Wann ein Impfstoff auf den Markt kommt, ist völlig offen. Dennoch kaufen zahlreiche Länder bereits bei Pharmaunternehmen hunderte Millionen Impfdosen. Die Österreichische Ärztekammer warnt nun, dass Österreich dadurch das Nachsehen haben könnte.
Österreich müsse lernen rechtzeitig Vorsorge zu tragen. Noch dazu in einem Gesundheitsmarkt, der durch Wettbewerb geprägt ist wie noch nie, warnt der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, am Wochenende in seinem Blog. „Was bei den Masken und beim Grippeimpfstoff versäumt wurde, sollte bei Corona nicht passieren. Es könnte sein, dass in mittlerer Zukunft ein valider Impfstoff gefunden und produziert wird. Daher gilt: Jetzt die notwendigen Vorräte sichern. Und nicht warten, bis die Preise explodieren“ und große Nachfrager größtenteils den Markt abschöpfen, wie es bei Remdesivir geschehen sei – oder bei Mund-Nasen-Schutz-Masken. Die Politik sei aufgefordert, jetzt vorbereitende Gespräche zu führen, sagt Szekeres: „Oder jetzt zusätzliche Fördermaßnahmen für Studien und angewandte Forschung zur Verfügung zu stellen. Und damit ein gewisses Vorkaufsrecht zu sichern.“ Der Hintergrund ist ein weltweiter Wettlauf um einen Corona-Impfstoff. Während Pharmaunternehmen bereits in die Phase 3 der klinischen Prüfungen gehen, bestellen zahlreiche Länder bereits für Milliarden Euro große Mengen an Impfdosen.
Zuletzt gab der Medizinkonzern Johnson & Johnson bekannt, dass seine Pharmasparte Janssen Pharmaceutical Companies eine Vereinbarung mit der US-amerikanischen Regierung über 100 Millionen Dosen des SARS-CoV-2 Impfstoffkandidaten geschlossen hat. Die US-Regierung stellt dazu mehr als eine Milliarde US-Dollar bereit. Und sie kann im Rahmen einer Anschlussvereinbarung darüber hinaus zusätzlich 200 Millionen Dosen erwerben. Die USA und die EU-Kommission haben auch enorme Mengen des potenziellen Impfstoffes von Sanofi und GSK reserviert. Die EU will 300 Millionen Dosen kaufen. Geplant ist nach einer Mitteilung der EU-Kommission ein Rahmenvertrag, wonach die Kommission vorab einen Teil der Entwicklungskosten des Impfstoffes übernimmt und dafür das Recht erhält, eine bestimmte Anzahl von Impfstoffdosen in einem bestimmten Zeitraum zu kaufen. Die bereitgestellten Mittel wären eine Anzahlung für die Impfstoffe, die die EU-Staaten später tatsächlich kaufen. Sanofi und der britische Pharmakonzern GSK hatten sich im April für die Erforschung eines Corona-Impfstoffs zusammengetan. Sie erklärten nun, dass im September klinische Studien anlaufen sollen. Nach jetziger Planung soll im Juni 2021 die Zulassung beantragt werden. Auch die USA kaufen bei Sanofi und GSK ein: „Die US-Regierung wird bis zu 2,1 Milliarden Dollar (knapp 1,8 Milliarden Euro) bereitstellen“, erklärten die beiden Unternehmen. Zudem räumten die Konzerne der US-Regierung Optionen für den Kauf von 500 Millionen weiteren Impfdosen ein.
Die US-Regierung unterstützt auch das Coronavirus-Impfstoff-Projekt des amerikanischen Biotechunternehmens Novavax mit 1,6 Milliarden Dollar (1,4 Mrd. Euro). Damit sollen Tests mit dem potenziellen Impfstoff sowie dessen Herstellung und Vermarktung in den USA finanziert werden. Ziel sei es, bis Jänner kommenden Jahres 100 Millionen Impfstoffdosen liefern zu können, sagte Vorstandschef Stanley Erck. Zuschüsse gibt es auch für den Biotechkonzern Moderna (fast 500 Millionen Dollar) sowie 1,2 Milliarden Dollar für den Corona-Impfstoff von AstraZeneca, den das Unternehmen mit der Universität Oxford entwickelt. Die US-Regierung finanziert weiters die amerikanische Firma Emergent Biosolutions mit 628 Millionen Dollar. Auch die EU, Großbritannien und Brasilien haben bereits bei AstraZeneca vorbestellt.
Die Europäische Union bereitet sich zudem auf den Einsatz eines 2,4 Milliarden Euro schweren Notfallfonds zum Kauf von vielversprechenden Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus vor. Zuvor hatten Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande angekündigt, die Verhandlungen mit Pharmaunternehmen zu beschleunigen, um sich den Zugang zu derzeit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffen zu sichern. EU-Diplomaten berichteten, es sei notwendig, diesen Weg einzuschlagen, auch wenn das bedeute, dass man Geld verliere, da viele der gegenwärtig in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe wahrscheinlich nicht erfolgreich sein werden. Man sei bereit, höhere finanzielle Risiken einzugehen, da man befürchte, ansonsten keinen schnellen Zugang zu einem wirksamen Impfstoff gegen das Virus zu haben.
Angesichts dieser Entwicklungen warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun am Wochenende vor einem weltweiten Verteilkampf um einen möglichen Corona-Impfstoff. „Impfstoff-Nationalismus ist nicht gut, er wird uns nicht helfen“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Um die Pandemie schnell zu überwinden, müsse sich die Welt „gemeinsam erholen“. In der globalisierten Welt seien alle Länder miteinander verflochten. Die reichen Länder könnten das Coronavirus daher nicht allein besiegen, solange es in den armen Ländern weiter auf dem Vormarsch sei. (red)