Michaela Wlattnig, oberste Patientenanwältin, spricht im RELATUS-Interview über die Gesundheitsreform, das geplante Arzneimittelbewertungsboard und andere aktuelle Themen.
Was halten Sie von der aktuellen Gesundheitsreform? Ich finde, dass mit der Reform viele gute Schritte gesetzt wurden, die unser Gesundheitssystem und die Gesundheitsversorgung in Zukunft nachhaltig absichern werden. Allein die Digitalisierungsschritte, die nun beschlossen wurden, werden maßgeblich dazu beitragen. Ich denke dabei an die Verrechnung von Leistungen von Wahlärzt:innen und deren Teilnahme an der Gesundheitsakte ELGA. Durch die Reform wurden Dinge in Gang gebracht, die mittlerweile europaweit oder zumindest in vergleichbaren Ländern State of the Art sind. Es ist toll, dass wir es endlich geschafft haben, auch eine breite Versorgung durch die erwähnte verpflichtende ELGA-Anbindung, aber auch durch Primärversorgungszentren gesetzlich festzulegen. Das stärkt unser Gesundheitssystem. Ich persönlich finde es allerdings schade, dass die Wirkstoffverschreibung nicht geklappt hat. Ich denke aber, dass es hier noch mehr Informationen und Sicherheiten braucht, dann wird auch das gelingen.
Wie schätzen Sie das geplante Arzneimittelbewertungsboard ein? Ich begrüße eine österreichweit einheitliche Regelung des Bewertungsboards. Ich glaube, das ist auch abseits von den EU-HTA-Vorgaben notwendig, dass in Österreich die Bürger:innen einen einheitlichen, gleichen Zugang zu diesen teuren, innovativen Medikamenten haben. Es wäre jetzt wichtig, Bewusstsein für die Arbeitsweise des Boards zu schaffen. Was wird tatsächlich bewertet, in welcher Form und so weiter. Ich habe nicht die Sorge, dass es zu einem eingeschränkten Zugang kommt, zumal die Rechtslage klar ist und Therapien auch abseits des Bewertungsprozesses verabreicht werden können. Das heißt, die Therapiehoheit bleibt weiterhin bei den Ärzt:innen. Hier bestehen noch Kommunikationsprobleme, das ist noch nicht allen klar. Sind wir Patientenanwält:innen in nächster Zeit gefordert, genau zu beobachten, wie viele Medikamente tatsächlich in das Board kommen und ob es während des Bewertungsprozesses zu „Zurückhaltung“ in der Verordnung bei einzelnen Patient:innen kommt.
Inwiefern ist der Spardruck im System eine Problem für Patient:innen? Einen Spardruck gibt es im Gesundheitssystem schon lange. Für mich geht es aber immer darum, wo bekommen Patient:innen die beste Versorgung. Spitäler mögen zwar die teuerste Versorgungsform sein, aber dort gibt es nun einmal hochspezialisierte Medizin. Mit einer Krebserkrankung brauche ich möglicherweise eine Strahlentherapie oder ähnlich spezialisierte Behandlungen. Und die gibt es vorrangig in speziellen Zentren. Wenn jemand darauf angewiesen ist, dann muss diese Behandlung auch gewährleistet sein, da darf nicht gespart werden. Aber natürlich müssen wir im Gegenzug darauf achten, dass Patient:innen, die eine derartig spezialisierte Therapie nicht brauchen, vorrangig im niedergelassenen Bereich oder ambulant versorgt werden. Diese Versorgung fängt für mich schon bei den Apotheken an. Auch dort findet Gesundheitsberatung statt – und vielleicht bald Impfungen. Oder bei der Hotline 1450, das sind tolle Angebote. Ich glaube, es geht bei manchen Problemen weniger um einen Spardruck, als um allgemein nicht zur Verfügung stehende Ressourcen, besonders Personalressourcen im Gesundheitssystem. Da muss dringend etwas getan werden, genauso wie bei der Patient:innen-Lenkung.
Der Personalmangel trifft die Pflege am stärksten. Was kann oder muss hier getan werden? Das Positive ist, dass man mittlerweile erkannt hat, wie wichtig die Pflege im Gesundheitssystem ist. Und ich sage das immer gern überspitzt: Man hat endlich erkannt, dass Pflegekräfte nicht die Assistent:innen der Ärzt:innen sind, sondern eine eigenständige, hochprofessionelle Berufsgruppe, die in ganz vielen Bereichen gebraucht wird. Was ist also zu tun? Wir müssen einerseits genügend Menschen für die Pflege ausbilden, denn sie werden überall gebraucht, bis in die Primärversorgungszentren. Und wir müssen passende Rahmenbedingungen schaffen wie Dienstplansicherheit inklusive eines Mitspracherechts. Die Menschen sollen diesen Beruf gerne machen. Was mir persönlich noch sehr am Herzen liegt, sind die Themen Langzeitpflege und mobile Pflege. Die Gruppe der älteren, unterstützungsbedürftigen, pflegebedürftigen Menschen wird sehr groß werden. Mit ihnen zu arbeiten, sie zu betreuen und zu pflegen ist einerseits eine große Herausforderung. Aber es kann auch wirklich schön sein, weil es viel mit Beziehungsarbeit zu tun hat. Immerhin betreut man viele dieser Menschen jahrelang. Ich finde also, es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen und gleichzeitig zu zeigen, dass Pflege ein attraktiver Beruf ist. (Das Interview führte Katrin Grabner)