Die Bundesländer haben in Sachen Corona-Maßnahmen wieder einmal gezeigt, warum ihnen alle Gesundheitskompetenzen weggenommen werden sollten. Vielleicht wäre es überhaupt nötig, sie gänzlich abzuschaffen.
So viele Neuinfektionen wie noch nie – und das zu Faschingsbeginn. Und die Faschingsprinzen sitzen dabei in den Bundesländern. Wäre die Sache nicht so ernst, man könnte glauben, dass sich da ein paar Landesvertreter ein paar Faschingsscherze erlauben. Tirol hat bekanntlich nach Ischgl und weiteren tourismusfördernden Maßnahmen schon im Vorjahr jegliche Kompetenz in der Coronabekämpfung verloren, spätestens jetzt folgen endgültig Salzburg und Oberösterreich. Das Problem dabei: alle Gesundheitsreferenten trafen sich dieser Tage in Tirol und die Ergebnisse ihrer Gespräche führen nur noch zu fassungslosem Kopfschütteln.
Dabei hat am Donnerstag in bisher ungekannter Weise die Ampelkommission deutliche Worte gefordert. Da mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sehr hohes Systemrisiko in den Krankenanstalten erreicht werde, stehe die medizinische Versorgung der Bevölkerung vor einer ernstzunehmenden Bedrohung. Die Kommission schlägt zumindest regional in besonders betroffenen Gebieten wie Oberösterreich und Salzburg weitgehendere Schritte vor, die einem Lockdown gleichkommen. Konkret verlangt werden „allgemein gültige kontaktreduzierende Maßnahmen“, etwa die Beschränkung von Hochrisiko- und Risikosettings wie Zusammenkünften im privaten und öffentlichen Bereich, in der Gastronomie und im nicht essenziellen Handel.
Was tun die Länder? Die oberösterreichische Landeshauptmannstellvertreterin Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander (ÖVP) betonte erst vor ein paar Tagen, dass man in der Corona-Entwicklung keine Fehler gemacht habe. Wie hieß nochmal der ehemalige Tiroler Gesundheitslandes, der einst ähnliches nach Ischgl behauptet hat? Ob die Landtagswahlen am 26. September bei der Entwicklung eine Rolle gespielt hätten, man zu sehr auf die Impfgegner in Oberösterreich Rücksicht genommen habe und dies der große Fehler gewesen sei, beantwortete Haberlander nicht direkt. „Wir hatten einen fast normalen Sommer und dann kam es eben zu einem unglaublichen dynamischen Anstieg, der durchaus auch alle überrascht hat.“ Ein Anstieg, vor dem alle Experten in Wirklichkeit schon im Sommer, spätestens im September gewarnt hatten. „Überraschend“ ist anders. Haberlander ist aber zuversichtlich: Oberösterreich habe in dieser Kalenderwoche 121.000 Impfdosen bestellt. Das sei so viel wie noch niemals zuvor im Rahmen der vergangenen Wochen und Monate, sagt sie. Während andere Bundesländer am vergangenen Wochenende in Impfstraßen einen Ansturm von bisher Ungeimpften bewältigten, hatte in Oberösterreich gerade einmal eine Impfstraße offen.
Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) stand am Mittwochabend dem Vorschlag eines regionalen Lockdowns für Ungeimpfte skeptisch gegenüber. „Es gehört diskutiert, ob das eine sinnvolle oder eine symbolische Maßnahme ist“, sagte er in einer Pressekonferenz. „Mir ist klar, dass es Virologen am liebsten wäre, jeden Österreicher in ein Zimmer zu sperren, weil er sich da nicht infizieren kann. Aber sie werden dann halt an Depression sterben oder verdursten.“ Die Unterstellung an Virologen und die Absage an Lockdowns sei ein Symptom der Hilflosigkeit, konterte Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und warf Haslauer „Fake News“ vor. Vielmehr habe die Politik viel zu spät reagiert. Die Kritik sei diffamierend und motivationszerstörend für Wissenschaftler. Anders formuliert, bewahrheitet sich eine alte Logik: Nicht die schlechte Botschaft ist das Problem, sondern jener, der sie überbringt. Vergeigen es die Landespolitiker, sind ihrer Meinung nach nicht sie das Problem, sondern jene, die das aussprechen. Die Situation sei nicht erst seit Oktober dynamisch, schon im August habe das Prognose-Konsortium gesagt, dass es in den Spitälern eng werden wird, sagte Elling. Doch die Länder ignorieren seit Monaten alle Warnungen von allen Experten und Expertinnen beharrlich.
Die Landesgesundheitsreferenten haben sich bei ihrem Treffen in Tirol aber auch bei anderen Gesundheitsfragen nicht mit Ruhm bekleckert. Sie untermauerten, dass sie künftig die Qualitätssicherung der ärztlichen Arbeit und das Führen der Ärzteliste übernehmen wollen; sie forderten vom Bund wieder einmal mehr Geld für die Spitalsfinanzierung, wollen aber keine Finanzierung aus einer Hand und damit Macht abgeben und sie forderten hinsichtlich der Verbesserung der Situation in der Pflege – Beschäftigte hatten erst am Mittwoch bei Demonstrationen in ganz Österreich bessere Arbeitsbedingungen gefordert – die Umsetzung der Pflegelehre in Pilotregionen. Etwas, was von Pflegeverbänden klar abgelehnt wird.
Schon vor Monaten haben Gesundheitsökonominnen und – ökonomen errechnet, dass der Förderalismus in Sachen Corona-Maßnahmen nicht förderlich war und letztlich auch zu unnötigen Todesfällen geführt hat. In der Bundesverfassung liegt die Gesundheitskompetenz aber bei den Bundesländern, weil diese für die Gesundheit und soziale Versorgung der Menschen, die dort wohnen, verantwortlich sind. Es zeigt sich wieder einmal, dass sie dem nicht nachkommen wollen oder können. Mag sein, dass die Länder besser wissen, was für die Menschen, die dort wohnen gut und nötig ist. Das Problem ist nur, dass es mit Wissen allein nicht getan ist. Es braucht die Umsetzung. Passiert das nicht, stellen die Länder ihre Existenz letztlich selbst in Frage. Anders formuliert: Fragt man Gesundheitsexperten, welche Reformen es im heimischen Gesundheitssystem braucht, antworten immer mehr: „Die Abschaffung der Bundesländer“. Aktuell bestätigen die Länder selbst, dass diese Forderung richtig ist. Und wenn noch einmal ein Länderpolitiker etwas daherschwurbelt von Rettung der Tourismuswirtschaft und der nächsten Saison: Deutschland erklärte am Donnerstag, Österreich wegen der gestiegenen Infektionszahlen erneut auf die Liste der Hochrisikogebiete setzen zu wollen. (rüm)