Am Sonntag stimmen die Schweizer:innen in gleich zwei Volksentscheiden über die Gesundheitsfinanzierung ab. Was Österreich von den dortigen Debatten lernen kann.
Die Kosten für die Gesundheitsversorgung in der Schweiz sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen – allein im Vorjahr um 8,7 Prozent. Weil es dort Kopfpauschalen und einen Versicherungswettbewerb gibt, können sich viele Menschen die massiv gestiegenen Versicherungsprämien nicht mehr leisten. Die öffentliche Hand – konkret die Kantone – zahlen dann Zuschüsse. Jetzt wird abgestimmt, ob eine Kostenbremse eingeführt werden soll. Künftig sollen die Lohnentwicklung und das Wirtschaftswachstum vorgeben, wie stark die Kosten der Krankenversicherung maximal steigen dürfen. Gesundheitsberufe fürchten einen Kostendeckel und einen Spardruck im System. Die zweite Initiative fordert, dass die Versicherten höchstens 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Prämien aufwenden müssen. Das Ergebnis der Entscheide ist für die Politik bindend. Beide Initiativen würden im Fall einer Annahme Milliarden kosten, weil die öffentliche Hand die entstehenden Finanzierungslücken schließen müsste.
Österreich kann gleich mehrere Dinge von der Schweizer Debatte lernen: Mit einem Beitragssatz von 7,65 Prozent im ASVG-Bereich haben wir ein vergleichbar günstiges System. Zweitens ist dieser Beitragssatz seit 2004 nicht mehr gestiegen – und damals wurde er sogar gesenkt. Das hat zu einem Kostendruck im Gesundheitswesen geführt. Drittens: Versicherungswettbewerb macht ein Gesundheitssystem nicht billiger. Viertens: Man kann über Dinge, wie die Finanzierung des Gesundheitswesens mit den Menschen diskutieren. Man kann die Versicherten in Entscheidungen einbeziehen. In Österreich passiert das stellvertretend über die gewählten Vertreter:innen in der Selbstverwaltung durch Arbeiterkammer- und Wirtschaftskammerwahlen.
Eine Erhöhung der Beitragssätze oder eine Verbreiterung der Beitragsgrundlage durch Einbeziehung von Vermögen oder Gewinnen sind in Österreich aber ein absolutes Tabu. Man scheut sich vor einer Erhöhung der Lohnnebenkosten. Aber warum diskutieren wir nicht wie in der Schweiz mit den Menschen darüber? Warum fragen wir sie nicht, wie viel ihnen die Gesundheitsversorgung wert ist? Tatsächlich geben sie nämlich bereits täglich die Antwort: 38 Prozent der Bevölkerung haben eine private Zusatzversicherung. Allein im Vorjahr kamen 60.300 neue Privatversicherte dazu, rechnet der Versicherungsverband vor. Brechen wir ein Tabu: reden wir über Beitragserhöhungen in der öffentlichen Krankenversicherung. Reden wir darüber, was für ein Wirtschaftsmotor Gesundheitsausgaben sein können. Und hören wir auf Gesundheitsausgaben immer nur als Kosten zu sehen. Wird in Österreich mehr Geld für Straßenbau ausgegeben, nennt das ja auch niemand Kosten, sondern eine „Standortinvestition“. Doch die Beschäftigten im Gesundheitswesen müssen sich ständig dafür verteidigen was sie Kosten und welche Kosten ihre Arbeit verursacht. (rüm)