Während sich die Stimmen in der Ärzteschaft und im Pflegebereich mehren, in Sachen Corona vorsichtiger zu sein, will sich die Ärztekammer nicht positionieren.
Eine Initiative von Wiener Ärzt:innen kritisiert angesichts steigender Corona-Fallzahlen und neuer Virusvarianten das Fehlen jeglicher Corona-Schutzmaßnahmen. Patient:innen – darunter auch vulnerable Personen – seien aufgrund des Fehlens jeglicher offizieller Schutzmaßnahmen dem Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 ungehindert ausgesetzt – sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in Spitälern. „Wir können eine ständige, unmitigierte Durchseuchung der Bevölkerung mit einem Gefäß-schädigenden, neurotropen Virus, wie SARS-CoV-2, bei dem eine frühere Infektion nicht längerfristig vor einer weiteren Infektion schützt, nicht verantworten“, so die Unterzeichner:innen.
„Durch Infektionen und Reinfektionen sehen wir bereits jetzt, dass den Menschen gesunde Lebensjahre verloren gehen, die Übersterblichkeit anhaltend zu hoch ist, und alleine in Europa 36 Millionen Menschen als Folge einer SARS-CoV-2 Infektion chronisch krank geworden sind. COVID-19 ist kein Schnupfen. Es ist kein grippaler Infekt. Es ist eine systemische, Gefäß-schädigende Erkrankung, die sich lediglich über den respiratorischen Weg, über Aerosole, ausbreitet“, heißt es in dem von der Ärztin Golda Schlaff initiierten Schreiben, das von mehreren Spezialist:innen unterzeichnet wurde – u.a. dem Leiter der Neuro-Covid Ambulanz des Evangelischen Krankenhaus in Wien, Udo Zifko, der Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie der Klinik Floridsdorf, Arschang Valipour oder Long-Covid-Expertin Kathryn Hoffmann von der MedUni Wien.
Vorgeschlagen wird eine verpflichtende Fortbildung der Ärzteschaft zum Thema Long-/Post-Covid und zur systemischen Wirkung von SARS-CoV2 auf den Organismus. Die Ärzteschaft solle auch eine „vorbildhafte Funktion“ einnehmen und Maßnahmen zum Schutz aller Menschen setzen, etwa den Einsatz von CO2-Messgeräten in Innenräumen, gute Ventilation, Luftreinigung mit HEPA-Filtern, FFP2-Masken sowie Testungen und Isolation bei Symptomen. Auch sollte COVID-19 wieder als meldepflichtige Erkrankung gelten, so die Unterzeichner.
Auch aus der Pflege kommen Warnungen. Menschen, die an den Folgen einer Long-Covid-Erkrankung leiden, sollen künftig Pflegegeld erhalten können. Das fordert die Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger. Die Pandemie habe mit all ihren Folgen für viele Menschen, die von einer Infektion betroffen waren, auch Langzeitfolgen und Erkrankungen mit Pflegeaufwand mit sich gebracht, so die Argumentation anlässlich des bevorstehenden Nationalen Aktionstags für pflegende Angehörige am Mittwoch. Die Folgeerkrankungen von Long- und Post-Covid würden an die 100 verschiedene Symptome in verschiedenen Ausprägungen umfassen. „Wer davon betroffen ist, ist unter den ungünstigsten Umständen auf die Pflege und Betreuung der Angehörigen und Zugehörigen angewiesen“, argumentierte Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger. Um sie in ihrer Pflege und Betreuung zu unterstützen, sei es notwendig, dass die Erkrankten eine Pflegegeldstufe hätten.
Ärztekammer-Vizepräsident Harald Mayer zeigte sich am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz zu dem an die Wiener Ärztekammer adressierten Offenen Brief aus der Ärzteschaft allerdings zurückhaltend. Man werde das Thema als Standesvertreter im Herbst verfolgen, aber jetzt keinen Standpunkt abgeben, sagte er. (rüm)