Reformen und Reformideen sorgen derzeit im Gesundheitswesen für Unruhe. Ärzteschaft und Industrie geraten unter Druck. Doch auch andere Stakeholder sollten nicht zu früh jubeln.
Die jüngsten Debatten über Reformvorschläge im Gesundheitswesen zeigen eines: wenn die Politik will, kann es sehr rasch gehen mit Änderungen im System. Das belegt zwar einerseits die Reformpotenziale, die über Jahre nicht genutzt worden sind, es zeigt aber auch, dass sicher geglaubte Strukturen in Wirklichkeit wackelig sind. Und davor ist niemand sicher im komplexen Gesundheitswesen. Bestätigt hat das bereits die Reform der Sozialversicherungen mit Zusammenlegungen und Umfärbungen der Gremien. Damals haben manche Stakeholder noch applaudiert. Was jetzt auf dem Tisch liegt, geht aber weiter und trifft auch die ehemaligen Klatscher.
Unter dem Strich läuft die Entwicklung vor allem hin zu einem zentral und mehr staatlich gesteuerten System. Sozialpartnerschaftliche Lösungen und die Entscheidungsmöglichkeiten der Beschäftigten im Gesundheitswesen werden eingedämmt. Das ist aus Sicht von ÖVP und Grünen nachvollziehbar: die Grünen sind sozialpartnerschaftlich kaum irgendwo eingebunden, die ÖVP will die SPÖ und die Gewerkschaft seit Jahren zurückdrängen. 2017 hat sie dafür Zustimmung bei der FPÖ gefunden, jetzt tut sie es bei den Grünen.
Der Einsatz digitaler Möglichkeiten macht auf den ersten Blick sicherlich Sinn, es fragt sich aber wo die Daten zusammenlaufen und was damit gemacht wird. Dass der Bund den Sozialversicherungen Geld für Reformen im niedergelassenen Bereich gibt, macht ebenfalls zuerst Sinn. Allerdings steigt damit der Steueranteil am Gesamtsystem und damit der Einfluss des Bundes gegenüber der Selbstverwaltung. Das wiederum kann auch Nachteile haben – nämlich dann, wenn sich die politische Großwetterlage ändert und der Spardruck im System steigt. Wohin das führt, zeigen Länder mit einer Steuerfinanzierung und einem zentralistischen System: dort können Politiker:innen dem Gesundheitswesen sehr rasch den Geldhahn abdrehen.
In Zeiten, in denen auch darüber nachgedacht wird, wie sich die Kosten für jüngste Krisen wie Pandemie und Inflation finanzieren lassen, müssen gerade im Gesundheitswesen alle vorsichtig sein. Es könnte auf ihre Kosten und damit auf Kosten der Patient:innen und Versicherten gehen. Wer jetzt noch nicht direkt von Reformen getroffen wird, wie die Apotheker:innen, sollte sich da nicht zu früh freuen. Es könnte bald auch sie treffen. Denn der Spardruck geht auch in Richtung Medikamente und damit auf die Spannen. Und für alle gilt: Wenn der Staat sparen will, macht er das entweder dadurch, dass er generell Leistungen kürzt oder sich einfach zurückzieht. Letzteres bedeutet eine Liberalisierung des Gesundheitswesens. Und die hat noch nirgendwo die Versorgung wirklich verbessert und billiger gemacht, wie etwa in Deutschland oder der Schweiz die Änderungen im Versandhandel, die Privatisierungen von Spitälern und Arztpraxen oder mehr Wettbewerb bei den Krankenversicherungen belegen. (rüm)