Der Countdown zur Nationalratswahl am 29. September läuft. Die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems zählt zu den wichtigsten Zukunftsthemen. Relatus hat die Spitzenkandidat:innen nach ihren Ideen gefragt. Den Auftakt mach NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
Welche Top-3 Themen müssten aus Ihrer Sicht jedenfalls im nächsten Regierungsprogramm stehen, wenn es um die Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems geht? Das Gesundheitssystem braucht endlich mutige Reformen, damit wir die Mängel für so viele Betroffene – von Patient:innen über Ärzt:innen bis zu den Pflegekräften – angehen können. Erstens: Bundesweit einheitliche Vorsorgeprogramme mit Anreizsystem. Österreichs Bevölkerung verbringt zu viele Lebensjahre mit mehreren chronischen Krankheiten und in schlechtem Gesundheitszustand. Wer früher sein Risiko für eine Krankheit erkennt oder rechtzeitig Diagnosen erhält, ist rascher in Behandlung und hat damit eine bessere Chance auf Genesung oder zumindest einen guten Krankheitsverlauf – und damit eine bessere Lebensqualität. Zweitens: Umfassende Präventionsprogramme, die Gesundheitskompetenz stärken und beispielsweise Bewegungsanreize inkludieren. Wer gesund sein will, muss auch verstehen, was das bedeutet. Soweit aus Studien bekannt, ist es um die Gesundheitskompetenz und den gesunden Lebensstil der österreichischen Bevölkerung aber nicht ideal bestellt. Damit der Gesundheitszustand verbessert werden kann, muss auch das nötige Wissen vorhanden sein. Dementsprechend sind eine Steigerung der Gesundheitskompetenz und mehr Anreize etwa für gesunde Ernährung und die Integration von Sport in den Alltag nötig. Und es braucht gut durchdachte Programme, um dies alles auch in die Breite zu bringen. Drittens: Digitalisierung forcieren und ELGA ausbauen. Viele Berichte über Belastung und Überlastung im Gesundheitssystem hängen mit mangelnden Informationen über den Gesundheitszustand von Patient:innen und überhöhten bürokratischen Aufwand für die Mitarbeiter:innen zusammen. Durch eine bessere und natürlich sichere Datennutzung kann einerseits dieser Aufwand reduziert werden, andererseits können beispielsweise Informationen über Vorerkrankungen einen wichtigen Beitrag zur besseren Versorgung von Patient:innen leisten. Hier muss das Ausbautempo in Österreich erhöht werden.
Sie sprechen von mutigen Reformen, die es braucht. Nach der jüngsten Gesundheitsreform stehen auf Basis des Finanzausgleichs insgesamt 14 Milliarden Euro bis 2028 zur Verfügung. Reichen diese Mittel aus? Viele Patient:innen müssen aus Abwicklungsgründen Mehrfachuntersuchungen durchführen lassen, werden wegen eines bestimmten Krankheitsfalls mehrfach bei Ärzt:innen oder in Krankenhäusern vorstellig oder lösen mehrere Rettungseinsätze an einem Tag aus. Diese Beispiele sind ganz klare Aufforderungen, das Gesundheitssystem zum Wohle der Patient:innen effizienter zu machen, was ebenso ein hohes Sparpotenzial darstellt. Die jetzt vorgegebenen Mittel werden nicht ausreichen, wenn es keine mutigen Strukturreformen gibt.
Sollte in diesem Zusammenhang auch das Thema Frauengesundheit/Gendermedizin stärker in die Gesundheitspolitik der kommenden Jahre einfließen? Gendermedizin muss flächendeckend ein Aspekt von guter Gesundheitsversorgung sein und darf nicht als Nischenthema oder Sonderfach betrachtet werden. Dafür braucht es umfassende Weiterbildungen in der gesamten Ärzteschaft und bei allen anderen Gesundheitsberufen und eine systematische Berücksichtigung des Themas in Ausbildungen.
Was halten Sie von der aktuellen Struktur des Gesundheitsressorts? Würden Sie es, wenn Ihre Partei nach der Nationalratswahl in Regierungsverantwortung wäre, in dieser Form belassen: Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz? Nein. In der jetzigen Form ist das Ministerium jedenfalls zu groß, das hat sich in der Pandemie gezeigt. Gesundheit und Pflege sollten ein gemeinsames Thema sein, damit die vielen überfälligen Reformen endlich umfassend angegangen werden können. (Das Interview führte Evelyn Holley-Spiess)