Bis zu 28.000 Arbeitskräfte fehlen bis 2040 im Gesundheitsbereich, warnt die Wirtschaftskammer. Die Debatte darüber läuft aber am Problem vorbei.
Um den Fachkräftemangel zu lindern, brauche es mit Blick auf Arbeitsmigration „eine Veränderung in den Köpfen“ und in der Verwaltung. Das sagte der designierte Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Holger Bonin, am Dienstag bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in seiner neuen Rolle in Österreich. Man stehe bei der Anwerbung von internationalen Fachkräften im Wettbewerb mit anderen Ländern.
Gleichzeitig beschränkt sich der Fachkräftemangel längst nicht nur auf einzelne Berufsgruppen, sondern zieht sich durch alle Branchen. Rund 28.000 Menschen fehlen bis 2040 im Gesundheits- und Sozialwesen, hat die Wirtschaftskammer errechnet. 55.000 weitere fehlen im Bereich der öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung, 59.000 im Bereich der Warenherstellung, gut 53.000 im Handel und bei der Instandhaltung bei Kraftfahrzeugen, 18.560 in Verkehr und etwa 10.500 im Erziehungs- und Unterrichtswesen. „Wenn nicht gegensteuert wird, dann kostet uns das alle Wohlstand“, sagte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer (ÖVP) bei einem Pressegespräch dieser Tage. Eine klare Zuwanderungsstrategie könnte den Arbeitskräftemangel entschärfen, findet Mahrer. In den 60er- und 70er-Jahren habe man bereits gute Erfahrungen mit „Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern“ gemacht. Dabei brauche es aber Menschen, die in den Arbeitsmarkt integriert werden können und nicht Personen, die „auf der Parkbank sitzen und anderen beim Arbeiten zusehen“.
Dabei übersieht Mahrer wesentliche Dinge: es geht nicht nur um Wohlstandsverluste, sondern um das Aufrechterhalten von Produktion und Dienstleitungen. Mahrer wird 2040 bereits 67 Jahre alt sein und rein statistisch betrachtet – auch wenn es ihm nicht zu wünschen ist – wohl mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen müssen als jetzt. Zweitens wurden die „Gastarbeiter:innen“ der 1960 und 1970 Jahre nicht deshalb nicht integriert, weil sie es nicht wollten, sondern weil es ihr „Gastland“ Österreich nicht wollte. Allein die Formulierung „Gastarbeiter“ – in ihren Heimatländern rekrutiert wurden primär junge, kräftige Männer – implizierte nämlich, dass man sie, wenn sie nicht mehr als Arbeitskräfte gebraucht werden konnten, zurückschickt. So brutal dachte man damals nämlich wirklich. Und jetzt – 60 Jahre später – scheinen einige nichts gelernt zu haben und wiederholen die Fehler der 1960er Jahre. So gesehen hat IHS-Chef Holger Bonin recht, wenn er sagt, dass wir „eine Veränderung in den Köpfen“ brauchen.
Es benötigt aber noch etwas anders: Es benötigt bessere Rahmenbedingungen gerade für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Und auch eine entsprechende Bezahlung. Ein Beispiel: Der neue in der Vorwoche fixierte monatliche Brutto-Mindestlohn für Beschäftigte in Privatkliniken liegt bei 2.000 Euro. Das sind netto 1.567,04 Euro pro Monat oder bei der nun fixierten 39 Stundenwoche 9,28 Euro netto pro Stunde. Auf Dauer werden sich dafür keine 28.000 Gesundheitsbeschäftigte finden lassen. Dazu kommt: Im Wiener Arbeiterbezirk Rudolfheim-Fünfhaus kostet beispielsweise der Quadratmeter für eine Eigentumswohnung derzeit laut Immobörsen rund 3.900 Euro für eine 50 Quadratmeterwohnung. Wenn jemand vom Gehalt von 1.567,04 Euro jene Summe weglegt, die ihn von der Armutsgrenze von 1371 Euro trennen sind das 196,04 Euro. Er oder sie müssten dann 82,89 Jahre arbeiten, um ein zinsloses Darlehen für die 50 Quadratmeter-Wohnung zu bezahlen. Die durchschnittliche Miete für die 50 Quadratmeterwohnung in Rudolfheim-Fünfhaus liegt übrigens bei 930 Euro pro Monat laut Immobilienpreisspiegel. (rüm)