Die Allgemeinmedizinerin Johanna Schauer-Berg, Obfrau von Health for Future Austria, fordert im RELATUS-Sommergespräch mehr Engagement der Gesundheitsberufe im Kampf gegen die Klimakrise.
Warum ist die Klimakrise auch eine Gesundheitskrise? Die vergangenen acht Jahre waren global gesehen die wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnung. Europa ist dabei ein klimatischer Hotspot, der Kontinent erwärmt sich am schnellsten von allen. Das führt zu Hitzewellen, zu Überschwemmungen, bringt Veränderungen bei Infektionskrankheiten und verstärkt Allergien – all das belastet unsere Gesundheit massiv. Allein im vergangenen Sommer hat es in Europa über 60.000 Hitzetote gegeben. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass sich diese Zahl bis 2050 verdoppelt.
Wen treffen die Entwicklungen am stärksten? Besonders ältere Menschen und Kinder werden darunter leiden, denn in diesen Altersgruppen ist die Thermoregulation und das Schwitzverhalten physiologisch anders. Aber auch chronisch Kranke und Menschen, die draußen arbeiten, werden besonders unter den klimatischen Veränderungen leiden. Schon allein wegen des demografischen Wandels werden mehr Leute medizinisch betreut werden müssen und das in Zeiten von Personalmangel im Gesundheitswesen. Hinzu kommt noch, dass Medikamente bei hohen Temperaturen und nicht sachgerechter Lagerung ihre Wirkung verändern können. Andere wiederum beeinflussen auch die Thermoregulierung im Körper, des Schwitzverhalten und Durstempfinden, was gefährlich werden kann. Die Klimakrise belastet also nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch unser Gesundheitssystem auf vielfältige Weise.
Was bedeutet das für das Gesundheitswesen konkret? Business as usual geht nicht mehr. Wir müssen aktiv an unserem ökologischen Fußabdruck arbeiten. Denn immerhin hat die Medizin einen ethischen Anspruch: den Menschen nicht zu schaden. Trotzdem ist der Gesundheitssektor mit sieben Prozent der Dienstleistungssektor mit dem größten Anteil am nationalen CO2-Ausstoß. Wegschauen ist keine Option mehr, wir verlieren, wenn wir nicht aktiv werden. Und wir haben ja die Kompetenz, darüber zu sprechen, darüber aufzuklären.
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor? Einerseits müssen wir im Gesundheitswesen darauf achten, unseren eigenen Fußabdruck möglichst gering zu halten. Indem wir Überdiagnostik vermeiden oder zum Beispiel anstelle eines Asthmasprays mit klimaschädlichem Treibmittel einen klimafreundlicheren Trockeninhalator verschreiben. Auch die medizinische Infrastruktur muss angepasst werden. In Österreich sind die wenigsten Gesundheitseinrichtungen auf extreme Hitze vorbereitet. Da braucht es eine thermische Sanierung, die im Sommer kühl und im Winter warmhält und zusätzlich Energie und Kosten spart. Andererseits können Mediziner:innen den Patient:innen dabei helfen, bestmöglich auf die Herausforderung der Klimakrise vorbereitet zu sein.
Wie genau? Hausärzt:innen kennen ihre Patient:innen am besten, sie kennen die Vorerkrankungen und das soziale Setting. In solchen Fällen kann zum Beispiel gemeinsam ein Hitzeplan erstellt werden: Wo kann man sich abkühlen, wie viel sollte man trinken, was soll man essen, wie oft muss der Blutdruck gemessen oder muss die Medikation angepasst werden und so weiter. Die gute Nachricht ist: Klimaschutzmaßnahmen wie mehr zu Fuß gehen statt Autofahren und eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung schützt nicht nur den Planeten, sondern in erster Linie die Gesundheit unserer Patient:innen.
Ist das Bewusstsein dafür da? Wie schätzen Sie die Klimakompetenz im Gesundheitswesen und der Gesellschaft ein? Ich denke schon, dass es innerhalb der Gesundheitsberufe immer mehr Initiativen gibt, die in die richtige Richtung gehen. Das liegt daran, dass wir es immer unmittelbarer mitbekommen. In den Ordinationen sitzen zum Beispiel immer öfter Menschen mit Hitzekollaps, das führt zu mehr Bewusstsein. Auch die Anzahl der Weiterbildungen, Vorträge und Forschungen im Bereich Klimakrise und Gesundheit steigt. Das findet aber nicht flächendeckend statt, hier wäre eine Offensive im Ausbau von all diesen Dingen wichtig. In der Bevölkerung selbst sehe ich einen großen Informationsbedarf. Da sollten sich die Gesundheitsberufe mehr engagieren, das ist unsere Expertise. Der CO2-Fußabdruck ist sehr abstrakt, das kann man nicht sehen, das ist hochkomplex. Wenn man aber über neue Krankheitserreger spricht oder eben über Hitzeschutzmaßnahmen, dann macht das die Klimakrise angreifbarer. (Das Interview führte Katrin Grabner.)