Wrap-up ESC: Koronare Herzkrankheit

Die heurige Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC) brachte neben neuen Guidelines auch neue Definitionen des Myokardinfarktes sowie neue Daten im Bereich der Prävention, Diagnostik, Behandlung und Nachbehandlung von Patienten mit KHK.

Definition des Myokardinfarkts

Allen voran wurde die 4. Universelle Definition des Myokardinfarktes (MI) präsentiert, welche die für die tägliche Praxis wichtige Unterscheidung zwischen Typ-1-MI – aufgrund einer atherosklerotischen Plaque-Ruptur/Erosion – und Typ-2-MI bietet, wo es aufgrund eines Ungleichgewichtes von O2-Angebot und -Bedarf des Herzens zu einer Myokardnekrose kommt. Voraussetzung für die Diagnose eines MI ist zumindest ein erhöhter Troponin-Wert und eines der folgenden Kriterien: (1) spezifische kardiale Symptome, (2) ischämietypische EKG-Veränderungen, (3) neue Q-Zacken im EKG, (4) Narbe oder neue regionale Wandbewegungsstörung vereinbar mit einer Myokardischämie in der Bildgebung. Beim Typ-1 MI beinhaltet dies auch noch den Nachweis eines intrakoronaren Thrombus in der Angiografie oder intrakoronaren Bildgebung. Oftmals – aber nicht immer– ist der Typ-2-MI mit dem Vorhandensein einer KHK assoziiert, wo ein akuter Stressor wie Blutung, Infektion oder Arrhythmien zu einer ischämischen Inbalance des Myokards führt. Auch können – seltener – nicht atherosklerotisch bedingte Ursachen wie Vasospasmus oder Koronar-Dissektion einen Typ-2-MI verursachen. Wenn es lediglich zu einer Troponin-Auslenkung ohne die oben genannten Ischämiezeichen kommt, spricht man von einem akuten (wie z. B. bei akuter Herzinsuffizienz oder Myokarditis) oder chronischen Myokardschaden (wenn das Delta des Troponin-Wertes < 20 % variiert, wie z. B. beim terminalen Nierenversagen). Die neuen Definitionen erlauben eine bessere Zuordenbarkeit von Troponin-Erhöhungen im klinischen Alltag und bieten auch eine gute Basis für weitere Studien in diesem Bereich.

Interventionelle Studien

SCOT-HEART: In der Diagnostik der KHK wurde die Bedeutung des Koronar-CT auch als Screening-Tool unterstrichen (SCOT-HEART-Studie).1 Bei > 4.000 Patienten mit stabiler Angina Pectoris (das mittlere Alter betrug 57 ± 9,7 Jahre, 56 % Männer) wurde untersucht, ob das medizinische Management dieser Patienten durch die Durchführung einer Koronar-CT beeinflusst wird. Tatsächlich trat der primäre Endpunkt, bestehend aus Tod und MI, nach einem Median von 4,8 Jahren signifikant häufiger in der Patientengruppe ohne Koronar-CT auf (ARR 1,6 %, NNT = 62,5, RR 0,59; 95%-KI 0,41–0,84), wobei der Unterschied weitgehend durch die Reduktion der MI-Rate bedingt war. Dies war nicht mit einer höheren Angiografie- oder PCI-Rate, aber mit einer höheren Rate an sekundärpräventiven Therapien assoziiert (19,4 % vs. 14,7 %).

CULPRIT-SHOCK: Im PCI-Feld konnte in der Studie CULPRIT SHOCK2 die kurzfristige Überlegenheit der begrenzten Intervention des infarktbezogenen Gefäßes gegenüber einer kompletten Revaskularisation bei Patienten mit MI kompliziert durch kardiogenen Schock auch nach einem Jahr bestätigt werden, wobei die Ereigniskurven nach 1 Monat keine signifikanten Unterschiede mehr zeigten. Interessant dabei war die signifikant häufigere Notwendigkeit einer Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz in der „Culprit only“-Gruppe (5,2 % vs. 1,2 %; RR 4,46; 95%-KI 1,53–13,04), was eher das Konzept einer geplanten stufenweisen kompletten Revaskularisation nach überstandenem Akut-Ereignis unterstützt.

VERDICT: Eine dänische Studie (VERDICT)3 konnte generell keine Überlegenheit einer sehr frühen invasiven Abklärung (< 12 h) im Vergleich zu einer Abklärung zwischen 48–72 h bei > 2.000 NSTEMI-Patienten zeigen (Kombinationsendpunkt: Sterblichkeit, MI, Hospitalisierung wegen Ischämie oder Herzinsuffizienz 27,5 % vs. 29,5 %, HR 0,92; 95%-KI 0,78–1,08). Allenfalls konnte in einer Subgruppen-Analyse ein Vorteil dieser frühen Strategie bei Patienten mit sehr hohem ischämischem Risiko (Grace-Score > 140) vermutet werden. Dies entspricht auch den derzeitigen Richtlinien, welche bei sehr hohem und hohem Risiko eine sehr schnelle (< 2 h) bzw. schnelle invasive Abklärung (< 24 h) empfiehlt. Bemerkenswert war, dass unter Studienbedingungen bei immerhin 30 % der Patienten keine Koronar-Stenosen feststellbar waren.

BASKET-SMALL: Bei Stenosen in kleineren Koronargefäßen (< 3 mm) konnte bei einer klinischen Studie eine Dehnung mit einem medikamentenbeschichteten Ballon mit einem Stenting mit DES mithalten (BASKET-SMALL).4 Die Randomisierung erfolgte erst nach einer erfolgreichen Ballondilatation (keine signifikante flussbehindernde Dissektion und keine Residual-Stenose > 30 %), was bei 85 % der Patienten gelang. Der primäre klinische Kombinationsendpunkt war nach 12 Monaten fast ident. Da bei dieser Studie ein klinischer Endpunkt gewählt wurde, lassen sich über die Effektivität des DEB zur Verhinderung von Re-Stenosen keine endgültigen Schlüsse ziehen. Hier wäre eine angiographisch kontrollierte Studie notwendig.

Studie zur Sekundärprävention

COMMANDER-HF: In der Sekundärprävention bei > 5.000 Patienten mit ischämischer CMP (EF < 40 %) konnte die Zugabe eines niedrig dosierten NOAK (Rivaroxaban 2,5 mg 2-mal täglich) on Top einer einfachen Anti-Plättchen-Therapie keinen klinischen Vorteil, bezogen auf den primären Endpunkt Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall demonstrieren.5 Interessanterweise konnte als sekundärer Endpunkt die Anzahl der Schlaganfälle von 3 % auf 2 % signifikant reduziert werden. Obwohl die sehr geringe Anzahl tödlicher Blutungen in beiden Gruppen gleich verteilt waren, traten unter Rivaroxaban signifikant mehr schwere Blutungen auf (3,3 % vs. 2,0 %), was insgesamt wiederum die Schwierigkeit aufzeigt, Nutzen und Risiko bei der Indikationsstellung einer gerinnungshemmenden Therapie abzuwägen. Jedenfalls konnte der in der COMPASS-Studie bewiesene Nutzen einer Low-Dose-NOAK-Therapie mit Rivaroxaban bei Patienten mit stabiler KHK bei dieser vulnerableren Patientengruppe mit wesentlich höheren Mortalitätszahlen nicht bestätigt werden.

GLOBAL-LEADERS: Last, but not least konnte in der GLOBAL-LEADERS-Studie6 kein Benefit einer Ticagrelor-Mono-Therapie 1 Monat nach Stent für 24 Monate im Vergleich zur konventioneller DAPT gezeigt werden. In diesem „all-comers trial“ wurden > 15.000 Patienten mit KHK, welche sich einer Stent-Prozedur unterzogen, randomisiert. 53 % hatten eine stabile KHK, 43 % ein ACS, davon ca. 13 % einen STEMI. Der primäre Endpunkt Gesamtsterblichkeit und Q-Zacken-MI trat bei 3,87 % der Patienten in der Ticagrelor-Monotherapiegruppe vs. 4,37 % in der konventionellen DAPT-Kontrollgruppe (ASS 100 mg + Clopidogrel 75 mg für 12 Monate bei Patienten mit stabiler KHK, dann ASS-Monotherapie bzw. ASS 100 mg + Ticagrelor 2 x 90 mg 12 Monate, dann ASS-Monotherapie bei Patienten mit ACS) auf (RR 0,87; 95%-KI 0,75–1,01; p = 0,073). In einer geplanten Zwischenanalyse nach 12 Monaten war noch ein kleiner aber signifikanter Unterschied zugunsten der Ticagrelor-Monotherapie festgestellt worden. Der Einsatz von Ticagrelor war nicht mit einer höheren Rate von schweren Blutungen assoziiert. Diese formell negative Studie erweitert demzufolge die Behandlungsmöglichkeit nach Koronar-Stent, indem sie zeigt, dass nach einem Monat eine DAPT mit Ticagrelor sowohl bei Patienten mit stabiler KHK als auch bei Patienten mit ACS sicher ist.

Resümee

Insgesamt konnte der heurige ESC auch diesmal die Erwartungen erfüllen, dass in dessen Rahmen wichtige und klinische relevante Richtlinien bzw. Studienergebnisse unsere tägliche Praxis unterstützen und professionalisieren.

1 SCOT-HEART Investigators, N Engl J Med 2018; 379(10):924–33
2 Thiele H et al., N Engl J Med 2018; DOI: 10.1056/NEJMoa1808788
3 10.1161/CIRCULATIONAHA.118.037152
4 Jeger RV et al., Lancet 2018; 392(10150):849-–56
5 Zannad F et al., N Engl J Med 2018; DOI: 10.1056/NEJMoa1808848
6 Vranckx P et al., Lancet 2018; 392(10151):940–9