Der frühere Sektionschef und Impfkoordinator Clemens Martin Auer kehrt aus der Pension ins Gesundheitsministerium zurück. Er soll bis Ende 2023 Führungskräfte des Ressorts beraten. Im RELATUS-Interview spricht er über Herausforderungen.
Sie sind Präsident des European Health Forum Gastein und haben dort dieser Tage gerade mit vielen Expert:innen aus ganz Europa die aktuellen Krisen analysiert. Wie ist ihr Fazit zu Pandemie, Klimakrise, Teuerung und Ukrainekrieg? Wie kommen wir da raus? Allein geht gar nichts, wenn es um Krisen dieser Größenordnungen gibt. Wir müssen aus Schlaf der Gefälligkeit aufwachen, wenn wir die Probleme lösen müssen und auf europäischer Ebene zusammenarbeiten. Wir stecken in einer substanziellen Krise der Gesundheitssysteme, wenn wir etwa auf die Erschöpfung der Gesundheitsbeschäftigten schauen. Die genannten Themen zeigen: man muss im Gesundheitswesen immer auf Krisen vorbereitet sein, die noch kommen können.
Warum ist gerade die Gesundheitsversorgung hier wichtig? Diese Permakrise hat enorm viele Facetten. Wir sind immer noch beschäftigt mit den Ausläufern der Pandemie. Auch mit den Folgen der Krise, der andere Krisen hervorruft. Die Inflation ist das Gift, das eine Wirtschaft und Gesellschaft völlig durcheinander bringen zu kann. Wenn es nicht gelingt, das abzufedern, wird die Wut der Bevölkerung steigen. Das dürfen wir nicht unterschätzen. Die kommenden zwei Jahre werden eine Herausforderung für die westlichen Gesellschaften. Und Gesundheit steht hier deshalb im Zentrum, weil all diese Krisen und Entwicklungen Gesundheit determinieren.
Sind Auswege überhaupt möglich? Es gibt Menschen, die warnen, dass Pandemien in der Geschichte der Menschheit immer zu grundlegenden Umbrüchen und Kriegen geführt haben. Wenn wir uns die Geschichte der vergangenen 2000 Jahre ansehen, sind pandemische Geschehen tatsächlich Ursachen für fundamentale Umbrüche in der Gesellschaft gewesen. Ich glaube aber schon, dass die Menschen heute klüger sind als im Mittelalter. Die Wissenschaft hat uns in vergangenen 200 Jahren geholfen, Dinge zu rationalisieren. Die Politik hat globale Strukturen geschaffen, die ein globales gemeinsames Bewusstsein ergeben. Wir können heute Dinge mit Verantwortung wahrnehmen. Wir sind etwa aus der Bankenkrise 2008/10 verhältnismäßig gut herausgekommen. Wir sind also in der Lage, das zu lösen, wenn Krisen parallel auf uns herunterprasseln. Dazu braucht es Leadership.
Und wie? Es gibt auch Lichtpunkte: Wir haben viel gelernt in der Pandemie, etwa dass Digitalisierung sehr wohl ein Hilfsmittel ist, um die Versorgung aufrecht erhalten zu können. Das sind Dinge, die vor zehn Jahren noch standespolitisch abgelehnt worden sind. Ich sehe in nächsten Monaten eine Krise bei den Gesundheitsbeschäftigten auf uns zukommen. Auch hier kann ein richtiger Einsatz von Digitalisierung eine Möglichkeit sein, die Menschen und das System zu entlasten. Wichtig ist, dass wir die Dinge nicht dem Zufall überlassen. Wenn man das tut, kann es auch in die andere Richtung gehen. Gesundheit ist der Spiegelsektor für Krisen. Wir müssen deshalb schauen, dass er nicht auslässt. (Das Interview führte Martin Rümmele)