Angela Kogler, neue Obfrau der Jungen Allgemein- und Familienmedizin Österreich (JAMÖ) erklärt im Interview, wie mehr junge Leute für das Fach begeistert werden können.
Frau Kogler, warum engagieren Sie sich in der JAMÖ? Meine Vision bei der JAMÖ ist es, die Ausbildung stärker auf die Primärversorgung auszurichten und die Attraktivität für die Allgemein- und Familienmedizin zu steigern. Seit ich die Ausbildung für Allgemeinmedizin gestartet habe, werde ich regelmäßig gefragt, warum ich mir das antue. Derzeit ist unsere Ausbildung stark auf das Krankenhaus ausgerichtet, wo wir alle drei Monate die Abteilungen wechseln. Dieses System bringt viele Herausforderungen mit sich: Wir starten ständig neu in unbekannten Teams, übernehmen viele Verwaltungsaufgaben und haben oft wenig Zeit, wirklich praxisnah zu lernen. Daher gilt es stets für mehr Qualität in der Ausbildung zu kämpfen. Bei der JAMÖ setzen wir uns dafür ein, dass wir mehr Zeit in der Lehrordination und in den Ambulanzen verbringen können – dort, wo wir die Fähigkeiten für die spätere Arbeit in der Ordination wirklich erlernen. Darum begrüße ich die zukünftige Schwerpunktsetzung in der Ausbildung für Allgemein- und Familienmedizin auch sehr.
Was halten Sie vom Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin? Das Beste daran ist, dass man bereits zu Beginn der Ausbildung in einer Lehrpraxis arbeiten kann. Das erlaubt uns Jungmediziner:innen einen frühzeitigen Einblick in die spätere Berufspraxis – eine Veränderung, die längst überfällig ist. Auch die neue Aufteilung der Pflicht- und Wahlfächer geht auf die Häufigkeit von Behandlungsanlässen ein und steigert damit die Relevanz für die anspruchsvolle Arbeit in der Primärversorgung. Natürlich hätten wir uns in der Ausbildung mehr Flexibilität und eine schnellere Umsetzung gewünscht. Und auch das Gesetz für die Fachausbildung allein reicht nicht. Jetzt geht es darum, die Ausbildung auch in der Praxis mit Leben zu füllen.
Eine gute Möglichkeit also, um mehr junge Leute für die Allgemeinmedizin zu begeistern. Was muss weiter passieren, um das zu schaffen? Wie soll man sich für einen Beruf entscheiden, wenn man ihn nie richtig kennenlernen konnte? Deshalb brauchen wir bereits früh im Studium Gelegenheiten, die Vielfalt der Allgemeinmedizin zu erleben – sei es in Einzelordinationen, Gruppenpraxen oder Primärversorgungseinheiten. Außerdem brauchen wir Vorbilder und Mentor:innen aus der Praxis, die uns während der Ausbildung begleiten und Sorgen zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Selbstständigkeit, Fragen zu Betriebswirtschaft und Unternehmensgründung beantworten können. Denn der Schritt in die Selbstständigkeit ist mit vielen Unsicherheiten verbunden, welche im Krankenhausalltag kaum adressiert werden.
In der neuen Facharztausbildung für Allgemein- und Familienmedizin ist ein Mentoring-Programm ja teilweise integriert… Genau. Diese Möglichkeit sollte jedoch kein optionaler Zusatz sein, sondern einen essenziellen Teil der Ausbildung darstellen. Bei unseren Veranstaltungen legen wir auch großen Wert darauf, diesen Vorbildern aus der Praxis eine Bühne zu geben, wodurch die Realität und Faszination der Allgemein- und Familienmedizin erlebbar wird.
Was sind also Ihre kurz- und langfristigen Ziele als JAMÖ-Obfrau? Ein Highlight in der JAMÖ ist der jährliche Kongress, der heuer seinen 10. Geburtstag in Salzburg feiert. Er bietet eine wertvolle Plattform für Vernetzung und Inspiration, um auch im oft eintönigen Klinikalltag das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: die Arbeit in der Primärversorgung. Weiterhin möchte ich die Qualität in der Ausbildung stärken, evidenzbasierte Medizin, Forschungsmöglichkeiten in der Allgemein- und Familienmedizin, sowie internationale Austauschprojekte fördern. Langfristig gilt es, den Facharzt beziehungsweise die Fachärztin für Allgemein- und Familienmedizin zu etablieren und für unsere Mitglieder attraktive Möglichkeiten zur Weiterbildung zu schaffen.
Was ist Ihnen als JAMÖ-Obfrau besonders wichtig? Besonders wichtig für mich als Obfrau ist auch, die ehrenamtliche Arbeit meines Teams wertzuschätzen und zu unterstützen. Es ist nicht selbstverständlich, wie viel Zeit und Engagement alle in unseren Verein investieren. Ob beim Programmieren einer Website oder bei der Organisation von Veranstaltungen – wir bringen uns vieles selbst bei und gehen mit Freude an unsere Aufgaben, auch wenn es nicht immer einfach ist… Aber auch das gehört zur gelebten Allgemein- und Familienmedizin: Ein gutes Zeitmanagement, Offenheit für Neues und intensiver Austausch in mehreren, unterschiedlichen Teams!
Und zu guter Letzt: Warum haben Sie sich für die Allgemeinmedizin entschieden? Wenn ich versuche, meine Faszination für die Allgemein- und Familienmedizin zu erklären, beschreibe ich gerne eine Detektivin: Sie kann schon beim ersten Eindruck – dem Gangbild, der Stimme, der Haut – viel über eine Person sagen. In der Allgemeinmedizin ist das ähnlich, vor allem, wenn man die Vorgeschichte und Lebenswelten der Patient:innen kennt. Dann fügt man noch ein Gespräch, eine körperliche Untersuchung und eventuell etwas Diagnostik hinzu. Und jetzt kommt der für mich spannendste Teil: Durch die langfristige Betreuung und Zusammenarbeit können präventive Maßnahmen individuell gefördert und etabliert werden. In der Allgemein- und Familienmedizin laufen die Fäden aus der Gesundheitsversorgung zusammen, und genau das macht diesen Beruf für mich so besonders. (Das Interview führte Katrin Grabner.)