Grundlage der Präzisionsmedizin sind moderne Diagnostik-Methoden wie die Genom-Sequenzierung oder die molekulare Bildgebung. Damit soll es in Zukunft noch besser möglich sein, Patienten zielgerichteter und individueller zu behandeln und die Ursache einer Erkrankung auf molekularer Ebene zu identifizieren.
Der Fokus des neuen Zentrums liegt daher auf biomedizinischer Forschung, klinischen Studien, Genom-Technologie, Bioinformatik und IT. Die unmittelbare Nähe zum AKH bringt einen wesentlichen Vorteil für Patienten: Klinisch tätige Ärzte und Grundlagenforscher erarbeiten in enger Kooperation und räumlicher Nähe neueste Erkenntnisse, wodurch Patienten auf dem aktuellsten Stand der Medizin behandelt werden können. Die Errichtung des Zentrums für Präzisionsmedizin ist ab dem Jahr 2022 geplant, wofür insgesamt 60 Millionen Euro nötig sind.
Dipl.-Ing. Dr. Michaela Fritz: Die Onkologie war in diesem Bereich sicher ein Vorreiter und ist schon sehr weit, sodass Präzisionsmedizin bereits in der Regelversorgung Anwendung findet. Allerdings gibt es mittlerweile fast keinen Fachbereich, in dem diese Vorgangsweise nicht zum Tragen kommen wird. Man muss aufpassen: Präzisionsmedizin bedeutet nicht nur, dass man genetische Variationen anschaut, sondern z. B. auch, dass man neue Imaging-Methoden einsetzt und damit bessere und zielgerichtete Therapien anwenden kann. Ein weiteres Beispiel für Präzisionsmedizin sind etwa Transplantationen. Die Suche nach dem passenden Organ ist heutzutage ein Akt der Präzisionsmedizin, bei dem man immer wieder neue Biomarker sucht, die eine bessere Verträglichkeit gewährleisten. Ich denke, die Präzisionsmedizin hält überall Einzug, egal welche Entität, welches Fachgebiet man sich anschaut.
Natürlich sind Innovationen oft mit Kosten verbunden, aber man muss es immer im Gesamten sehen. Von früherer und besserer Diagnostik und zielgerichteten Therapien können Patientinnen und Patienten schneller und besser profitieren – das ist auf jeden Fall unsere Hoffnung, und das sehen wir auch schon in der Klinik. Das bedeutet auch: Wir ersparen uns andere Kosten, längere Krankheitsverläufe, aber auch Medikamente, die mitunter nicht wirken. Das ist eine der großen Versprechen und Hoffnungen, die wir haben. Natürlich ist nicht jedes Medikament individualisiert; es geht allerdings darum, den richtigen Patienten, die richtige Patientin mit der richtigen Therapie zu versorgen, auf die dann gut angesprochen wird. Da liegt natürlich auch ein Einsparungspotenzial.
Mit der Frage „Wird es uns mehr kosten, wird es Kosten einsparen?“ beschäftigen sich viele Gesundheitsökonomen, final ausdiskutiert ist sie allerdings nicht, und man kann sie auch nicht jetzt in die Zukunft prognostiziert beantworten. Was wir auf jeden Fall sagen können: Präzisionsmedizin wird die Therapie verbessern – und damit wird sich die Frage stellen: Können wir es uns leisten, uns Präzisionsmedizin nicht zu leisten?
Solche Parameter spielen eine große Rolle, vor allem, wenn man Präzisionsmedizin auch in Richtung Data-Medicine sieht. Wir mögen das Wort „Präzisionsmedizin“, weil es einen Fokus auf die Technologie setzt und weil wir mit unserem Zentrum in Technologie investieren wollen. Ein Stockwerk in unserem Zentrum wird der Bioinformatik gewidmet sein, weil wir denken, dass genau solche Daten, die Patienten messen können, kombiniert z. B. mit epidemiologischen, genetischen und Mikrobiom-Daten das Bild vervollständigen und dieses vor allem auf die ganz individuelle Lebenssituation eines Patienten, einer Patientin zurückholt.
Man muss Daten immer im Kontext sehen, das Lebensumfeld, Umweltfaktoren und die genetischen Faktoren mit betrachten. Daher glaube ich, dass selbstgemessene Parameter in Zukunft noch eine viel größere Rolle spielen. Damit beschäftigt sich auch unser Complexity Science Hub. Ein Beispiel ist etwa die Erhebung von Epidemiologie und Komorbiditäten von Patienten mit Diabetes mellitus in Österreich – das ist die Sichtweise „Top-down“ auf die Daten. Demgegenüber steht die Sicht von unten hinauf, nämlich auf jene Daten, die der individuelle Patient liefert. Aus der Kombination und dem Vergleich dieser Datensätze wird dann versucht, Prognosen und Risikoprofile zu erstellen. Ich denke, das ist ein sehr spannender Ansatz, und wir werden in diesem Bereich noch viel erleben, aber auch viel investieren müssen.
Der richtige Umgang mit sensiblen Daten ist ein Thema, das uns tagein, tagaus begleitet. Zum einen müssen wir den Schutz dieser Daten garantieren, zum anderen sind sie die Materie, mit der wir forschen und die Medizin weiterentwickeln. Heutzutage müssen diese Aufgaben aber nicht mehr unbedingt ein Spannungsfeld darstellen. Viele Patientinnen und Patienten vertrauen uns ihre Daten an, um einen Beitrag zur Forschung zu leisten, ein Vertrauen, mit dem man extrem sorgfältig umgehen muss. Zudem gibt es bereits viele technische Möglichkeiten, sensible Informationen sicher und sorgfältig zu verarbeiten. Das heißt allerdings nicht, dass wir uns nicht bewusst sind, dass immer etwas passieren kann und wir konstant darauf aufpassen und sehr sorgfältig arbeiten müssen.
In Österreich haben wir mit der DSGVO einen rechtlichen Rahmen, der sowohl die Interessen der Patienten und Patientinnen schützt, als auch der Forschung unter geregelten Bedingungen Zugang ermöglicht. Wo wir schon noch Aufholbedarf haben: Es gibt viele staatliche Register, und das Gesundheitsministerium ist derzeit noch sehr zögerlich im Freigeben und Zugänglichmachen dieser Informationen für die Forschung. Ich glaube, wir könnten noch mehr tun und mehr medizinische Fragen beantworten, wenn wir Material aus verschiedensten Registern verknüpfen und nutzbar machen könnten.
Jedes Technologiefeld birgt auch die Gefahr, dass man es missbrauchen kann – ein Beispiel ist die heuer mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnete CRISPR-Cas9-Methodik. Wir kommen nicht darum herum, einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen und gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Auf Bundesebene beschäftigt sich mit dieser Aufgabe die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, zusätzlich werden Projekte auch der Ethikkommission der jeweiligen Universität vorgelegt.
Es gibt immer Guidelines, die europäisch oder international von der Community erarbeitet werden, die dann das Maß der Therapie darstellen, also gibt es eine allgemeine Norm, an der man sich orientiert. Gehören wir zu jenen Nationen, die diese Normen in Richtung Innovation pushen? Ich glaube, zum Teil, ja. Wir sind in manchen Themenfeldern ganz vorne mit dabei, gerade in der Hämatologie und Onkologie, da wir in diesen Gebieten sehr viele klinische Studien durchführen. Wenn man allerdings in die USA schaut, in denen es bereits unter Barack Obama gigantische Initiativen in der Präzisionsmedizin gab und auch sehr viel Geld investiert wurde, muss man sagen, dass die USA zeitlich weiter vorne sind. Auch in Deutschland wird mit der Exzellenzinitiative viel mehr Geld in Innovationen investiert. Wir wursteln uns in typisch österreichischer Manier relativ gut durch, aber ich denke, unser Zentrum für Präzisionsmedizin wäre wirklich wichtig, um vieles, was in Österreich schon gemacht wird und gut gemacht wird, zu bündeln und auszubauen.
Das Zentrum für Präzisionsmedizin muss im Kontext von drei Zentren gesehen werden: Wir waren von Anfang an der Meinung, dass wir in direkter Umgebung des AKH mit seinen insgesamt 1,2 Millionen Patienten im Jahr mehr Platz für Forschung benötigen; im Rahmenbauvertrag mit der Gemeinde Wien und dem Bund wurde daher die Errichtung von drei Gebäuden am Campus vereinbart. Das erste davon, das Zentrum für translationale Medizin und Therapie, wird über den Bund und die Stadt Wien finanziert und befindet sich gerade in der Ausschreibungsphase. Für die weiteren Zentren – Technologietransfer und Präzisionsmedizin – waren andere Finanzierungsmöglichkeiten vorgesehen. Ersteres, das als Plattform für Start-ups gedacht ist, soll über Private- oder Private-Public-Modelle finanziert werden, während das Zentrum für Präzisionsmedizin über Spenden, Sponsoring und Drittmittel realisiert werden soll. Spenden und Fundraising für Forschung sind in Österreich allerdings schwierig, da es zwar eine lange Tradition für das Spenden zugunsten karitativer Zwecke, Kunst und Kultur gibt, jedoch keine für das Fundraising im Bereich der Forschung. Letzteres wird mehr als Aufgabe des Staates gesehen. Für diese Sozialisierung ist unser Stiftungs- und Steuergesetz mitverantwortlich – die Frage nach der Finanzierung ist immer auch eine Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen, und in dieser Situation ist es so, dass Stiftungen in anderen Ländern ganz anders behandelt werden. Auch in Österreich gibt es immer wieder Initiativen, Stiftungen für Forschungszwecke steuerlich anders zu handhaben, was eine wichtige Rahmenbedingung darstellt, um das Spenden attraktiver zu machen. Grundsätzlich ist das eine sehr nachhaltige Investition von Spendengeldern: Eine Investition in Forschung bedeutet, dass man auch für die nächste Generation investiert. Davon profitieren nicht nur die Ärzte und Ärztinnen, die wir ausbilden, sondern auch viele Patientinnen und Patienten.
Die MedUni Wien hat 100 Mio. Drittmitteleinnahmen jährlich, da sind wir schon auf einem guten und hohen Level. Ich glaube allerdings nicht, dass ein beliebiges Steigern sinnvoll ist. Man muss unterscheiden, welche Drittmittel das sind, kompetitive Fördermittel des FWF oder Auftragsforschung. Es braucht einfach eine solide Grundausstattung für Universitäten, damit sie ihre Aufgaben – z. B. Grundlagenforschung oder auch Lehre – gut bewältigen können. Eine weitere Aufgabe ist, der Gesellschaft zu zeigen, was wir hier machen, also unsere gesellschaftliche Relevanz, die Sinnhaftigkeit von unserem Tun gut vermitteln zu können.