Gesundheitsminister Rauch spricht jetzt Klartext

© Udo Mittelberger

Was Gesundheitsminister Johannes Rauch über Ärzteschaft, Apotheken, Pharmaindustrie, die Länder und die Krankenversicherung denkt und wie es mit den Reformen weitergehen soll.

In den vergangenen Wochen wurde von der Öffentlichkeit wenig bemerkt um die Bundeszielsteuerung und die Umsetzung gerungen. Wo steht die Reform jetzt? Die Beschlussfassung des Zielsteuerungsvertrages war der letzte Baustein der Reform. Das war vor dem Sommer noch ein echter Kraftakt. Wir haben die Basis gelegt für die nächsten Jahre. Jetzt geht’s ans Eingemachte, nämlich die Umsetzung. So eine Reform ist ja nicht fertig, wenn die Gesetze beschlossen und die finanziellen Mittel fixiert sind. Das ist ein Grundirrtum. Sie braucht Governance, also Strukturen für die Umsetzung. Die Bundeszielsteuerungskommission kann jetzt viel stärker als früher die Steuerung des Gesundheitssystems wahrnehmen. In den Landeszielsteuerungskommissionen geht das auch besser. Die Ärztekammer, von der viele Querschüsse kamen, hat dort keine Möglichkeit mehr, Projekte zu blockieren. Aber: bitte nicht in die Erwartungshaltung verfallen, es ändert sich jetzt morgen alles. Wir haben die Basis geschaffen, sei wird in den nächsten Jahren ihre Wirkung entfalten.

Warum war der Zielsteuerungsvertrag so ein Kraftakt? Es gab Versuche, vereinbarte Dinge noch einmal aufzuschnüren. Die Bundesländer und die Sozialversicherung wollten zwar das Geld, haben aber die vereinbarten Reformen vergessen. Das waren noch einmal Kilometer ohne Ende mit vielen Reibungsverlusten. Am Ende gab es aber ein gewisses Maß an Zusammenrücken. Alle haben erkannt, dass wir das System nur gemeinsam nach vorne bringen können. Wir müssen weg vom Zweisäulenmodell, wonach jemand nur entweder gesund oder krank ist. Wir brauchen mehr Säulen mit Vorsorge und Prävention, der Behandlung, ambulant oder stationär, und der Reha. Das ist jetzt alles fixiert – einstimmig. Jetzt sind die Voraussetzungen geschaffen für die Verzahnung zwischen den unterschiedlichen Welten ambulant und stationär, auch für die Schaffung der Datenplattform. Alle sind hier ja jahrelang auf ihren Daten gesessen wie auf den Kronjuwelen.

Wieso wollten Länder und Kassen die Daten nicht hergeben? Das ist eine gute Frage. Ich denke: Daten sind Macht und die wollte niemand aufgeben. Wir haben aber jetzt das gemeinsame Ziel, Daten zu aggregieren und damit die Gesundheitspolitik besser zu steuern.

Wie soll es jetzt weitergehen? Die Legislaturperiode geht zu Ende. Was ist, wenn Länder und Kassen danach das Ding wieder aufschnüren wollen? Es braucht dann jemanden – auch auf diesem Sessel (zeigt zu seinem Schreibtisch) – der in der Bundeszielsteuerungskommission und bei den Systempartnern die Reformen vorantreibt. Der drauf schaut, dass die Dinge umgesetzt werden. Ich bin aber zuversichtlich, weil der Anreiz, sich zu einigen deshalb größer ist, weil jetzt viel mehr Geld da ist. Es gibt eine Milliarde pro Jahr, alle wollen an dieses Geld. Die Gefahr, dass man sich gegenseitig blockiert, ist jetzt geringer, weil dann das Geld verfällt. Für die Umsetzung heißt es, täglich dranzubleiben. Anders gesagt: Es ist eine charmante, goldene Brücke zwischen beiden Welten – Ländern und Sozialversicherung, ambulante und stationäre Versorgung – gebaut worden. Sie besteht aus einer Milliarde Euro pro Jahr. Diese Brücke muss jetzt begangen werden.

Welche Vorhaben und Pläne haben Sie noch bis zu Wahl? Es gibt noch die eine oder andere Verordnung, die in Vorbereitung ist. Das nationale Impfgremium ist beauftragt, bis Jahresende eine Priorisierung vorzulegen, um das zusätzliche Budget für Impfungen möglichst effektiv einzusetzen. Der Aktionsplan für postvirale Syndrome – Stichwort ME/CFS – soll noch bis September fertig werden, auch die Referenzzentrale für postvirale Syndrome startet. Beim Epidemiegesetz sind wir dran und es ist auf gutem Weg, aber nicht fertig. Das geht sich nicht mehr aus, denn es gibt nur noch eine Plenumssitzung des Nationalrates. Hier sind einfach zu viele Akteure beteiligt und die Gesetzgebungsperiode läuft aus. Impfen in den Apotheken bleibt ein Thema. Das war nicht lösbar. Schade, ich hätte es gemacht. Was zu tun bleibt: mehr Prävention/Vorsorge und die Verbesserung der Gesundheitskompetenz.

Eine offene Baustelle, wenn man sich im Gesundheitswesen umhört, ist auch noch die Versorgung mit Medikamenten. Viele erwarten im Winter erneut Engpässe, die Industrie kritisiert, dass sie zu wenig Zeit für die Umsetzung der Bevorratungsverordnung hat. Wie sieht es Ihrer Meinung nach aus? Wir haben Wirkstofflager geschaffen, die Einfuhr von Medikamenten aus EWR-Staaten erleichtert und die Bevorratungsverordnung umgesetzt. Sie ist gemeinsam mit der Industrie erarbeitet worden. Die Industrie hatte also schon Monate Zeit, die Lager aufzufüllen. Gleichzeitig ist auch die europäische Pharmastrategie in Verhandlung. Ich rechne damit, dass das im ersten Halbjahr 2025 auf den Weg kommt. Die Industrie muss sich fragen, worauf sie ihre Forschung konzentriert: in die Breite bei Volkskrankheiten oder in seltene Erkrankungen, wo noch viel Potenzial ist.

Was ist das Ziel? Es braucht einfach eine europäische Zusammenarbeit bei Medikamenten, sowohl bei der Forschung und Produktion als auch bei der Beschaffung. Zu glauben, dass Österreich alleine oder jedes Landesspital alleine eine gute Verhandlungsposition hat in einem globalisierten Markt, ist einfach falsch. Wir wissen, dass bei niedrigpreisigen Medikamenten etwas passieren muss – die Probleme kann ich nachvollziehen. Bei Hochpreisern gibt es exorbitante Preissteigerungen. Das sind Beträge, die nicht mehr darstellbar sind, gerade auch wenn man öffentliche Forschungsgelder lukriert. Mein Appell an Bigpharma ist: Es gibt eben neben der Verantwortung dem Aktionär gegenüber auch eine Verantwortung dem Gemeinwesen gegenüber.

Immer wieder ist hier zu hören, dass neue Therapien auch neue Strukturen im Gesundheitswesen erfordern. Das zuletzt von der EMA abgelehnte Alzheimermedikament hätte auch nur Sinn gemacht, wenn es eine Teststruktur zur Früherkennung gibt. Die gibt es aber nicht. Was kommt hier durch den Fortschritt künftig auf das System zu? Es ist notwendig, jetzt den Fokus auf die demographische Entwicklung zu legen. In zehn Jahren haben wir deutlich mehr 80-Jährige, die an bestimmten Erkrankungen leiden. Also muss ich fragen: Was kann ich präventiv tun, um Erkrankungen zu verhindern, und was muss ich tun, um adäquate Behandlungsmöglichkeiten zu haben? Tun wir das jetzt nicht, hinkt die Gesundheitspolitik immer den Entwicklungen hinterher.

Ihr Ansatz für die Zukunft? Für die gesundheitspolitische Planung – und zwar eine Vorausplanung – brauchen wir ein gesamthafteres Bild. In den vergangenen Jahren stand die Krisenbewältigung im Vordergrund, die Pandemie und ihre gesundheitlichen Folgen. Mit der Gesundheitsreform haben wir die Voraussetzungen für eine vorausschauende Planung geschaffen. Aber wir müssen uns nicht nur fragen, wo die Herausforderungen in zwei oder drei Jahren sind, sondern in 10 bis 15 Jahren. Mit KI und IT stehen uns etwa Umbrüche und Revolutionen im Gesundheitsbereich bevor, die wir noch gar nicht am Schirm haben. (Das Gespräch führte Martin Rümmele)