In Wien wurde erstmals in Österreich eine neuartige Gentherapie zur Behandlung der schweren Form der Hämophilie B durchgeführt.
Hämophilie ist eine erbliche Blutgerinnungsstörung, bei der das Blut nicht richtig gerinnt. Dies führt dazu, dass Betroffene nach Verletzungen länger bluten als gesunde Menschen oder spontane Blutungen, insbesondere in Gelenke mit schwerwiegenden Folgen, entwickeln. Die Erkrankung wird meist durch einen Mangel oder das Fehlen bestimmter Gerinnungsfaktoren (Faktor VIII bei Hämophilie A oder Faktor IX bei Hämophilie B) verursacht. Sie betrifft fast ausschließlich Männer, da sie X-chromosomal vererbt wird. Die Behandlung erfolgt in der Regel durch die Gabe der fehlenden Gerinnungsfaktoren, um Blutungen vorzubeugen.
Die neue Behandlung mittels Gentherapie hat gegenüber bisherigen Therapiemethoden den Vorteil, dass sie nur einmal in Form einer intravenösen Infusion durchgeführt werden muss und auf Jahre hinaus wirkt. Bei dieser Gentherapie (Wirkstoff etranacogene dezaparvovec) wird ein funktionelles Gen für den fehlenden Gerinnungsfaktor mithilfe eines modifizierten viralen Vektors, hier eines Adeno-assoziierten Virus (AAV), in die Leberzellen von zu therapierenden Patient:innen eingeschleust. Die Leberzellen beginnen daraufhin, den fehlenden Gerinnungsfaktor selbst zu produzieren, was die Notwendigkeit regelmäßiger Infusionen reduziert oder sogar eliminiert. Dabei wird nicht in die Keimbahn der Zellen, die für die Weitergabe des Erbguts verantwortlich ist, eingegriffen, sondern nur direkt als Addition in die Zellen in der Leber, die für die Produktion des Gerinnungsfaktors zuständig sind.
„Die neue Therapie hat gegenüber bisherigen Behandlungsmethoden den Vorteil, dass sie relativ nebenwirkungsarm ist, nur einmal intravenös verabreicht wird und nicht wöchentlich. Es ist eine große Chance für Menschen mit Hämophilie B, über Jahre ein beschwerdefreies Leben zu führen“, erklärt der Leiter des Programms Cihan Ay von MedUni Wien und AKH Wien. „Laut Zulassungsstudien sprechen über 90 Prozent der Patient:innen gut darauf an, und die Wirkung hält auch noch nach Jahren an.“ Der Wirkstoff ist derzeit zur Behandlung von schweren und mittelschweren Formen der Hämophilie B zugelassen.
„Für die Community der betroffenen Patient:innen und ihre Angehörigen ist das ein enorm wichtiger Schritt, darauf hofft und wartet unsere Gemeinschaft seit Jahrzehnten“, betont Thomas Schindl, Vorsitzender der Österreichischen Hämophilie Gesellschaft (ÖHG). „Wir sind stolz und dankbar, dass wir den Hämophilie-B-Patient:innen in Österreich eine Behandlungsoption anbieten können, die ihr Leben verändern kann“, erklärt Beate Natmessnig, Geschäftsführerin des Herstellers CSL Behring Österreich. Dieser Erfolg sei das Ergebnis einer hervorragenden regionalen und nationalen Zusammenarbeit aller Beteiligten und ein starker Beweis für die Innovationskraft Österreichs. (red)