Der Kardiologe und Past-Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG), Peter Siostrzonek, warnt im RELATUS-Sommergespräch vor den Auswirkungen von Klimakrise, Pandemie und fehlendem Bewusstsein.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Todesursache Nr. 1 in Österreich. Warum eigentlich? In der Öffentlichkeit ist leider das Bewusstsein für die Bedeutung von Herzerkrankungen sehr gering geworden. Dies ist einerseits dadurch bedingt, dass viele Akutsituationen wie der Herzinfarkt heute rasch und sicher beherrscht werden können und damit ihren Schrecken verloren haben. Auch chronische Erkrankungen werden mittlerweile als gut behandelbar angesehen, was aber nur zum Teil zutrifft, wenn wir uns etwa die Morbiditäts- und Mortalitätsdaten bei der Herzinsuffizienz im Vergleich zu verschiedenen Krebserkrankungen ansehen. Andererseits werden präventive Maßnahmen in vielen Medien zwar gerne besprochen, hier steht aber häufig der Wellnessaspekt im Vordergrund, und gezielte Informationen kommen oft nicht bei jenen Menschen an, die sie am dringendsten umsetzen müssten. Dazu kommt noch der Aspekt, dass gerade bei älteren Menschen mit vorbestehenden Herzerkrankungen die Corona-Infektionen mutmaßlich besonders hohe Opferzahlen fordern. Auch die zunehmende Klimaveränderung mit längeren Hitzeperioden setzt kardialen Patient:innen zu, sodass ich mittelfristig sogar von einer weiteren Zunahme der Herz-Kreislaufsterblichkeit ausgehen würde.
Sie haben Corona angesprochen: Welche Rolle spielen kardiologische Beschwerden in diesem Zusammenhang? Kardiovaskuläre Komplikationen wie Myokarditiden, Herzinfarkte, Pulmonalembolien und Arrhythmien stellen einen wichtigen Aspekt bei der akuten schweren Covid-19-Infektion dar. Die kardialen Langzeitschäden nach einer Covid-19-Erkrankung sind dagegen weniger gut untersucht und dürften doch nicht so häufig auftreten, wie wir das befürchtet haben, oder sie verlaufen häufiger subklinisch. Dennoch wird in aktuellen Leitlinien empfohlen bei Patient:innen mit Herzerkrankungen in der Nachsorge einer Covid-19-Erkrankung kardiale Marker (Troponin, BNP) zu bestimmen, ein EKG zu schreiben und in Abhängigkeit dieser Befunde auch ein Echokardiogramm und gegebenenfalls eine MR-Untersuchung durchzuführen.
Konnte die Pandemie also dafür genutzt werden, mehr Bewusstsein für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu schaffen oder sind „Nicht-Virus-Erkrankungen“ erst recht in den Hintergrund gerückt? Die Pandemie hat die Situation für unsere Anliegen als Kardiolog:innen sicherlich nicht verbessert, und es liegen derzeit tatsächlich wichtige Projekte der ÖKG wie etwa die Teilnahme am European Heart Registry auf Eis. Wir Kardiolog:innen kämpfen in Österreich schon seit Jahren darum, dass Herzerkrankungen in der Öffentlichkeit und in der Gesundheitspolitik wieder jener Stellenwert zugemessen wird, der aufgrund der Häufigkeit und Relevanz diesen Erkrankungen auch zustehen würde. Bereits vor der Coronapandemie wurde den Krebserkrankungen vergleichsweise viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet, und das hat sich dann leider auch auf die Verteilung von Ressourcen im Gesundheitswesen ausgewirkt.
Welche Herausforderungen warten also Ihrer Meinung nach im Herbst auf das heimische Gesundheitssystem mit Augenmerk auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen? Die größte Herausforderung wird voraussichtlich erneut der Umgang mit der prognostizierten Steigerung der Covid-19-Fälle sein. Gerade Patient:innen mit Koronarer Herzerkrankung oder jene mit Herzinsuffizienz haben bei einer Covid-19-Infektion ein deutlich erhöhtes Risiko und sollten rechtzeitig eine Auffrischungsimpfung erhalten. Dasselbe gilt auch für die Grippe, von der wir vergangenes Jahr wegen der Kontaktbeschränkungen glücklicherweise verschont geblieben sind. Hier gilt es unsere Patient:innen erneut von der Notwendigkeit der Impfungen zu überzeugen, und das in einer Zeit, wo Schutzmaßnahmen unpopulär geworden sind und wo viele Menschen gerne die Pandemie für beendet erklären möchten. In den Praxen und Krankenhäusern könnten bei einer neuerlichen Infektionswelle wieder personelle Engpässe zutage treten. Besonders kardiologische Abteilungen haben darunter besonders gelitten, da die dort vorhandenen Überwachungskapazitäten primär für die an Covid-19 erkrankten Patient:innen zur Verfügung gestellt werden mussten.
Mittlerweile gibt es schon Anwendungen und Geräte, die mit nachhause genommen werden können, um Spitäler zu entlasten und gleichzeitig den Wirkungsraum von Mediziner:innen zu erweitern und „nahe“ am Patienten/der Patientin zu bleiben. Was halten Sie von drahtlosem Monitoring von Patient:innen in deren eigenen vier Wänden? Auf dem Gebiet des Telemonitorings hat uns die Pandemie ausnahmsweise ja auch Fortschritte gebracht, ich denke hier etwa an das Telemonitoring von Vitaldaten, z.B. der Sauerstoffsättigung von zu Hause bei Patient:innen, die an Covid-19 erkrankt sind. Und es gibt viele weitere Anwendungen, die Gesundheitsdaten generieren, speichern, analysieren und an Ordinationen oder Krankenhauszentren übertragen können. In einigen Bereichen ist dieses Monitoring schon länger etabliert, etwa bei der Schrittmacherüberwachung oder teilweise auch bei der Herzinsuffizienz. Ein Problem bei manchen Anwendungen ist, dass neben potentiellen Fehlerquellen oft auch die Gefahr einer Überbefundung besteht, da bei der Patient:innenauswahl häufig unselektiv vorgegangen wird und bei der Fülle an Daten der tatsächliche Krankheitswert eines einzelnen positiven Befundes unklar ist. Dies gilt etwa auch bei Apps zu Detektion von Vorhofflimmern, wobei ich es dennoch faszinierend finde, wie „echt“ die generierten EKG-Kurven bei diesen Anwendungen meist aussehen.
Mit der Informationsplattform cardioaktiv.at, welche im Mai live gegangen ist, setzt die ÖKG auf Aufklärung und Austausch mit den Patient:innen selbst. Wird die Seite genutzt? Wir haben diese ohne Industriesponsor aufgesetzte Seite cardioaktiv.at der ÖKG mit etwa 20 Beiträgen über ganz unterschiedliche kardiologische Themen Ende Mai gestartet und von vielen Seiten bereits Lob geerntet. Noch sind die Zugriffe auf die Internetseite ausbaufähig, über Facebook läuft es aber schon deutlich besser und wir hoffen dann mit zunehmender Verlinkung und weiteren Beiträgen in den nächsten Monaten auf deutlich steigende Zugriffsraten.
Abgesehen von besseren Zugriffsraten und einem steigenden Bewusstsein – was wünschen Sie sich – kurz- und langfristig – für die Zukunft? Ich würde mir wünschen, dass die kardiologische Medizin von Politik und Öffentlichkeit wieder entsprechend ihrer tatsächlichen Bedeutung wahrgenommen wird. Wir wünschen uns kurze Wege zu den politischen Entscheidungsträger:innen und eine Kommunikation auf Augenhöhe, um einen konstruktiven Austausch zum Wohle der uns anvertrauten Patient:innen zu erreichen. (Das Gespräch führte Katrin Grabner)