medizin in der Österreichischen Ärztekammer wieder zur Verfügung zu stellen. Die internistische Standesvertretung interessiert ihn nach wie vor sehr, auch die Zusammenarbeit mit der ÖGIM. Nun wird aber neu gewählt. Diese Wahl wird in Fiedlers Heimatland, in Niederösterreich, kaum vor dem Sommer stattfinden. Die Entscheidung über die Vertretung auf Österreich- Ebene folgt dann hinterher.