Dennoch gibt es immer noch Versorgungsprobleme, gerade bei den kleinen Kindern. Die ECC („early childhood caries“) nimmt im Gegensatz zur Karies an bleibenden Zähnen in ihrer Häufigkeit sogar zu. Diese Kariesform schreitet meist besonders rasch voran und stellt aufgrund der Anzahl der betroffenen Zähne, des Schweregrades der Zerstörung, des geringen Alters der Kinder und der daraus resultierenden geringen Kooperationsfähigkeit ein großes Problem dar. Nicht immer ist in diesen Fällen eine Behandlung unter Narkose möglich oder gewünscht. Die Aufnahme einer zahnärztlichen Frühuntersuchung im Mutter-Kind-Pass wurde neuerlich aus Kostengründen abgelehnt. Diese hätte eine Erkennung von Risikokindern rechtzeitig ermöglicht.
Was also können wir tun? Welche Möglichkeiten haben wir, wenn bei einem Kleinkind Karies diagnostiziert wird und die nötige Mitarbeit noch nicht gegeben ist? Oder wenn bei einem ängstlichen Kind mit multiplen kariösen Läsionen und Schmerzen rasch behandelt werden muss? In diesen Fällen gibt es inzwischen Alternativen zur klassischen Füllungstherapie. Diese bestehen aus einigen non- und minimalinvasiven Verfahren, die hier im Folgenden vorgestellt werden. Wichtig ist jedoch, dass alle so behandelten Kinder in ein engmaschiges Recall eingebunden werden. Dieses schließt eine Optimierung der Trink- und Ernährungsgewohnheiten, altersentsprechende Fluoridierungsmaßnahmen sowie eine langsame Desensibilisierung ein. Eine saubere Diagnostik und die Abklärung des individuellen Kariesrisikos bilden schließlich die Entscheidungsgrundlage für die nachfolgende Therapie.
Die zur Verfügung stehenden Methoden der non- bzw. minimalinvasiven Behandlung:
Auf die ersten 5 Punkte soll hier nicht eingegangen werden, da sie entweder als bekannt vorausgesetzt werden können oder sich nicht zur Anwendung in der täglichen Praxis eignen.
Komposite, Kompomere oder Glasionomerzemente sind Materialien, die seit langem in der Kinderbehandlung eingesetzt werden. In den letzten Jahren wird vermehrt auch die selektive oder minimalinvasive Kariesentfernung mit anschließender adhäsiver Versorgung propagiert. Pulpanah darf kariöses Dentin belassen werden, während die Kavitätenränder kariesfrei sein müssen. In Studien konnte gezeigt werden, dass es mit dieser Methode weit weniger häufig zur Eröffnung der Pulpa kommt und die Überlebensrate der Zähne sehr hoch ist. Dies gilt allerdings nur, wenn eine gute Trockenhaltung gegeben und die Füllung absolut dicht ist. Genau hier ist jedoch die Problematik zu sehen, da gerade eine dichte adhäsive Füllung bei einem mäßig kooperativen Kleinkind kaum möglich ist. Einen wesentlich besseren Erfolg kann man in diesen Fällen mit bioaktiven Füllmaterialien erzielen, wie sie etwa die Produkte von ACTIVATM BioACTIVE bieten. Laut Aussage des Herstellers handelt es sich bei diesen Materialien um ein ionisches Restaurationsharz, das die Bildung von Hydroxylapatit stimuliert. Neben der Matrix aus bioaktivem Kunstharz enthält es eine stoßdämpfende Gummiharzkomponente und aktive Glasfüller. Es enthält kein Bisphenol A oder Bis-GMA und ist hydrophil. Randdichtigkeit sowie Biege- und Abrasionsfestigkeit sind sehr gut. Das Material ist auch in einer speziellen Kinderfarbe erhältlich (ACTIVATM Kids). Studien haben unlängst gezeigt, dass ACTIVATM auch an Klasse-II-Läsionen in Milchmolaren eingesetzt werden kann.
Vorgehen: Die Zähne werden – wenn möglich – mittels Rosenbohrer oder Exkavator grob von sehr weichem Dentin gesäubert. Anschließend sollte gebondet werden. Eine Säureätzung ist nicht notwendig. Das Material wird direkt aus der Mischkanüle auf den Zahn aufgebracht, mit einem Heidemannspatel adaptiert und lichtgehärtet.
Aus der Praxis: In unserer kinderzahnärztlichen Ordination setzen wir das Material bei Kleinkindern für die minimalinvasive Versorgung von kariösen Oberkieferfrontzähnen oder Milchmolaren mit gutem Erfolg ein. Auch bei hypersensiblen bleibenden Molaren mit MIH (Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation) zeigte das Material bisher einen guten Halt und brachte den Kindern eine Verbesserung der Empfindlichkeit. Auf diese Weise können meist auch bei wenig kooperativen Kindern Restaurationen gefertigt werden, die einfach, dicht und dauerhaft haltbar sind.
Jeder kennt die Situation: Ein Kind kommt zur Kontrolle und auf den angefertigten Röntgenbildern erkennt man den Beginn einer approximalen Karies im Molarenbereich. Was tun? Abwarten, den Patienten im Gebrauch von Zahnseide schulen und in ein engmaschiges Recall einbinden? Das kann funktionieren, wenn die entsprechende Compliance gegeben ist. Oder sofort behandeln? Vergleichsweise viel gesunde Hartsubstanz für einen recht kleinen Defekt opfern? Beide Lösungen sind nicht optimal. Mit der „guided enamel regeneration“ (GER) bietet sich die Möglichkeit, nichtkavitierte Läsionen ohne invasive Vorgehensweise wieder aufzubauen. Diese Methode wurde bereits in den 1990er Jahren an der Universität Leeds (GB) erforscht und patentiert. Schmelzregeneration mit der Curolox®-Technologie (CurodontTM Repair [credentis]) ist für folgende Indikationen geeignet:
Die Funktionsweise kann folgendermaßen beschrieben werden: Der Hauptbestandteil der Lösung sind spezielle Eiweißmoleküle, die in den Defekt hineindiffundieren und dort ein biologisches Gerüst („Biomatrix“) bilden. In dieses Gerüst lagern sich Kalzi um- und Phosphationen aus dem Speichel ein und bilden neue Schmelzkristalle.
Vorgehen: Bei ausreichender Kooperation erfolgt zunächst eine Reinigung des Zahnes mit Bürste und Polierpaste. Anschließend wird der Zahn mit 3 % Natriumhydrochlorid für 20 Sekunden gereinigt, bevor die Phosphorsäureätzung erfolgt. Dann wird das Produkt mithilfe des speziellen Applikators aufgetragen und soll 5 Minuten bei relativer Trockenhaltung einwirken. Anschließend kann sofort wieder gegessen und getrunken werden.
Aus der Praxis: In unserer Ordination wenden wir CurodontTM Repair hauptsächlich bei initialer Approximalkaries an den Milchmolaren bzw. bei Entkalkungen in der Front an. Bei den Molaren hat es sich bewährt, vor der Behandlung eine temporäre Separierung mittels Separiergummis herbeizuführen. Auf diese Weise kann man die Läsion direkt erreichen. Nach 3 Monaten erfolgt eine visuelle Kontrolle, kombiniert mit einer Mundhygienebehandlung und Remotivation zur häuslichen Mundhygiene und Ernährungskontrolle. Nach 6 Monaten erfolgt eine Röntgenkontrolle.
Der antibakterielle Effekt von Silberionen ist seit über 100 Jahren bekannt. Silberfluorid und Silberdiaminfluorid werden in der Zahnmedizin schon seit 50 Jahren zur Behandlung von Karies und von Dentinhypersensibilitäten verwendet. Die entsprechende Wirkung wurde in zahlreichen Studien beschrieben. Während es in einigen Ländern dauerhaft im Einsatz war, ist es in anderen von der Bildfläche verschwunden und erlebt erst seit kurzem wieder eine Renaissance. Seit 2014 ist in den USA eine Lösung namens „advantage arrest“ von der FDA zugelassen. Dabei handelt es sich um eine 38%ige Silberdiaminfluorid-Lösung. Die Wirkungsweise wird wie folgt beschrieben: Die Silber- und Fluoridionen penetrieren ca. 25μ in den Schmelz und 50–200μ ins Dentin. Es kommt zu einer Obturation der Dentinkanälchen, der Boden der Kavität wird härter. Sharma G et al. haben 2015 ein Review zur Evidenz von SDF zur Kariesarretierung publiziert und klinische Studien sowie In-vitro-Studien von 1981–2014 einbezogen. Die Ergebnisse wurden auch von anderen Autoren bestätigt. So konnte man im Milchgebiss in 80 % der Fälle eine Kariesarretierung feststellen. Im bleibenden Gebiss dagegen nur bei 66 %. Der Erfolg der Kariesarretierung mit SDF war in allen Fällen signifikant höher als in der Kontrollgruppe mit Fluorid. Weiters wird ein inhibierender Effekt auf den Biofilm beschrieben (Chu CH et al., 2012). Ein großer Nachteil der Anwendung von SDF zur Kariesarretierung ist die Schwarzverfärbung der behandelten Läsionen. Dies muss den Eltern unbedingt vor der Behandlung unmissverständlich erklärt werden, vor allem wenn die Anwendung im gut sichtbaren Bereich erfolgt. Das in den USA gängige „advantage arrest“ ist bei uns nicht zugelassen, als Alternative steht jedoch Riva Star der Firma SDI im Off-Label-Use zur Verfügung. Offiziell ist das Produkt zur Behandlung von Hypersensibilitäten auf dem Markt. Das Produkt wird in 2 Kapseln geliefert. Die erste enthält das Silberfluorid, die zweite Kaliumiodid. Dieses soll bei der Anwendung gegen Hypersensibilitäten die Schwarzverfärbung verhindern. Bei der Off-Label-Anwendung zur Kariesarretierung tritt diese aber in jedem Fall auf. Somit kann die Verwendung der zweiten Kapsel unterbleiben, vor allem da das Kaliumiodid an der Gingiva unangenehme Irritationen verursacht, was die weitere Kooperation des kleinen Patienten negativ beeinflussen kann.
Vorgehen: Zahn säubern und falls möglich mit dem Exkavator etwas Karies entfernen. Die Gingiva und Lippe mit Vaseline vorbehandeln. Kleidung und Behandlungsstuhl gut abdecken, da das Material dort schwarze Flecken hinterlässt. Einen Tropfen der Lösung auf den Applikator aufbringen und in die Kavität einbringen. Dort etwa eine Minute einwirken lassen und anschließend mit Wasser abspülen.
Aus der Praxis: Bei uns wird SDF hauptsächlich bei Kindern mit hohem Kariesrisiko verwendet, wenn eine mangelnde Kooperation vorliegt, eine Therapie aber umgehend nötig ist und keine Möglichkeit zur (Narkose-) behandlung besteht. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Frontzahnkaries oder um kavitierte Läsionen an den Molaren. Nichtkavitierte Läsionen sollten vorher kurz eröffnet werden. Zur Anwendung im Approximalbereich kann die SDF-Lösung mithilfe von Ultrafloss eingebracht werden. Eine zweite Applikation erfolgt nach 6 Wochen. In ganz massiven Fällen kann die Lösung auch dreimal in Folge, jeweils im Abstand von einer Woche, aufgebracht werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es mehr und mehr Lösungen gibt, auch schon kleine Kinder atraumatisch zu behandeln. In manchen Fällen ist damit die Behandlung abgeschlossen, in anderen Fällen gewinnt man Zeit bis das Kind etwas älter ist. Nachteilig ist, dass sämtliche Materialien mit einem höheren Kostenaufwand verbunden sind und keine Kassenleistungen darstellen. Jedoch konnten wir feststellen, dass die meisten Eltern bereit sind, in eine Behandlung zu investieren, die ihrem Kind eine traumatische Behandlung erspart. Am schönsten wäre es aber sicherlich, wenn wir es eines Tages erreichen könnten, dass auch solche Behandlungen nicht mehr nötig sind.
Lust auf mehr?
Ein ausführliches Seminar zu den oben beschriebenen Methoden zu einer „entspannten Kinderzahnheilkunde mit entspannten Behandlern“ findet am 12. und 13. Jänner 2020 in Salzburg statt. Nähere Informationen und Anmeldung ab September 2019 auf den Webseiten von „Alles über Kinderzähne“ (www.alles-ueber-kinderzaehne.at) oder Yoga-Place-Salzburg (www.yogaplace.at).