Die massiv steigenden Infektionszahlen könnte man noch mit der hohen Zahl an Testungen argumentieren, die steigenden Spitalsfälle nicht. Der Druck im Gesundheitssystem steigt. Lösungen sind rar.
Nachträglich ist man immer klüger. Das haben sich viele Experten nach der ersten Corona-Welle im Frühjahr gedacht und vor dem Herbst und einer zweiten Welle gewarnt. Jetzt ist sie da und sie könnte für viele doch überraschend stärker sein, als die Welle im Frühjahr. Dass die Infektionszahlen rasant steigen, ist allerdings noch nicht das Problem. Immerhin wird deutlich mehr getestet. Und wer intensiv sucht, wird auch mehr finden. Ein untrügerischer Indikator sind hingegen die Spitalsfälle. Und die steigen derzeit auch. Deshalb nehmen die Warnungen der Intensivmediziner vor einem Engpass zu. Denn es geht längst nicht nur um Betten, sondern auch um Personal. Und das arbeitet seit Monaten am Anschlag. Dazu kommt, dass die Behörden in den Ländern gerade den Überblick verlieren. Das Contact Tracing stößt an Grenzen. Dass ein Großteil der Menschen erklärt, sich im Privatbereich angesteckt zu haben, bedeutet nicht zwingend, dass alle Garagenpartys besuchen. Es bedeutet auch, dass sie schlicht nicht wissen, wo sie sich anstecken. Kurz: die Entwicklung entgleitet den Behörden.
Die Gründe dafür sind zahlreich: Der Sommer war entspannt und viele haben sich wieder an das unbeschwerte Leben gewöhnt und wollen nicht wieder verzichten. Die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen der Krise führt dazu, dass man versucht, die Gefahr des Virus klein zu reden. Der Föderalismus mit eigenen Krisenstäben in den Ländern und Kommunen führt wiederum zu einer Unübersichtlichkeit von Maßnahmen und Entwicklungen. Fast hat man den Eindruck, dass jeder an seinen eigenen Lösungen bastelt. Das Problem ist nur, dass viele davon nicht funktionieren. Dazu kommen viele Köche, die unterschiedliche Interessen haben und an der Suppe mitkochen wollen. Erinnern wir uns nur daran, dass noch vor wenigen Tagen die Wirtschaft eine Verkürzung der Quarantäne-Dauer gefordert hat. Da haben wir die Debatte wieder: Was ist wichtiger – wirtschaftliche Entwicklung oder Gesundheit der Menschen?
Die Position des Gesundheitsministers ist klar – er hat auf die Gesundheit der Menschen zu achten. Der Bundeskanzler fürchtet sich wiederum vor zu vielen Todesfällen, gleichzeitig aber auch vor einem wirtschaftlichen Crash und dessen Folgen. Das Problem: die Entwicklung wird von zu vielen Faktoren beeinflusst und wirkt in zu viele Bereiche. Es ist als müsste man mit 20 Bällen gleichzeitig jonglieren und ab und zu wirft von außen noch jemand weitere Bälle dazu. Es geht nicht nur um medizinische Fragen, sondern auch darum, die Menschen vor den Folgen der Wirtschaftskrise zu schützen, Gastronomie und Tourismus zu retten, ebenso die Kulturbranche, Kinder und deren Eltern vor Schulschließungen, das Gesundheitssystem unabhängig von COVID-19 zu schützen und vieles mehr.
Zwei Lösungen werden seit Monaten diskutiert: jene des Lockdown und jene ohne Lockdown, die vielen Bereichen den freien Lauf lässt. Auch hier gibt es letztlich keine wissenschaftlich fundierte Antwort, welcher Weg der Bessere ist. Vieles spricht deshalb dafür, dass die Politik versucht, Bälle aus dem Spiel zu nehmen und Maßnahmen zu verschärfen. In der Hoffnung, so zumindest die anderen Bälle in der Luft halten zu können. Vermutlich wird das nicht mehr Lockdown heißen, aber wohl einen solchen bedeuten. Sicher ist: Am Ende des Tages werden wir nur dann aus der Krise kommen, wenn wirklich alle mehr Rücksicht nehmen und den einen oder anderen Wunsch zurückstellen. (rüm)