Die Infektionszahlen steigen massiv. Österreich ist auf der Corona-Ampel fast flächendeckend rot. Die Pandemie ist nicht wie versprochen vorbei, sie schlägt zurück. Und diesmal wird es Kinder und Jugendliche treffen.
Wir haben es noch im Ohr: Vor dem Sommer wurde wie im Vorjahr die Pandemie klein geredet und ein „Sommer wie damals“ versprochen. Schon damals gab es Warnungen – auch innerhalb der Bundesregierung: Am 6. Mai etwa sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), trotz Impfung werde im Herbst/Winter nicht alles wieder in Ordnung sein. Man müsse die Leute auf weitere Teilimpfung im Herbst vorbereiten – und für die Schulen Teststrategien entwickeln, die durchgehenden Präsenzunterricht ermöglichen. Am 15. Juli betonte Mückstein in einem ZIB2-Interview, er wolle „den Fehler vom vergangenen Herbst, ein exponentielles Wachstum bei den Infektionen zu übersehen, nicht zwei Mal machen.“ Dennoch wurde zu Beginn des Sommers und während der Sommermonate die niedrigen Infektionszahlen gefeiert.
Wer warnte galt als Spielverderber, die meisten Menschen hatten die laufenden Corona-Nachrichten satt. Gleichgültigkeit machte sich breit. Anfang Juli verkündete die Stadt Wien, dass man die Maßnahmen verschärfe und führte eine Testpflicht für Kinder über sechs Jahren etwa in der Gastronomie und im Schwimmbad ein. Man müsse alles daransetzen, verschärfte Maßnahmen wie im vergangenen Herbst zu verhindern, sagte Gesundheitsstadt Pater Hacker (SPÖ) damals. Prompt gab es Kritik – von Opposition, aber auch der Bundesregierung. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) ärgerte sich, dass „am Tag vor gut geplanten bundesweiten Öffnungsschritten einseitig die Regeln zu ändern, völlig absurd“ ist. Heute ist Wien das einige Bundesland, das in der Corona-Ampel noch auf orange steht – zusammen mit Durchimpfungsspitzenreiter Burgenland.
Die Herbstwelle wird deutlich stärker ausfallen, als erhofft oder erwartet. Den Beschäftigten im Gesundheitswesen droht ein weiterer belastender Corona-Winter – in den Spitäler, aber auch im niedergelassenen Bereich. Auch wenn viele Infektionen bei den Geimpften gering ausfallen, die Zahl der Ungeimpften ist hoch und nicht wenige davon landen im Spital. Gegner von Corona-Maßnahmen werden einwenden, dass epidemiologisch betrachtet die Zahl der Todesopfer massive Einschränkungen nicht rechtfertigen und die Relation nicht stimmt. Sie übersehen, dass es auch diesmal viele Menschen trifft, die sich nicht wehren oder schützen können: Alte und chronisch Kranke sind oft geimpft, Kinder und Jugendliche sind es nicht. Sie litten bisher oft psychisch an den Maßnahmen, jetzt trifft es sie auch körperlich.
Fast die Hälfte der Zehn- bis 21-Jährigen Covid-19-Patienten hat auch mittelfristig Beschwerden und leidet unter Long Covid. Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Schmerzzustände, verminderte Muskelkraft und viele andere Symptome können Kennzeichen eines Long-Covid-Syndroms sein. Auch viele junge Ex-Covid-19-Patienten leiden daran, erklärte zuletzt die Onkologin Carmen Scheibenbogen (Charite Berlin) beim Interdisziplinären Symposium zur Suchterkrankung in Grundlsee in der Steiermark. „Seit vergangenem Sommer haben wir so viele Anfragen von jungen Patienten, die nach Covid-19 einfach nicht mehr fit werden.“ Die Expertin nannte Daten aus der sogenannten Oxford-Studie: Mehr als vier Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion leiden an Post-Covid-19-Symptomen 46 Prozent der Zehn- bis 21-Jährigen, 61 Prozent der über 65-Jährigen, 64 Prozent der wegen Covid-19 stationär aufgenommenen Patienten und 73 Prozent nach Aufenthalt auf einer Intensivstation.
So wie wir im Vorjahr zusammenrückten, um alte Menschen zu schützen, ist es spätestens jetzt notwendig, das für die Jugend zu tun. Es ist schon jetzt klar, dass wir eine „Generation Corona“ haben werden. Wir sollten alles tun, dass nicht weitere Maßnahmen nötig sind, die sich psychisch auf die Jugend auswirken und wir sollten alles tun, um Erkrankungen und langfristige Folgeschäden zu verhindern. Die einfachste Lösung dafür ist vorsichtiger zu sein. Dazu braucht es keine Panik aber auch keine Gleichgültigkeit – sondern einfach etwas mehr Hausverstand und Rücksicht. Das „Ich“ muss wieder dem „Wir“ weichen. (rüm)