Claudia Habl, in der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) unter anderem zuständig für Internationale Angelegenheiten und Digitalisierung, verrät, warum sie nicht mehr im Spital arbeiten wollte und warum die GÖG so wichtig ist.
Sie wollten früher Verwaltungsdirektorin in einem Spital werden, haben aber wegen der vorherrschenden Hierarchien zur GÖG gewechselt. Welche Hierarchien waren das? Kurz gesagt, Frauen waren immer die Krankenschwestern und Männer die Ärzte. Nicht in Wirklichkeit, aber es hat einfach diese verfestigten Rollenbilder gegeben. Das ist so weit gegangen, dass eine Oberärztin einen großen Button am Kittel getragen hat, wo Oberärztin draufstand, weil sie immer wieder mit „Schwester“ angesprochen wurde. Im Gegensatz dazu waren die Männer automatisch immer der „Herr Doktor“. Es war tatsächlich so, wie es immer heißt: Der Gott in Weiß. Nicht die Göttin. Es gab sehr wohl Frauen in Führungspositionen, aber diese mussten sich ihr Standing und den Respekt täglich erkämpfen.
Und bei der GÖG gibt es diese Hierarchien nicht? Nein, finde ich nicht. Die GÖG funktioniert im Großen und Ganzen wie eine Expertokratie. Es gibt eine Spitze, aber die ist sehr klein. Und darunter sammeln sich Teams aus Expert:innen, die in ihrem Feld, das ist die Fachabteilung, zusammenarbeiten. Diese Art des Arbeitens hat mich von Anfang an sehr angesprochen. Mir gefällt, dass wir alle ein gemeinsames Ziel haben, nämlich dafür zu sorgen, dass es in Österreich mündige Bürger:innen gibt, die durch eine hohe Gesundheitskompetenz gar nicht erst zu Patient:innen werden. Wir sprechen deshalb vorzugsweise von Klient:innen, weil wir eben gesunde Bürger:innen wollen. Ich bin Befürworterin des aktuellen Paradigmenwechsels von einer optimierten Gesundheitsversorgung zu einem Gesundheitssystem, wo die Menschen im besten Fall gar nicht versorgt werden müssen. Die Gesellschaft sollte so aufgestellt sein, dass Prävention und ein gesunder Lebensstil im Vordergrund stehen – hier müssen wir meiner Meinung nach noch daran arbeiten, dass das auch für alle möglich ist. Nicht jede:r hat dieselben Chancen.
Für wen ist es heute noch nicht möglich? Und warum? Ob ich mich gesund ernähren kann, ob ich eine ausgeprägte Gesundheitskompetenz habe und so weiter – all das hängt stark von den Lebensbedingungen und mit meinem sozioökonomischen Status zusammen. Gesunde Ernährung und auch „gesundes“ Wohnen sind teuer. Niemand will in einer schimmeligen Wohnung wohnen. Aber viele können sich keine bessere Wohnung leisten. Und auch für Aus-, Weiter- und Fortbildung brauche ich Zeit und Geld – und die familiäre Unterstützung. Dazu kommt, dass es nun mal Erkrankungen gibt, die angeboren sind. Wir müssen also darauf schauen, dass wir Menschen, die in einer schwierigeren finanziellen, familiären oder gesundheitlichen Lage sind, mitnehmen und mitdenken. Es wird immer wieder einmal darüber nachgedacht, ob die Sozialversicherungsbeiträge wie bei einer Autokaskoversicherung mit dem Risiko ansteigen sollen. Also ob Menschen, die risikoreicher oder ungesünder leben, mehr zahlen sollten. Das halte ich für unsinnig und ungerecht, weil die Gesundheit und die Gesundheitskompetenz so stark vom sozialen und ökonomischen Status abhängen – und das ist oft ganz einfach Glück, in welche Familie, in welches Land, in welches Geschlecht man geboren wird.
Sind familienfeindliche, traditionelle Strukturen ein gesamtgesellschaftliches Problem oder typisch für das Gesundheitssystem? Sowohl als auch. Im Gesundheitsbereich, vor allem im Krankenhaus, war und ist die Arbeitswelt sehr traditionell. Man arbeitet viele Stunden, macht lange Dienste, hat wenig Flexibilität und wird in Zeiten von Personalmangel zunehmend gefordert. Das duale System, also die aufgesplittete Finanzierung, ist ein weiterer Teil des Problems. Und dabei geht es meiner Meinung nach nicht nur um den niedergelassenen- und stationären Bereich, die getrennt behandelt werden. Sondern das Problem geht tiefer, weil auch das Pflege- und Sozialsystem noch dazukommen. Die werden auch oft extra behandelt. Dabei ist das Gesundheits- und Sozialsystem ein großes Ganzes. Stellen Sie sich ein Puzzle mit 1.500 Teilen vor. Solange da nur ein Teilchen fehlt, sieht es nicht gut aus. So ist das auch in unserem Gesundheitssystem. Wir müssen alle mitdenken, alle haben eine Aufgabe, auch wenn man nicht im Vordergrund steht. Das mag ich an der GÖG sehr gerne. Wir sind nicht der wichtigste Player, aber wir haben eine wichtige Rolle und tragen dazu bei, dass das ganze System gut läuft. Die GÖG ist eine „Knowledge Brokerin“, die fehlen würde, wenn es sie nicht gäbe. (Das Interview führte Katrin Grabner.)
Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Jetzt reden wir! Wie Frauen das Gesundheitssystem neu denken“, erschienen im Ampuls-Verlag; ISBN: 978-3-9505385-3-3; 180 Seiten, 29,90 Euro