Fachübergreifende Besprechungen für Patienten mit malignen Erkrankungen nehmen einen besonderen Stellenwert ein. Die Rede ist von interdisziplinären Tumorboards/Tumorkonferenzen, wie diese auch von den onkologischen Fachgesellschaften empfohlen werden. Aus dem Blickwinkel der speziell betroffenen Fachdisziplinen werde alle in Betracht kommenden Diagnose- und Therapieformen gemeinsam diskutiert. Die Implementierung von Tumorboards wurde im Rahmen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖSG) 2010 vorgegeben. In einzelnen Bundesländern gibt es bereits eine diesbezügliche gesetzliche Landesregelung, wie z. B. in Tirol, wo die Implementierung von Tumorboards rechtlich festgeschrieben ist.
Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg: Die Implementierung von Tumorboard stellt eine vernünftige Entwicklung dar. Der Grund hierfür ist einfach erklärt: Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten der Behandlung onkologischer Patienten entwickeln sich derart rasant, dass es eine sinnvolle Forderung darstellt, Krankheitsfälle, insbesondere zu Beginn der Erkrankung, aber auch unter speziellen Gegebenheiten zu einem späteren Zeitpunkt, interdisziplinär in einem Tumorboard zu besprechen. Damit wird das Ziel verfolgt, in der jeweiligen Krankheitssituation die für den individuellen Patienten für seine individuelle Krankheitssituation beste Vorgangsweise interdisziplinär abzustimmen und festzulegen.
Im ÖSG ist die Notwendigkeit der Implementierung von Tumorboards in onkologischen Referenzzentren (ONKZ), onkologischen Schwerpunkteinrichtungen (ONKS) und assoziierten onkologischen Versorgungseinrichtungen (ONKA) vorgegeben. Für ONKA ist laut ÖSG die Kooperation mit ONKZ und/oder ONKS und dem jeweiligen Tumorboard zu institutionalisieren. In den Versorgungsgrundsätzen des ÖSG ist festgehalten, dass jeder Patient mit einer malignen Erkrankung im Tumorboard einzubringen ist. „Anmeldung jeder Person mit einer malignen Erkrankung …“. Ebenso ist im ÖSG die Zusammensetzung des interdisziplinären Tumorboards geregelt.
Das Tumorboard setzt sich aus folgenden Mitgliedern („Kernmannschaft“) zusammen: Mitglieder des jeweils zuständigen Organfaches, des Fachbereichs innere Medizin/Hämatoonkologie, der Radioonkologie, der Radiodiagnostik und der Pathologie – dies unter Gleichberechtigung der beteiligten Fachrichtungen. An der Medizinischen Universität Graz laufen derzeit z. B. 10 verschiedene Tumorboards entsprechend den unterschiedlichen Krankheitsentitäten. Der organisatorische und zeitliche Aufwand, die jeweiligen Gruppen zusammenzuführen, ist beträchtlich.
In immer mehr Bundesländern gibt es Geschäftsordnungen für Tumorboards, da im ÖSG offensichtlich ganz bewusst nicht alle Details hinsichtlich der konkreten Umsetzung von Tumorboards geregelt sind. Im ÖSG heißt es nur, dass die organisatorische Umsetzung an die jeweiligen lokalen und regionalen Gegebenheiten anzupassen ist. In einer Geschäftsordnung werden die Abläufe, organisatorischen Schritte (Frequenz, Ort, Zeit und Dauer) sowie Funktionen und Aufgaben der einzelnen Teilnehmer definiert. Gemäß den im ÖSG festgeschriebenen Versorgungsgrundsätzen ist für den Patienten zunächst jene Abteilung zuständig, die den Patienten dem Tumorboard vorstellt.
Laut Geschäftsordnung der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H. (KAGes) ist jene Person, die die entsprechenden umfassenden Kenntnisse über die Erkrankung des vorzustellenden Patienten besitzt und den Fall in der Tumorkonferenz berichtet bzw. näher erläutert, der „einbringende Arzt“.
Organisiert und geleitet wird die Tumorboardbesprechung vom so genannten „Moderator“. Dieser überprüft die eingebrachten Fälle noch vor der Tumorboardsitzung auf Vollständigkeit der klinischen Informationen (Befunde, Bilder etc.) als Grundlage der Besprechung. Er leitet die Besprechung, fasst danach das Sitzungsergebnis zusammen und ist für die Protokollierung und Dokumentation der schriftlich verbindlichen Empfehlung des Tumorboards verantwortlich. Das Protokoll befindet sich auch in der jeweiligen Patientenkartei. Diese Vorgehensweise hat sich in der Steiermark sehr bewährt.
In der organisatorischen Leitlinie der KAGes ist geregelt:
Die jeweilige Tumortherapie ist grundsätzlich an jenem Ort und von jener Disziplin/jenen Disziplinen durchzuführen, welche über besondere (spezifische) und sehr große Erfahrung in der Durchführung dieser Therapieformen verfügen und die für die Patienten ein möglichst hohes Maß an Behandlungssicherheit vorhalten.
Der in der jeweiligen Krankheitssituation die Behandlung durchführende Facharzt ist dann unmittelbar verantwortlich. Weicht dieser von der Empfehlung des Tumorboards ab, ist er angehalten, diese geänderte Vorgangsweise zu dokumentieren, zu begründen und im Rahmen des nächstfolgenden Tumorboards rückzumelden. Die Beschlüsse des Tumorboards haben grundsätzlich einen empfehlenden Charakter. Würde im Tumorboard nach intensiver Diskussion, was sehr selten vorkommt, keine Einstimmigkeit vorherrschen, wird dies natürlich dokumentiert.
Nein, es ist nicht eindeutig festgelegt, wie oft ein Patient im Verlauf der Erkrankung im Tumorboard besprochen wird. Auf jeden Fall muss der Patient einmal (im Idealfall vor Therapiebeginn) eingebracht werden. Es erscheint darüber hinausgehend aber auch sinnvoll, z. B. Patienten zum Zeitpunkt des ersten Rezidives (z. B. jedenfalls Patienten mit isolierten Lebermetastasen bei Kolonkarzinom) auch neuerdings im Tumorboard zur Vorstellung zu bringen. Andererseits erscheint es bei einer weit fortgeschrittenen Erkrankung, wenn z. B. definitiv keine operativen Möglichkeiten mehr bestehen und die Diagnostik ganz klar ist, wenig sinnvoll, das gesamte interdisziplinäre Tumorboard (5 Diszipinen!) zusammentreten zu lassen. Wie bisher bereits erfolgreich in den Tumorzentren durchgeführt, wird hier eine fallbezogene interdisziplinäre Abstimmung zwischen den unmittelbar für die Therapie in Frage kommenden Disziplinen umgesetzt: z. B. bei Auftreten von Hirnmetastasen Abstimmung zwischen Strahlentherapeuten und internistischen Hämatoonkologen bzw. gegebenenfalls Neurochirurgen. Auch scheint es zumindest diskutierenswert, ob es bei sehr, sehr frühem Tumorstadium (z. B. sehr frühes Tumorstadium eines Melanoms) tatsächlich sinnvoll ist, diesen Patientenfall interdisziplinär unter Einbeziehung aller zuvor angeführten 5 Disziplinen zu diskutieren, wenn eindeutig klar ist, dass dieser Patient ausschließlich einer entsprechenden dermatoonkologischen Operation zuzuführen ist. Um dem ÖSG zu entsprechen, der definitiv eine Meldung vorsieht, erscheint es ein vernünftiger Ansatz, solche Fälle in einer Tumorboarddatenbank sehr wohl zu dokumentieren, aber nicht zwangsläufig das gesamte große interdisziplinäre Team immer damit zu befassen.
Prinzipiell ist es wünschenswert, wenn eine Orientierung an gemeinsam festgelegten multidisziplinären Leitlinien für die Diagnostik und Therapie einer speziellen Tumorerkrankung erfolgt. Leitlinien erfassen aber nicht jede Situation. Es gibt immer wieder individuelle Situationen, die man schlichtweg besprechen muss. Sind sowohl Fall als auch entsprechende Leitlinien klar, wird dies zu einer sehr raschen Abwicklung im Tumorboard führen, anderenfalls gibt es eine längere Besprechung.
Nein, und es ist auch sinnvoll, dies nicht zu tun (Überfrachtung des Boards).
Die im ÖSG 2010 abgebildeten Vorgaben für die Versorgung von onkologischen Patienten in Österreich zeichnen einen sinnvollen Weg vor. Dieses Konzept geht davon aus, dass möglichst alle onkologischen Patienten jedenfalls zum Zeitpunkt der Erstdiagnose und für die Durchführung der tumorspezifischen Therapien in onkologischen Zentren (ONKZ) bzw. onkologischen Schwerpunkthäusern (ONKS) bzw. assoziierten onkologischen Versorgungseinrichtungen (ONKA) behandelt werden sollen. Konkret auf ihre Frage angesprochen hat aus meiner Sicht jeder Patient ein Anrecht darauf, dass sein spezieller Fall in einem Tumorboard eines ONKZ, eines ONKS oder einer ONKA besprochen wird, und er auch seine tumorspezifische Behandlung dort durchführen lassen kann.
Ein Punkt sind die Regeln, wann ein Patient nur angemeldet oder tatsächlich besprochen bzw. ausnahmsweise auch persönlich vorgestellt wird. Ein Thema sind auch die genauen Regeln der Einbringung des Patienten. Diesbezüglich bemühen sich aber jetzt die Bundesländer, Geschäftsordnungen zu etablieren (s. o.). Diese sollten natürlich auch aufeinander abgestimmt werden. Ein anderer Punkt, der noch im Raum steht, ist, inwiefern die Mitglieder der Tumorboards für die Empfehlung haften. Meiner Meinung nach haftet dem Patienten gegenüber schlussendlich jener Arzt, in dessen Verantwortung die Indikationsstellung und Durchführung der konkreten Behandlung steht. Sinnvollerweise wird sich dieser in der jeweiligen Krankheitssituation an die jeweilige Empfehlung des Tumorboards halten. Es ist allerdings möglich, dass auf Grund konkreter neuer Erkenntnisse (z. B. Ergebnis der direkten Besprechung mit dem Patienten oder nach ausführlicher körperlicher Untersuchung des Patienten etc.) die dem Tumorboard (noch) nicht bekannt waren, eine Abweichung von der Empfehlung des Tumorboards sinnvoll und geboten erscheint. Dies ist, wie zuvor beschrieben, entsprechend zu begründen und zu dokumentieren.
Gemäß den mir vorliegenden Informationen von deutschen Kollegen haben wir hinsichtlich der Organisation und Durchführung von Tumorboards in Österreich „die Nase vorn“.