Was wünschen sich sich junge Ärzt:innen angesichts von Personalengpässen und Nachwuchsmangel? Richard Brodnig, Obmann der Jungen Allgemeinmedizin (JAMÖ) stellt die Lehrpraxis ins Zentrum und sieht Primärversorgungseinheiten differenziert.
Nach der Klinik Landstraße in Wien absolvieren Sie nun den Rest Ihres Turnus in Leoben. Wie unterscheidet sich Ihr jetziges Arbeitsumfeld zum alten? Die Arbeitsbedingungen sind in der Steiermark schlechter. Mit einer Regelarbeitszeit von 8 bis 16 Uhr ist die Arbeitszeit länger. Dazu kommen dann noch 25-Stunden-Dienste oder manchmal Samstags- oder Sonntagsdienste. In der Regel arbeite ich also mehr als 50 Stunden pro Woche. Zurzeit bin ich auf der Kinderstation, wo vor allem die Nachtdienste aufgrund des Schlafmangels sehr intensiv sein können. In Wien hätte ich bessere Arbeitszeiten, da der Tag nicht so lang und die Nachtdienste in die 40-Wochen-Stunden eingeplant sind. Grundsätzlich ist die Ausbildung in einem kleinen Spital aber spannend. Ich muss mehr Funktionen übernehmen, bin näher an den Patient:innen dran und lerne dadurch mehr. Das Arbeitsklima ist ähnlich wie in der Stadt, je kleiner eine Abteilung desto besser ist das Klima.
Sind sie ansonsten mit der Ausbildung zufrieden? Ich stehe am Ende einer dreijährigen Ausbildung und habe bis jetzt nur in einem Bereich gearbeitet, wo ich nachher nicht tätig sein werde. Das macht wenig Sinn. Ein:e Allgemeinmediziner:in sollte vorwiegend in der Lehrpraxis ausgebildet werden. Ich hoffe, dass die Ausbildung und die Lehrpraxis durch den kommenden Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin aufgewertet und an das internationale Niveau angehoben werden.
Sie wollen nach wie vor Allgemeinmediziner werden. Könnten Sie sich vorstellen, in einer Primärversorgungseinheit (PVE) zu arbeiten? Das würde ich nur in einem Team machen, mit dem ich mich sehr gut verstehe. Ich kenne viele Kolleg:innen, die in einer PVE arbeiten und von einem Mehraufwand an Kommunikation und Koordination untereinander berichten. Sie haben zwar mehr Zeit für medizinische Tätigkeiten, aber nicht mehr Freizeit. Ich denke der Vorteil einer PVE ist, dass man mehr Ressourcen im Sinne von anderen Gesundheitsberufen zur Verfügung hat. Das klingt gut, aber ich bin noch unsicher. Meistens muss man eine PVE von Grund auf aufbauen, was ein bis zwei Jahre dauert. Eine Einzelordination kann ich einfach übernehmen oder on-the-go starten. Das ist für viele Jungmediziner:innen attraktiver. Ich würde mir wünschen, dass gewisse Vorteile einer PVE wie mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit auch ihren Weg in den restlichen niedergelassenen Bereich finden.
Um mehr Flexibilität geht es auch in der politischen Debatte um die Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen. Ein Beispiel dafür ist das Impfen in Apotheken. Wie sehen junge Ärzt:innen die künftige Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen? Grundsätzlich ist Impfen keine rein ärztliche Tätigkeit. Das Verabreichen der Impfung machen ja oftmals andere Gesundheitsberufe. Es gehört aber eine medizinische Aufklärung dazu. Die muss nicht direkt vor der eigentlichen Impfung passieren. Die ärztliche Aufklärung benötigt ein umfangreiches medizinisches Wissen und deshalb bezweifle ich, dass dies von Pharmazeut:innen durchgeführt werden sollte. Einen echten allergischen Schock habe ich selbst bereits beim Impfen behandelt und dieser medizinische Notfall bedarf sofort ärztlicher Hilfe. Im Großen und Ganzen ist Impfen keine Tätigkeit, die uns Ärzt:innen überlastet. Es gibt meiner Meinung nach andere Aufgaben, wo es sinnvoller wäre, die in den Bereich der Apotheken zu rücken. Beispielsweise das Überprüfen der Polypharmazie und möglicher Interaktionen, was in Österreich sehr vernachlässigt wird. Das wären für mich Tätigkeiten, die in das pharmazeutische Regime fallen.
Ein Thema, das sowohl Ärzt:innen als auch Apotheker:innen beschäftigt, ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Wie schätzen Sie die Lage hierzulande ein? Ich war vor Kurzem bei einem europäischen Kongress für Allgemeinmedizin, wo ich mich mit Kolleg:innen aus dem Ausland ausgetauscht habe. Es war schön zu sehen, was digital schon möglich ist. In anderen Ländern gibt es eine öffentliche App für Patient:innen, um sich einen Ärzt:innen-Termin auszumachen, Befunde abzurufen und Ähnliches. Ich finde es schade, dass wir so eine Vernetztheit in Österreich nicht haben. Ich würde mir wünschen, dass wir in den nächsten Jahren schneller weiterkommen. Künstliche Intelligenz (KI) war ebenfalls ein großes Thema beim Kongress – und ist es auch in der Medizin. Ich denke, dass persönliche Interaktionen weiterhin von Ärzt:innen übernommen werden, aber dass KI bei Entscheidungen helfen kann. Hier liegt der große Vorteil der Allgemeinmedizin: Wir versuchen sowieso so nahe wie möglich an den Patient:innen dran zu sein. Ich sehe also in der KI wenig Bedrohung für mein Fach und erwarte mir gleichzeitig eine große Unterstützung. In der Radiologie oder der Dermatologie wird sich vielleicht einiges am Tätigkeitsfeld verändern, aber bei mir nicht. (Das Interview führte Katrin Grabner)