Die von Apotheken geforderte und dem Gesundheitsminister in den Raum gestellte Wirkstoffverschreibung ruft nun die Ärztekammer auf den Plan. Sie startet eine Kampagne dagegen.
Als „Patientengefährdung“ bezeichnete Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte Pläne von Gesundheitsministers Wolfgang Mückstein (Grüne), dass Mediziner den Patienten nur Wirkstoffe verschreiben sollen, und die Apotheker das Medikament dafür frei wählen können. „Völlig ohne Not“ würde „versucht, die höchst vernünftige und bewährte Trennung der Rollen von Arzt und Apotheker aufzuheben“, sagte er. Steinhart: „Eine Wirkstoffverschreibung, bei der die Entscheidung über die tatsächlich abgegebene Arzneispezialität gänzlich vom Arzt auf den Apotheker übergeht, ist daher aus unserer Sicht eine dunkelrote Linie. Die Entscheidungshoheit muss natürlich bei den Ärztinnen und Ärzten liegen, die durch ihr jahrelanges Studium und die zusätzlichen Aus- und Weiterbildungen die nötige Kompetenz dafür mitbringen.“
Die Ärztekammer ortet klare Anzeichen, dass „der aktuelle Gesundheitsminister hier eine entsprechende Beschlussfassung schon vorbereiten lässt“ und sich eine Änderung im Arzneimittelgesetz für Arzneimittelsubstitutionen, also die Herausgabe äquivalenter Medikamente auf Apothekenebene, vorstellen kann. Ab Samstag werde daher eine Aufklärungskampagne starten, um die Öffentlichkeit „vor der drohenden Gefährdung“ zu warnen. „In den größten österreichischen Tageszeitungen, Infoscreens in den größten österreichischen Städten sowie auf den großen Internetplattformen werden wir unsere Botschaft verbreiten, zudem wird die Homepage www.gegenwirkstoffverschreibung.at zur Verfügung stehen, um auf die vielen Probleme hinzuweisen, die die Wirkstoffverschreibung mit sich bringen würde. Zudem appellieren wir an unsere Patientinnen und Patienten, dass sie in der Apotheke drauf bestehen sollen, nur das Präparat zu erhalten, das ihre Ärztin oder ihr Arzt verschrieben hat“, unterstrich Steinhart.
„Wenn eine Ärztin oder ein Arzt ein Medikament verschreibt, dann denkt sie oder er sich auch etwas dabei“, stellte Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin in der Österreichischen Ärztekammer und Allgemeinmediziner in Tirol, klar: „Niemand kennt meine Patientin oder meinen Patienten medizinisch besser als ich. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass eine Patientin beispielsweise Schluckbeschwerden hat, verschreibe ich ihr ein lösliches Medikament. Wenn nun der Apotheker, der weder das Wissen noch die medizinische Kompetenz mitbringt, nur auf den Wirkstoff schaut und dieser Patientin einfach das gibt, was er gerade auf Lager hat und dieses Präparat dann eben nicht löslich ist, dann stehen wir vor einem gravierenden und potentiell gesundheitsgefährdenden Problem, das wir uns ganz einfach ersparen könnten.“ Aus der Erfahrung wisse man zudem, dass sich ein häufiger Wechsel von Medikamenten negativ auf die Compliance auswirkt. „Weiters erhöht das das Risiko von Fehl- und/oder Mehrfacheinnahmen – dass sich das ungünstig auf die Gesundung der Patienten auswirkt, kann sich wohl jeder vorstellen“, argumentierte Wutscher.
Die einzigen, die von einer Wirkstoffverschreibung wirklich profitieren würden, wären die Apotheken, die sich möglicherweise bei der Entscheidung, welches Produkt sie abgeben, durch Argumente wie Einkaufskonditionen und Rabatte beeinflussen lassen. Kritik kommt auch von Ernst Agneter, Pharmakologe und Inhaber des Lehrstuhles für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität: „Die Wirkstoffverschreibung hätte viele Nachteile, aber kaum Vorteile.“ Die von der Sozialversicherung kolportierte Einsparung laufe aber den Interessen der Apothekerinnen und Apotheker entgegen und sei insofern vernachlässigbar, als die wirklichen Einsparungen durch den Preisverfall lukriert würden und nicht durch den Austausch verschiedener Generika untereinander, sagte Agneter. „Eine Arzneimittelspezialität ist mehr als nur ein Wirkstoff“, sagte er. Dieser sei zwar der wohl wichtigste Inhaltsstoff, wie er sich im Körper verhält, wäre aber „ganz massiv durch die anderen Bestandteile beeinflusst“.
Unterstützung bekommen die Ärzte von der Industrie. Sollte eine Wirkstoffverordnung kommen, würde das die Versorgung und Behandlung von Patienten entscheidend verändern, betont Alexander Herzog, Generalsekretär des Branchenverbandes PHARMIG. Eine Wirkstoffverordnung löse keine Versorgungsprobleme, sondern verschärfe sie sogar noch, indem sie den Preisdruck auf die Medikamentenhersteller erhöht. „Dabei gilt Österreich im europäischen Vergleich ohnehin schon als ein Land, in dem die Medikamentenpreise unter dem EU-Durchschnitt liegen.“ Wird weiter an der Preisspirale gedreht, werden zahlreiche bewährte Arzneimittel vom Markt verschwinden, weil sich ihre Produktion wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Das kann nicht im Sinne einer Versorgungsverbesserung liegen.“
Auch der Generikahersteller Sandoz Österreich unterstützt die Kampagne der Ärzte. Sandoz teilt laut einer Aussendung die Befürchtung der Ärztevertreter, dass eine solche Wirkstoffverschreibung einerseits die Therapietreue gefährdet und gleichzeitig nicht die erhofften Einsparungen bringen wird. „Patientinnen und Patienten haben ein Recht darauf, dass ihre Medikamente nicht ständig anders aussehen, obwohl ihre Ärztin oder ihr Arzt keine Änderung der Therapie verordnet hat“, sagt Wolfgang Andiel, Head External Affairs, von Sandoz Österreich. „Auch wenn die Austauschbarkeit wirkstoffgleicher Medikamente durch den strengen Zulassungsprozess für Generika grundsätzlich möglich ist, gefährdet ein häufiger Austausch die Therapietreue und begünstigt Einnahmefehler.“ (red)