Digitalisierung und telemedizinische Versorgung werden zunehmen, sagt der steirische Hausarzt Alexander Moussa. Er ist Leiter des Referats „e‑Health in Ordinationen“ in der Ärztekammer. So sieht er die Entwicklungen.
Wie beurteilen Sie die aktuellen Entwicklungen in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen? Es gibt im Gesundheitswesen viele Projekte, die gleichzeitig laufen – aber nicht gut mit der Ärzteschaft abgestimmt sind. So entstehen Lösungen, die nicht zu Ende gedacht sind. Das nimmt den Ärzt:innen die Freude an der Digitalisierung – etwa wenn beim e-Rezept Suchtgiftrezepte und Privatrezepte nicht von Beginn an entsprechend der medizinischen Versorgungsrealität mitgedacht wurden und nun nachträglich von den Arztsoftwarefirmen integriert sowie zum Teil auf Kosten der Ärzteschaft nachgerüstet werden müssen. Das schafft immer Unzufriedenheit und Argwohn.
Die Politik kritisiert oft, dass die Ärzteschaft bremst. Generell und auch durch die Erfahrungen der Pandemie ist in der Ärzteschaft die Bereitschaft zu Digitalisierung mehr als gegeben. Gerade auch Wahlärzt:innen wollen sich an der Digitalisierung beteiligen und mehrheitlich am e-Card-System teilnehmen. Elga wird zwar nur sehr wenig bei Wahlärzt:innen verwendet, das Interesse wäre aber auch hier groß, sich aktiv zu beteiligen, wenn die Rahmenbedingungen passen. Knapp die Hälfte sagt in einer Umfrage, dass sie positive Erfahrungen mit Elga gemacht hat, nur 32 Prozent geben ein negatives Feedback.
Was fordern Sie in diesem Zusammenhang? Im Zentrum muss immer die beste zeitökonomische Versorgung der Patient:innen stehen und mehr Zeit für die Behandlung ermöglichen. Es ist wichtig, Daten zu einer Person zeitgerecht zu haben. Wir sehen manchmal in den Spitälern, dass Lösungen eigene Personalressourcen benötigen. Wir sollten deshalb nicht einfach Papierprozesse digitalisieren, sondern die Prozesse verbessern. Eine Digitalisierung zum Selbstzweck brauchen wir nicht. Es muss auch sichergestellt sein, dass nicht neue Lösungen viel Geld kosten.
Die Regierung will Telemedizin und ELGA ausbauen. Welches Potenzial sehen Sie hier? Wir haben in Österreich einen ganz heterogenen Markt, weil jede Ordination eine andere Softwarelösung und andere Schnittstellen hat. Das finden wir zwar generell gut, weil der Wettbewerb befruchtend sein kann. Der Nachteil ist aber, dass wir viele proprietäre Lösungen haben, die nicht miteinander können. Es zeigt sich etwa bei ELGA, dass Daten sehr unterschiedlich sind, weil ELGA ja nur ein Verzeichnis und die eigentlichen Daten ganz unterschiedliche Qualität haben können. Wir könnten mit Daten mehr machen, wenn die Systeme sie besser verarbeiten. Wir möchten die Freizügigkeit der Patientendaten optimieren und arbeiten deshalb auch an einer Neugestaltung des sogenannten Normdatensatz. Damit können wir sicherstellen, dass Ärzt:innen einerseits die Möglichkeit haben, ihre Arztsoftwarelösungen flexibel zu wechseln, aber gleichzeitig auch die Kontinuität der Patientendokumentation etwa bei bei Nachfolge oder bei Pensionierung erhalten bleibt und möglicher Datenverlust vermieden wird.
Stichwort Datenschutz: Kommt er der Digitalisierung in die Quere? Daten gehören den Patient:innen. Sie sollen dann der Allgemeinheit dienen, wenn das datenschutzrechtlich sauber ist. Wir warnen davor, dass Menschen ihre Daten unbedacht weitergeben. Datenschutz braucht immer eine Adaptierung an die technischen Möglichkeiten. Vor allem sind hier auch speziell im Hinblick auf den geplanten European Health Data Space EHDS viele Problemfelder zu berücksichtigen.
Viel ist derzeit vom Einsatz Künstlicher Intelligenz die Rede. Wird sie Ärzt:innen bald ersetzen? Das denke ich nicht, weil die Systeme nicht die Komplexität eines Menschen erfassen können. Wir fürchten also innerhalb der Ärzteschaft nicht, dass Geräte und technische Tools Ärzt:innen ersetzen können. Ich bin ein technikaffiner Arzt, aber kein medizinaffiner Techniker. Menschen sind nur dann in der Gesamthaftigkeit erfassbar, wenn man jemanden ganzheitlich vor sich hat. Geräte können hier immer nur helfen. Es bedarf ja für eine Gesamtschau eines Menschen auch der individuellen Vorgeschichte für Ärzt:innen. Systeme können nur erfassen, was sie kennen. Dinge aus der Gegenwart und Zukunft kann ein System nicht beantworten. Das unterscheidet den Menschen von Algorithmen. Zur Ergänzung oder Absicherung macht die Technik Sinn. Aber nicht für eine abschließende Behandlung.
Wie sehen Sie weitere Entwicklungen? Digitale Gesundheitsapplikationen, wie beispielsweise in Deutschland, nehmen zu. Da sind die Apps verschreibungsfähig, etwa für die Patientenbetreuung. Wichtig ist, dass dieses Angebot öffentlich finanziert ist. Der digitale Gesundheitspfad zum Beispiel hat hier durchaus Potential. Da stehen wir ganz am Anfang in der Grundkonzeption und einige politische Entscheidungen sind noch zu treffen. (Das Interview führt Martin Rümmele)