Grüne-EU-Kandidatin Schilling: „EU sollte Gesundheitsunion sein“

© Die Grünen

Die EU-Wahl rückt näher und auch das Thema Gesundheit ist mittlerweile aus dem europäischen Kontext längst nicht mehr wegzudenken. Relatus MED hat die Spitzenkandidat:innen der Parteien zu den drängendsten Herausforderungen befragt.

Lieferverzögerungen bei Medikamenten und Medizinprodukten sind mittlerweile zu einem Dauerproblem geworden. Immer wieder wird vor diesem Hintergrund auch die Abhängigkeit bei der Produktion von Arzneimitteln in Europa thematisiert. Lassen sich diese Herausforderungen besser nationalstaatlich, oder auf EU-Ebene lösen? Europa ist viel mehr als bloß ein Wirtschaftsraum. Die EU sollte aus unserer Sicht auch eine Sozialunion, und damit in weiterer Folge eine Gesundheitsunion sein. Wir sind der Meinung, dass es jedenfalls eine gesamteuropäische Sicht und eine europaweite Strategie braucht, um Lieferengpässen bei Arzneimitteln entgegenzuwirken und gleichzeitig für eine bessere und gleiche Verteilung von Medikamenten zu sorgen. Die Herausforderungen bei den Medikamenten gibt es ja nicht nur in Österreich, sondern in ähnlicher Form in allen Mitgliedsländern der EU. Wir werden daher gut daran tun, dies gemeinsam anzugehen. Dazu würden sich mehrere Maßnahmen eignen. Einerseits wollen wir eine stärkere Koordinierungsrolle für die Europäische Arzneimittelagentur (EMA). Dabei geht es nicht nur um die Zulassung von neuen Produkten, sondern auch um das Überwachen von Arzneimittelengpässen durch die nationalen Behörden. Darüber hinaus braucht es eine frühzeitige Meldung von Engpässen und Arzneimittelrücknahmen sowie Engpasspräventionspläne, damit es erst gar nicht dazu kommen kann. Außerdem sollten wir EU-weit die kritischen Arzneimittel in einer Liste erfassen und Schwachstellen in der Lieferkette identifizieren. Den Unternehmen sollten wir konkrete Empfehlungen zu Maßnahmen in die Hand geben. Und besonders wichtig: Wir sollten die Arzneimittelproduktionen wieder zurück nach Europa bringen und dann in weiterer Folge darauf achten, dass die Verteilung der Produkte auch gesamteuropäisch stattfindet.

So gesehen war die COVID-Pandemie ein erster Testlauf für eine solche Gesundheitsunion – mit all den Schlaglöchern, die wir erlebt haben. Ist die EU auf eine nächste derartige Herausforderung mittlerweile vorbereitet? Die EU hat die COVID-Pandemie sehr ernst genommen und ihre Learnings daraus gezogen. Wir sprechen uns auch nach dem jüngsten Scheitern dafür aus, dass das Pandemieübereinkommen weiter verhandelt wird. Es geht um eine EU-weite und globale, umfassende Strategie. Die rasche Erkennung, Frühwarnung und eine umgehende adäquate Reaktion sind das Ziel dieser Strategie. Ein solches Übereinkommen würde die internationale Kooperation im Pandemiefall erleichtern und den entsprechenden rechtlichen Rahmen dafür definieren. Dieser könnte außerdem das politische Engagement für präventive Maßnahmen stärken und sicherstellen, dass alle Länder weltweit einen gleichrangigen Zugang zu Hilfsmitteln und Medikamenten bekommen. Es braucht einen gemeinsamen europäischen Weg, um auch in Zukunft gut auf jegliche Art von Krisen reagieren zu können. Das Pandemieübereinkommen ebenso wie die gemeinsame Europäische Strategie für die Beschaffung von Medikamenten und Impfstoffen oder der neue European Health Data Space sind dabei wichtige Werkzeuge.

Was erwarten Sie sich durch die Einführung des „European Health Data Space“? Gerade die COVID-19 Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, auf europäischer Ebene vernetzt im Gesundheitsbereich zusammenzuarbeiten. Wir positionieren uns ganz klar für einen europäischen Health Data Space unter der Voraussetzung, dass alle Datenschutzbedenken ausgeräumt werden und Missbrauch dieser sensiblen Daten ausgeschlossen werden kann. Österreich setzt sich seit Beginn der Verhandlungen für höchste Standards beim Datenschutz ein. Patient:innen sollen die Möglichkeit haben, sich gegen die Weitergabe ihrer Daten auszusprechen.

Ein anderes Problem, das ganz Europa beschäftigt, ist der Mangel beim Gesundheitspersonal. Welche europäischen Initiativen bräuchte es hier? Das ist tatsächlich ein großes Problem, dem wir unbedingt raschest begegnen müssen. Um das in den Griff zu bekommen, braucht es ein koordiniertes Vorgehen, eine enge Kooperation und ebenso eine Unterstützung kleiner Staaten durch große. Wir müssen etwa Regelungen der legalen Zuwanderung schaffen. Zur Anwerbung von Fachkräften braucht es den Ausbau des „EU Talent Pool“ Skills-Matching-Mechanismus. Außerdem sollte die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen schneller und unbürokratischer ablaufen. Bei den Gesundheitsberufen wie etwa den Diplomierten Krankenpfleger:innen braucht es einen Kompetenzausbau. Das fordern übrigens vor allem die jüngeren Mediziner:innen.

Gesundheit fällt innerhalb der EU nach wie vor in nationale Zuständigkeiten. Soll sich das ändern? Wie zuvor schon erwähnt, betrachten wir Grüne die EU nicht nur als Wirtschafts- sondern vor allem auch als Sozialunion und damit verbunden auch als Gesundheitsunion. Die EU sollte daher in Zukunft deutlich mehr koordinieren und Rahmen vorgeben, sie sollte einen gesamteuropäischen Gesundheitsraum im Blick haben und daran arbeiten, dass gute Standards ausgeweitet werden und überall gang und gäbe sind.

Soll es europäische Steuern geben, um soziale Systeme abzusichern? Derzeit bestimmen die Mitgliedsstaaten in der EU über ihre Steuern. Nur in Bereichen, wo es zum Beispiel um den Wettbewerb am Binnenmarkt oder um die Vermeidung von Diskriminierung geht, gibt die EU den Rahmen vor. Das ist zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer oder den Energiesteuern so. Wir unterstützen die europäische Initiative BEFIT (Business in Europe: Framework for Income Taxation, Anm.), damit bei den Unternehmenssteuern die gleichen Regeln für alle gelten. In diesem Bereich ist die gerade eingeführte globale Mindestbesteuerung ein Meilenstein. Für eine “echte” europäische Steuer müsste zuerst die Kompetenz für Steuergesetze an die EU übertragen werden. (Das Interview führte Evelyn Holley-Spiess)