Eine aktuelle Umfrage der Standesvertretung in Wien zeigt ein beunruhigendes Ausmaß an Gewalterfahrungen im Berufsalltag – Tendenz steigend. Eine Gruppe ist besonders betroffen.
37 Prozent der Wiener Ärzt:innen sind regelmäßig von Gewalt betroffen. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) von 1.102 befragten Mediziner:innen war in den vergangenen zwei Jahren zumindest einmal mit verbaler Gewalt und ein Viertel (24 Prozent) mit psychischer Gewalt im Beruf konfrontiert, zeigt eine Umfrage der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien. Und: „16 Prozent haben körperliche Gewalt erfahren müssen“, fügte Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart im Rahmen einer Pressekonferenz hinzu. Die Gewalt geht laut Umfrage in erster Linie von Patient:innen aus, in zweiter Linie von deren Angehörigen, ergab die Erhebung des Meinungsforschungsinstituts von Peter Hajek. Als Hauptursache für Aggression und Gewalt wurden lange Wartezeiten, überlaufene Praxen und Spitäler sowie Personalmangel genannt. 71 Prozent der befragten Wiener Mediziner:innen orten einen generellen Anstieg der Aggression in der Gesellschaft.
Von jenen 37 Prozent, die in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig von Gewalt betroffen waren, gaben 27 Prozent an, „immer wieder“ solche Erfahrungen zu machen. Acht Prozent sind „häufiger“ und zwei Prozent „beinahe täglich“ mit Gewalt im Beruf konfrontiert. Vor allem Spitalsärzt:innen berichten von Gewalterfahrungen (60 Prozent), aber auch in den Ordinationen (30 Prozent) kommt es immer wieder zu Vorfällen. Stärker von Gewalt betroffen sind Unter-40-Jährige, angestellte Mediziner:innen und im Wiener Gesundheitsverbund Beschäftigte, erläuterte Hajek. Mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer:innen leidet bereits unter psychischer Unsicherheit (55 Prozent). 68 Prozent wünschen sich zusätzliche Maßnahmen gegen Gewalt am Arbeitsplatz.
Eine RELATUS-Umfrage zeigte bereits vor zwei Jahren, dass Gewalterfahrungen unter Ärzt:innen steigen. Damals gaben sogar 52,2 Prozent der Befragten an, schon mehrmals bei der Ausübung ihres Berufes mit Drohungen, Beschimpfungen und Gewalt konfrontiert gewesen zu sein. Knapp die Hälfte wünschte sich damals mehr Unterstützung von der Standesvertretung, weit mehr als die Hälfte strengere Gesetze und Strafen sowie mehr öffentliche Wahrnehmung für dieses Problem.
Die Politik müsse Maßnahmen erarbeiten, die ein gewaltfreies Arbeiten sicherstellen und Gesundheitseinrichtungen bräuchten besonderen Schutz durch die Exekutive, forderten indes Steinhart und die Vizepräsidentinnen Naghme Kamaleyan-Schmied und Natalja Haninger-Vacariu. Auch die Spitalsträger müssten das Bewusstsein für Gewalt im Beruf schärfen und Übergriffe nicht verharmlosen, sondern jeden Fall sorgfältig erheben und evaluieren. Zudem sollten sie Deeskalationsseminare anbieten, um Ärzt:innen Instrumente zur Konfliktlösung zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus brauche es österreichweit mindestens 1.000 zusätzliche Kassenplanstellen, um Wartezeiten zu verkürzen – auch in Spitälern, zur Reduktion der Dauer bis zu einer Operation. „Aggression und Gewalt dürfen keinen Platz in unseren Ordinationen und Spitälern haben“, waren sich die drei Mitglieder des Wiener Ärztekammer-Präsidiums einig. (kagr/APA)