Rund 1,7 Milliarden Euro Verluste wird die Österreichische Gesundheitskasse bis 2024 anhäufen, so ihre eigene Prognose. Gestritten wird jetzt, wer die Schuld an der Misere trägt und ob die Fusion doch keine gute Idee war.
Für die SPÖ und die Arbeitnehmervertreter in der Krankenkasse ist der Grund für die erwarteten enormen Verluste klar: die Reform mit der Zusammenlegung der Krankenkassen war unnötig und wird teuer. Die von ÖVP und FPÖ versprochenen Synergien werde es nicht geben, zeigten sich Gewerkschafter und SPÖ-Vertreter zum Ende der Woche überzeugt. Die ÖVP und Wirtschaftsvertreter wiederum geben vor allem der SPÖ und auch den Ärzten die Schuld. Man habe noch kurz vor Beginn der Reform in einigen Kassen die Ärztehonorare kräftig erhöht und auch die schon fixierte Harmonisierung der Leistungen würde viel Geld kosten und Teile der versprochenen „Patientenmilliarde“ vorweg nehmen, sagte ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer.
Einzelne rot-geführte Kassen hätten weit über ihre Verhältnisse gelebt, sagt auch Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger: „Die Wiener Gebietskrankenkasse war aufgrund der ohne Rücksicht auf das Budget gefassten Beschlüsse tief in den roten Zahlen und wäre ohne Fusion in ihrer Existenz gefährdet gewesen.“ Der ÖVP-nahe Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungsträger, Peter Lehner, macht für die steigenden Defizite in der ÖGK ebenfalls „die Beschlüsse der roten Selbstverwaltung“ verantwortlich. Hilfe von außen für die ÖGK, wie das zuletzt auch die Ärztekammer mit Hinblick auf die versprochene Patientenmilliarde gefordert hat, lehnt Lehner ab. Vor der Fusion sei von den Gebietskrankenkassen „sehr willkürlich ohne Rücksicht auf die Budgets Geld ausgegeben“ worden, kritisierte Lehner. Als Beispiel nannte er den noch von der Wiener Gebietskrankenkasse abgeschlossenen Ärztevertrag, der wesentlich höher ausgefallen sei als in anderen Bundesländern. Das habe Druck für die anderen erzeugt, dem nachzuziehen.
Andreas Huss, Arbeitnehmerobmann der ÖGK, weist die Argumente als „Unsinn“ zurück. Die Gebietskrankenkassen hätten vielmehr mit erstem Jänner 2020 Rücklagen in der Höhe von 1,4 Milliarden Euro in die ÖGK eingebracht. „Der ÖVP ist es gelungen, diese in ein prognostiziertes Minus von 1,7 Milliarden Euro zu verwandeln. Die Wirtschaftsfraktion gibt mit beiden Händen das Geld der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für eine völlig sinnbefreite Zwangsfusion aus.“ Huss spielt den Ball zudem an die ÖVP zurück: „In den neun Gebietskrankenkassen hatte die Wirtschaftskammer mit acht zu zwei die Mehrheit in den Kontrollversammlungen, von denen alle Verträge zu beschließen waren. Die damalige Gesundheitsministerin Hartinger-Klein und Kanzler Kurz haben bereits im Juli 2018 die so genannte Ausgabenbremse erlassen. Diese legte fest, dass kein neuer Vertrag teurer sein darf als die Beitragseinnahmensteigerung des jeweiligen Jahres. Peinlichst genau haben die Aufsichtskommissäre der Ministerin auf die Einhaltung dieser Vorgabe gewacht.“ Auch Wurzer sei laufend darüber informiert gewesen. (rüm)