Das Problem mit den Pandemiewarnungen

© Tanzer

Nach 2004 taucht jetzt wieder die Sorge vor der Vogelgrippe auf. Doch viele sind nach den damaligen Debatten und SARS-CoV-2 pandemiemüde. Wie groß ist das Problem?

Droht uns mit der Vogelgrippe die nächste Pandemie? Schon 2004 warnte die WHO vor einem Überspringen des H5N1-Virus auf den Menschen. Die Folge: Tamiflu und Masken wurden gebunkert, die Pandemie blieb glücklicherweise aus. Gegner:innen mutmaßen hingegen, dass die Gefahr nie bestand und die Sache nur unnötige Panikmache war. Auch nach SARS-CoV-2 wurden viele Maßnahmen als überzogen diskutiert, viele Menschen sind pandemiemüde. Jetzt ist H5N1 wieder stärker da, infiziert auch Säugetiere und vereinzelt auch Menschen. Parallel warnen Fachleute auch vor anderen Pandemien. Die Medien nehmen diesen Ball gerne auf – Angstmeldungen verkaufen sich gut, Pandemiemeldungen polarisieren – gerade im Sommer.

Das macht einen Teil des Problems aus. Der andere ist die generelle WHO-Struktur: Warnt sie zu früh und kommt eine Pandemie nicht, wird sie dafür kritisiert. Das wird vor allem dann zum Problem, wenn sich solche Warnungen häufen. Wie in der Fabel Der Schäfer und der Wolf des antiken Dichters Äsop: Ein Hirtenjunge ruft aus Langeweile beim Schafehüten wiederholt laut „Wolf!“. Als ihm daraufhin Menschen aus der Nähe zu Hilfe eilen, finden sie heraus, dass falscher Alarm gegeben wurde und sie ihre Zeit verschwendet haben. Als der Junge nach einiger Zeit wirklich einem Rudel Wölfe begegnet, nehmen die Menschen die Hilferufe nicht mehr ernst und bleiben bei ihrem Tagwerk. Die Wölfe fressen die ganze Herde.

Warnt die WHO zu spät, wird sie dafür auch kritisiert. Und warnt sie genau richtig und es lassen sich Maßnahmen zur Eindämmung ergreifen, wirkt die Pandemie-Warnung auch als überzogen. Der Begriff „Präventionsparadox“ wurde Anfang der 1980er Jahre vom britischen Epidemiologen Geoffrey Rose am Beispiel der koronaren Herzkrankheiten beschrieben. Es stelle ein grundlegendes Dilemma der bevölkerungs- und risikogruppenbezogenen Prävention dar. Die Kernaussage: Eine präventive Maßnahme, die für Bevölkerung und Gemeinschaften einen hohen Nutzen bringt, bringt dem einzelnen Menschen oft nur wenig – und umgekehrt. Das Paradox gilt für viele Maßnahmen: Lebensstil-Empfehlungen, Impfungen, Früherkennungsmaßnahmen, Maßnahmen der Verkehrssicherheit und der Tabakprävention, oder Maßnahmen des Klimaschutzes.

Eine erfolgreiche Prävention verhindert Erkrankungen und macht sie damit unsichtbar. Das erleben wir aktuell bei den sinkenden Impfquoten: Die Gefahr mancher Erkrankungen ist nicht mehr sichtbar, weil es sie fast nicht mehr gibt. Das lässt uns sorgloser werden. Wir sollten also angesichts von Vogelgrippe und Co nicht zu oft „Pandemie“ schreien – und schreiben – aber wir sollten in jedem Fall vorsichtig bleiben. (rüm)