Der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Martin Clodi, erklärt im RELATUS-Sommergespräch, was es für ein erfolgreiches Diabetes-Management braucht.
Diabetes ist mit der Pandemie wieder mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt, da es als Risikofaktor für schwere Covid-19-Verläufe gilt und auch Covid-19 das Diabetes-Risiko erhöht – hat sich in Österreich seither etwas im Umgang mit der Krankheit getan? Diabetes war am Anfang der Pandemie durch erste Studien aus China im Fokus, die gezeigt haben, dass Diabetes das Risiko eines schweren Verlaufs bei einer Covid-19-Erkrankung erhöht. Das war in dem Sinne gut, als dass es gezeigt hat, wie gefährlich Diabetes sein kann – weil immer wieder Menschen auf der Intensivstation aufgenommen werden mussten oder im schlimmsten Fall sogar verstorben sind. Es gibt mittlerweile auch Zahlen, die zeigen, dass Typ 1 und Typ 2 Diabetes durch Covid-19 in die Höhe gegangen sind. Ein grundsätzliches Bewusstsein für Diabetes hat es in der Bevölkerung aber auch vor der Pandemie schon gegeben, nur wurde lange nicht wahrgenommen, wie gefährlich die Krankheit ist. Es gibt nicht „ein bisschen Diabetes“. Wenn man Diabetes hat, muss man darauf achten, Risikofaktoren und die Krankheit selbst gut eingestellt zu haben. Dann kann man auch einen symptomatischen Verlauf verhindern und die Lebensspanne verlängern.
Diabetes-Symptome werden nicht immer gleich erkannt. Welche Tipps würden Sie niedergelassenen Ärzt:innen in der Versorgung geben? Am besten ist es, Patient:innen mit Diabetes in das Disease-Management-Programm (DPM) einzuschreiben. Dort sind die Parameter und das Komplikationsscreening vorgegeben. Augenkrankheiten, Nierenfunktion, Herzerkrankungen und Füße sind alles Dinge, die kontrolliert werden sollten, aber das wissen die Kolleg:innen auch. Genau deswegen ist das DMP gut, denn es fördert einen Automatismus bei Kontrollen. Wenn es einmal läuft, geht es schnell und hat System und wird auch remuneriert.
Die ÖDG ist für die Einführung eines elektronischen Diabetespasses. Wie genau soll der funktionieren? Am besten umsetzbar wäre der Pass über die ELGA, wo Daten zusammengeführt und Prozesse automatisiert werden können. Das wäre für alle Beteiligten am einfachsten.
Sie fordern außerdem ein nationales Diabetesregister. Wie soll das aussehen? Es gibt in Österreich eigentlich schon einige Register: in Wien im AKH beispielsweise, aber auch in Tirol. Wir kennen die Anzahl der Diabetiker:innen schon ungefähr, können sie aber auch aus Deutschland runterrechnen, wenn wir die deutschen Zahlen durch zehn dividieren – das ist ziemlich genau. ELGA wäre aber ein gutes Tool. Das Wichtige dabei wäre, dass die Kolleg:innen im niedergelassenen Bereich auch codieren. Wir dürfen aber nicht auf den Datenschutz vergessen. Das skandinavische System wird immer wieder hochgelobt und es ist auch sicher toll – alle Daten sind vorhanden. In Zeiten von Putin, Orban und Co. ist es aber wichtig, Daten zu schützen. Es wird gerne auf den Datenschutz geschimpft, aber hier müssen wir vorsichtig bleiben.
Was halten Sie von Gesundheits-Apps für Diabetiker:innen? Diabetes-Apps sind gut und helfen den Patient:innen ihren Diabetes zu managen. Das ist schon toll.
Wie sehen Sie die Zukunft des personalisierten Diabetesmanagements? Ich höre oft von Präzisionsmedizin oder precision medicine, das klingt sehr fancy. Aber am Ende bekommen in der Onkologie trotzdem alle PD-1-Hemmer. Ich glaube schon, dass man Patient:innen individuell behandeln muss, das ist logisch. Manche sind insulinresistent, andere älter oder adipös. Dass man unterschiedliche Therapieansätze verfolgt, das wurde allerdings immer schon gemacht. Die Identifizierung von fünf neuen Subtypen wie zuletzt publiziert ist großartig und hilft uns, die Erkrankung besser zu verstehen. Aber in der Anwendung wird es schwieriger. Das Wichtigste bekommen wir sowieso mit: Der Patient ist insulinresistent, die Patientin ist normalgewichtig und älter – damit können wir schon ganz gut den Diabetes-Typen einschätzen. Ich glaube, wenn die Menschen in 300 Jahren auf das Jahr 2022 zurückblicken, werden sie sich denken „Was haben die gemacht? Wie kann man so Medizin betreiben?“ Wir sind noch weit weg davon zu wissen, was eigentlich im Körper passiert. Das finde ich total spannend. Wir wissen auch von Covid-19 noch so gut wie gar nichts. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, viel in Wissenschaft und Forschung zu investieren – um besser zu verstehen. (Das Interview führte Katrin Grabner)