Aggressive Patient:innen als größter Stressfaktor

© fizkes - stock.adobe.com

Nach einer ersten Studie mit Kinderärzt:innen zeigt nun eine zweite Untersuchung die negativen Auswirkungen des Berufsalltags auf Pflegekräfte. 

Über 80 Prozent der Pflegekräfte leiden unter erheblichen negativen Auswirkungen des Berufs – und identifizieren sich deshalb als „Second Victim“.  So nennt man Behandelnde, auch Ärzt:innen, die aufgrund eines unvorhergesehenen Zwischenfalls, eines medizinischen Fehlers oder Patient:innenschadens beeinträchtigt wurden. Die aktuellen Zahlen stammen von einer Studie, die vom Verein „Second Victim“ in Zusammenarbeit mit dem Wiesbaden Institute for Healthcare Economics and Patient Safety (WiHelP) und dem Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) erstellt wurde. Betroffene Pflegekräfte erlitten laut der Online-Befragung etwa durch Aggressionen vonseiten der Patient:innen, deren unerwartetes Ableben oder Suizid sowie durch allgemeine Überlastung emotionale und psychische Beeinträchtigungen. Besonders betroffen waren Frauen und junge Fachkräfte. 

Insgesamt 928 Pflegekräfte beantworteten den Fragebogen. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) von ihnen wussten zunächst gar nicht, dass man in ihrem Berufsfeld zu einem „Second Victim“ werden kann. Nach einer kurzen Erläuterung erklärten knapp 82 Prozent jedoch, dass sie sich nun als sogenanntes Zweitopfer erkennen, sagte Intensivmedizinerin Eva Potura, die den Verein „Second Victim“ 2021 mitgründete. Bei 63 Prozent der Pflegekräfte gab es sogar mehrere kritische Vorfälle, bei 18 Prozent „nur“ einen, bei 19 Prozent keinen. In fast zwei Drittel der Fälle lag er weniger als ein Jahr zurück. Die meisten Teilnehmenden (37 Prozent) nannten aggressives Verhalten von Patient:innen oder ihren Angehörigen, wie verbale Beleidigungen, körperliche Gewalt und sexuelle Belästigung, als auslösendes Ereignis. Auch der unerwartete Tod oder Suizid von Patient:innen war häufig (bei 24 Prozent) die Ursache. 

„Die Ergebnisse unserer Studie sind alarmierend“, sagte Victoria Klemm vom WiHelP. „Im Vergleich zu internationalen Umfragen liegen die Werte sehr hoch“. In Deutschland identifizierten sich zum Beispiel „nur“ 60 Prozent der Pflegefachkräfte als „Second Victim“. Es gäbe deshalb im österreichischen Gesundheitssystem großen Handlungsbedarf. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (56,6 Prozent) hat nach einem beeinträchtigenden Zwischenfall Hilfe erhalten; knapp über 30 Prozent erhielten keine Hilfe, hatten aber auch nicht darum gebeten, während fast 13 Prozent angaben, dass ihnen Hilfe verweigert wurde, obwohl sie aktiv darum gebeten hatten. Die große Mehrheit erhielt Hilfe von ihren Kolleg:innen. Die Unterstützungsmaßnahmen sollten deshalb dringend systematisch organisiert werden, fordern die Expertinnen, genauso wie vorbeugende Deeskalations- und Kommunikationstrainings. Das könnte langfristig zum Verbleiben im Beruf beitragen. 

Eine weitere Studie untersuchte bereits im Vorjahr die Beeinträchtigungen bei Kinderärzt:innen. Hier gaben sogar 89 Prozent der Befragten an, sich als „Second Victim“ zu identifizieren. RELATUS MED berichtete. (kagr/APA) 

SERVICE: Publikation