Sparen oder mehr ausgeben? Diese Frage wird auch im Zuge des Finanzausgleiches diskutiert. Oft allerdings mit falschen Zahlen und irreführenden Argumenten.
„Die Gesundheitsausgaben explodieren.“ Diesen Satz hört man seit Jahrzehnten, wenn es um Gesundheitsreformen geht. Und er ist schlichtweg falsch. Und zwar deshalb, weil grundlegende volkswirtschaftliche Regeln übersehen werden – oder auf auch bewusst ignoriert werden. Und zwar von jenen, die sparen möchten – etwa Lohnnebenkosten und Steuern. Dann rechnen sie vor, dass sich die Gesundheitsausgaben zwischen 2005 und 2022 von 26,06 auf 53,58 Milliarden Euro mehr als verdoppelt haben. Die rein öffentlichen Gesundheitsausgaben sind sogar von 18,09 auf 39,56 Milliarden „explodiert“. Ja, wir geben mehr Geld für Gesundheit aus. Vor allem deshalb, weil wir als Gesellschaft auch reicher geworden sind. Weil Löhne und Gehälter und die Preise medizinischer und pharmazeutischer Produkte gestiegen sind.
Die Rechnung in absoluten Zahlen ist also irreführend und wirkt vor allem aufgrund der Größe des Gesundheitswesens so dramatisch. Betrachtet man den Anteil der Gesundheitsausgaben an der gesamten Wirtschaftsleistung – dem BIP – sieht die Sache gänzlich anders aus. 2005 lag der BIP-Anteil der laufenden Gesundheitsausgaben bei 9,6%, 2010 bei 10,2%, 2015 bei 10,4% und 2019 – dem letzten Jahr vor der Pandemie bei 10,5%. 2022 dann Coronabedingt bei 11,4% – allerdings wieder mit sinkender Tendenz. Spannend sind auch die privaten Gesundheitsausgaben – Stichwort Wahlärzt:innen und rezeptfreie Medikamente: ihr Anteil an den Gesundheitsausgaben lag 2005 bei 26,0% und 2019 bei 24,9% oder am BIP gemessen 2022 bei 2,5% – das ist der gleiche Anteil wie im Jahr 2005. Alle Zahlen stammen von der Statistik Austria. Eine „Explosion“ sieht jedenfalls anders aus.
Allerdings wächst der Spardruck um System – und zwar seit 2013 – massiv. Vor zehn Jahren wurden im Sommer nämlich drei Gesetze beschlossen, die die Basis für eine umfassende Reform des österreichischen Gesundheitswesens waren. Der damalige Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) hatte in Finanzausgleichsverhandlungen mit den Ländern zwei 15a-B-VG-Vereinbarungen (Zielsteuerung-Gesundheit, Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens) ausverhandelt sowie ein begleitendes Gesundheitsreformgesetz vorgelegt. Durch diese Reform sollte ein „partnerschaftliches Zielsteuerungssystem“ etabliert werden, das vor allem eine bessere Abstimmung zwischen dem niedergelassenen Bereich und den Spitälern bringen und eine Versorgung der Patienten am „best point of service“ gewährleisten sollte. Ein weiterer wichtiger Eckpfeiler der Reform war die Koppelung des Anstiegs der Gesundheitsausgaben an das nominelle Bruttoinlandsprodukt, wodurch „Kostendämpfungseffekte“ erzielt werden sollen.
Der damalige Oö-Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) unterstrich als Verhandlungsleiter seitens der Bundesländer, die Gesundheitsreform zeige, dass Länder Reformen nicht blockieren. Große Reformen könnten gemeinsam entwickelt und auf den Weg gebracht werden, sagte er damals. Seit damals werden Versorgungsziele, Planwerte und Qualitätsparameter für den Bereich der niedergelassenen Ärzt:innen und Spitäler gemeinsam festgelegt. Als Ziel der Reform nannte Pühringer die Versorgung der Patient:innen am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt und in optimaler Qualität. Ein niederschwelliger Zugang zur Gesundheitsversorgung werde langfristig gesichert, wobei den Hausärzt:innen als Erstversorger:innen eine zentrale Rolle zukomme. Die abgestimmte, sektorenübergreifende Gesundheitsvorsorge soll durch Gesundheitszentren und Gemeinschaftspraxen verbessert werden. Klingt, als würde es heute diskutiert. Wohl auch deshalb, weil die Länder seit 2013 in der Umsetzung bremsten.
Besonderen Wert legte Pühringer aber auf die Tatsache, dass ein „Ausgabendämpfungspfad“ und „kein Ausgabensenkungspfad“ beschritten wurde, indem das Wachstum der öffentlich Gesundheitsausgaben an das nominelle Wirtschaftswachstum gebunden wird. Tatsächlich legte man aber einen Deckel auf die Gesundheitsausgaben. Die Ärztekammer warnte umgehend vor Leistungskürzungen. Für die damalige Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) war es dennoch ein „Jahrhundertwerk“. Durch die Koppelung an das Wirtschaftswachstum solle eine „Kostenexplosion“ (sic!) verhindert werden. Hauptverbandspräsident war damals Hans-Jörg Schelling (ÖVP), der später Finanzminister wurde, und 2016 dann einen weiteren Finanzausgleich verhandelte. Ergebnis des bis heute geltenden Finanzausgleiches: die Planung des stationären Bereichs im Gesundheitswesen werde auf die Ebene des Bundes gehoben und die Kostenentwicklung eingedämmt. Der „Kostendämpfungspfad“ für Gesundheit und Pflege werde fortgesetzt, erklärte Schelling damals: „Um es gleich klarzustellen: kein Euro weniger kommt ins System, es kommt mehr ins System“, betonte er. Es wurde fixiert, dass die Gesundheitsausgaben statt wie davor nur noch um 3,6% des BIP nur noch um 3,2% steigen dürfen.
Da war sie also wieder: die Vermischung absoluter Zahlen („es kommt mehr in System“) und des BIP-Anteils. Über die Folgen können vor allem die Beschäftigten im Gesundheitswesen und die darin tätigen Unternehmen ein Klagelied singen. In Zeiten von Inflation, Pandemie und älter werdender Gesellschaft sollte allerdings klar sein, dass die Ausgaben für Gesundheit steigen werden. Anders formuliert: es braucht sicherlich Reformen, aber der künstlich definierte Deckel muss weg. (rüm)