Die EU-Wahl rückt näher und auch das Thema Gesundheit ist mittlerweile aus dem europäischen Kontext längst nicht mehr wegzudenken. Relatus MED hat die Spitzenkandidat:innen der Parteien zu den drängendsten Herausforderungen befragt.
In ganz Europa fehlt Gesundheitspersonal. Welche europäischen Initiativen zur Lösung dieses Problems sehen Sie? Europäische Initiativen helfen hier wenig. Die Gesundheitsversorgung muss vor Ort und damit in Österreich in den Regionen, Städten und Gemeinden wohnortnah und professionell organisiert werden. Die letzten sogenannten Gesundheitsreformen der aktuellen Bundesregierung kann man nur als „Verschlimmbesserung“ bezeichnen. Die beruflichen Rahmenbedingungen müssen geändert und die strukturellen Probleme gelöst werden. Das heißt: Es braucht eine Evaluierung des Personalbedarfs auf allen Ebenen des Gesundheitswesens, eine „finanzielle Fairness“ gegenüber Mitarbeitern im Gesundheitswesen, eine Entbürokratisierung und Kompetenzerweiterung in den Berufsbildern, die Weiterbeschäftigung älterer Ärzte und Erweiterung der Ausbildung sowie die Einbindung der Wahlärzte ins Kassensystem und die Aufhebung des Doppelbeschäftigungsverbots.
Ärzt:innen und in der Folge auch Patient:innen in Österreich sind immer wieder mit Lieferengpässen bei Medikamenten konfrontiert und leiden darunter. Welche drei Ansätze bräuchte es auf EU-Ebene, um dieses Problem wirksam anzugehen? Die FPÖ sieht hier folgende Reformvorschläge vor, die sie auch bereits im österreichischen Nationalrat eingebracht hat: Erstens: Aufrechterhaltung der bisherigen Mindestdauer für den Unterlagenschutz (anstatt der geplanten Kürzung um zwei Jahre), sodass es durch die geplanten zusätzlichen Zeiträume für besondere Anwendungsgebiete oder Umstände zu einer echten Attraktivierung für die forschenden Unternehmen kommt. Einer Zulassungsverpflichtung neuer Arzneimittel in allen EU-Mitgliedstaaten ist aus österreichischer Sicht nur dann zuzustimmen, wenn diese für den Hersteller in einem einzigen Verfahren und mit einem auch für KMU bewältigbaren Aufwand möglich ist und ein definiertes europäisches „Preisband“ vorliegt. Zweitens: Die Arzneimittelindustrie darf nicht mit überschießenden, die Produktion noch weiter verteuernden oder ins Ausland verdrängenden Umweltauflagen belastet werden. Alle nationalen Handelsbeschränkungen für Arzneimittel im europäischen Binnenmarkt zwischen Industrie und Großhandel beziehungsweise Einzelhandel, also Apotheken, sind zu beenden. Drittens: Die Resilienz in der Arzneimittelversorgung muss erhöht werden – durch verstärkte Anreize für die europäische Produktion und eine breit aufgestellte Vertriebskette – dazu gehört die Belieferungspflicht der Hersteller an den vollsortierten pharmazeutischen Großhandel.
Lassen sich Herausforderungen wie Medikamentenengpässe, Lieferverzögerungen oder Abhängigkeiten bei der Produktion von Arzneimitteln generell besser nationalstaatlich, oder auf EU-Ebene lösen? Aktuell steht wieder einmal die Sicherstellung wesentlicher Schutzkriterien für die Bereitstellung von Arzneimitteln vor dem Hintergrund der geplanten Reform des EU-Arzneimittelrechts auf der EU-Agenda. Einige der in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Reform des Arzneimittelrechts und Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen“ festgehaltenen Ziele sind per se nicht schlecht, doch in ihrer Gesamtheit verfehlt die Kommission mit ihren Vorschlägen in der jetzigen Form die von ihr selbst gesteckten Zielsetzungen. Die Maßnahmen erweisen sich als ungeeignet, weil sie keine echte Entlastung darstellen oder sogar kontraproduktiv wirken können, etwa, wenn es um die Planbarkeit geht. Ein gravierender Denkfehler ist der Kommission bei der geforderten Zulassungsverpflichtung in allen EU-Mitgliedstaaten unterlaufen, da der letzte Mitgliedstaat, mit dem die Erstattungspreise einer solchen Zulassung verhandelt werden, die größte Verhandlungsmacht besitzt, wodurch eine größere Preisspanne zwischen den EU-Mitgliedstaaten entsteht. Innereuropäisch führen große Preisdifferenzen jedoch zu einem Verteilungsungleichgewicht, sei es durch Kontingentierung seitens der Hersteller oder durch unerwünschten Parallelhandel. Eine verpflichtende EU-weite Zulassung sollte deshalb wie schon vorhin erwähnt nur mit einem verpflichtenden „Preisband“ eingeführt werden.
Die jüngsten Gesundheitskrisen haben auch die Schwachstellen in den Systemen aufgezeigt. Ist die EU nach der COVID-Pandemie auf eine nächste derartige Herausforderung mittlerweile vorbereitet? Sowohl in Österreich als auch in der EU müssen künftig transparente Beschaffungsvorgänge bei Impfstoffen, Medikamenten und Medizinprodukten garantiert werden. Es darf keine Bevormundung durch WHO und EU geben und keine Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen – das heißt Patienten, Gesundheitspersonal und Steuerzahler – hinweg. Die FPÖ tritt außerdem gegen eine Bevormundung durch intransparente Entscheidungen und ein Regime auf, das mit Befehls- und Zwangsgewalt, wie zum Beispiel Lockdowns, Testpflicht, Maskenpflicht und Impfpflicht die Bevölkerung in einer solchen Situation nicht bereit ist, zu überzeugen, sondern stattdessen einsperrt, bestraft und auch ökonomisch und sozial schädigt.
Welche Folgen erwarten Sie durch die Einführung des „European Health Data Space“? Die bisherigen Erfahrungen mit der digitalen Gesundheitsverwaltung in Österreich und in der EU sind vielfach datenschutzrechtlich problematisch, schränken die Selbstbestimmung jedes Einzelnen ein und führen dazu, dass die EU über die Gesundheitspolitik in Österreich in intransparenten Entscheidungsprozessen bestimmen möchte. Das lehnen wir ab. Opting-Out und die individuelle Selbstbestimmung über den Status und das Ausmaß der persönlichen Gesundheitsdaten muss ein Grundrecht sein.
Gesundheit fällt innerhalb der EU nach wie vor in nationale Zuständigkeiten. Soll sich das ändern? Nein. Gesundheitspolitik muss weiterhin im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten bleiben. Wir wollen eine klare Dezentralisierung der EU, vor allem im Gesundheitsbereich, da wir eine zusätzliche Belastung des österreichischen Gesundheitssystems befürchten.
Soll es europäische Steuern geben, um soziale Systeme abzusichern? Es braucht keine weiteren Kompetenzen für Brüssel und schon gar keine eigenen EU-Steuern, sondern ganz im Gegenteil eine Rückholung österreichischer Souveränität und Selbstbestimmung. (Das Interview führte Evelyn Holley-Spiess)