Gesundheitsberufe und Gesundheitsunternehmen verdienen ihr Geld mit der Versorgung und letztlich dem Leid von Menschen. Das macht sie ethisch angreifbar. Die Debatte über Ärztekammer, Pharmaindustrie und (noch) versteckt Apotheken ist eine Neiddebatte. Das könnte sich rächen.
Die Politik und der Großteil der Medienlandschaft sind sich einig in der Beurteilung der Kritik an der Gesundheitsreform: Der Ärzteschaft geht es um Machterhalt, der Industrie um Gewinne. Dass Interessensvertretungen Interessen vertreten – und dabei primär jene ihrer Mitglieder – ist aber nicht wirklich überraschend. Dass sie das mit Nachdruck tun, auch nicht. Dass man sich damit in anderen Bereichen nicht nur Freude macht, ist ebenso wenig verwunderlich. Hört man von Interessensvertretungen wie jener der Apotheker:innen wenig Kritik an der aktuellen Gesundheitsreform, bedeutet das nicht, dass die Kammer untätig ist, sondern eher, dass sie mit den Ergebnissen zufrieden ist und wohl im Hintergrund ihre Anliegen durchgebracht hat. Das in der Öffentlichkeit oft nicht gut beleumundete Wort Lobbying beschreibt das.
Natürlich kann man über die Art der Lobbying-Aktivitäten trefflich streiten. Aktuell protestieren die Metallgewerkschafter:innen mit Streiks, Klimaschutzaktivist:innen kleben sich auf Straßen und die Ärztekammer mobilisiert die Patient:innen mit Information in den Praxen. Was regt uns an Lobbyingaktivitäten im Gesundheitsbereich also mehr auf als woanders? Der Grund liegt darin, dass Gesundheitsberufe und Gesundheitsunternehmen ihr Geld mit der Versorgung und letztlich dem Leid von Menschen verdienen. Das macht sie ethisch angreifbar, weil es sich leicht als verwerflich darstellen läßt.
Doch tatsächlich geht es gar nicht darum. Es geht letztlich um eine Neiddebatte, die hier geschürt wird. Wer viel mit der Gesundheitsversorgung von Menschen verdient, darf doch nicht mehr wollen, so der Gedanke dahinter. Das mag auch ein Grund sein, warum die Apothekerkammer die Gewinne der Apotheken seit der Pandemie in den Jahresberichten nicht mehr veröffentlicht. Sie dürften aufgrund der Coronatests recht hoch ausgefallen sein. Doch die Neiddebatte wird auch davor nicht halt machen und irgendwer wird diese Zahlen wohl ans Licht der Öffentlichkeit zerren. Wie groß der Aufwand der Apotheker:innen und aller anderen Gesundheitsberufe in der Pandemie war, wird dann niemand mehr erwähnen. Doch damit weisen wir nicht nur die Stakeholder im Gesundheitsbereich in die Schranken, wir reden auch ein System und die darin Beschäftigten schlecht.
Österreichs Gesundheitssystem ist eine Erfolgsgeschichte. Lange war es auch Garant für Wohlstand und sozialen Aufstieg für breite Bevölkerungsschichten. Ein funktionierendes Gesundheitssystem war ein wesentlicher Grundpfeiler des Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahrzehnte. Viele haben profitiert. Und doch ist das System ins Gerede gekommen. Es sei unfinanzierbar, hören wir. Sicherlich hat das System Schwächen und unbestritten ist, dass es Lücken und Ungerechtigkeiten gibt. Zweifellos muss hier etwas passieren und braucht es Reformen. Gleichzeitig sind aber Krankenkassen, Krankenhäuser, Ärzt:innen und Pharmaindustrie zu Schimpfworten geworden. Wer sich dafür stark macht, wird als ewig-gestrig abgetan und als Geldverschwender verunglimpft. Die Gesundheitsausgaben explodieren und das System stehe kurz vor dem Kollaps, geben sogar renommierte Journalist:innen unwidersprochen abgedroschene Redewendungen wieder, die wir seit 50 Jahren hören. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass all diese Aussagen Mythen sind, die sich nicht nur hartnäckig halten, sondern sogar mit großem Erfolg hochgespielt werden.
Bei aller Kritik sollten wir nicht den Fehler machen, das System als solches in Frage zu stellen. Denn das kann uns sehr rasch auf den Kopf fallen: Wenn Pflegeberufe unattraktiv werden und sich kein Personal findet, wenn Ärzt:innen auf Kassenverträge verzichten und als Wahlärzt:innen arbeiten oder ins Ausland gehen, wenn Industrieunternehmen ihre Produktion verlagern und damit Lieferengpässe zunehmen, ist es zu spät. Statt über die Schwächen zu jammern und in Schockstarre zu verfallen, sollte man den Mut haben, Bewährtes zu stärken und Schwächen zu beheben. (rüm)