Nach Patientenvertreter:innen und der Industrie kritisiert nun auch die Opposition die geplante Neueinführung eines Bewertungsboards im Krankenhaussektor.
Im Rahmen der Gesundheitsreform ist wie berichtet geplant, spezialisierte und innovative Therapien vor deren Einsatz im Krankenhaus durch ein neu einzurichtendes Bewertungsboard evaluieren zu lassen. Das Ziel sei, österreichweit ein einheitliches Niveau bei der Versorgung mit hoch innovativen Therapien in den Krankenanstalten zu erreichen, heißt es aus Regierungskreisen. Die Oppositionsparteien SPÖ und NEOS üben nun scharfe Kritik. SPÖ-Klubobmann und Gesundheitssprecher Philip Kucher stellt für die SPÖ klar, dem Medikamentenboard in vorliegender Form keinesfalls zuzustimmen: „Menschenleben dürfen kein Preisschild bekommen“, entrüstet sich Kucher und kritisiert dabei, dass bei der geplanten Bewertung nicht nur nach wissenschaftlichen und medizinischen Überlegungen, sondern auch nach wirtschaftlichen Überlegungen vorgegangen werden soll.
Ähnlich sieht das Fiona Fiedler, Gesundheitssprecherin der NEOS: „Gesundheitspolitik darf nie nur einseitig die Sparziele des öffentlichen Gesundheitswesens abbilden, sondern muss sowohl medizinische Expertise als auch die Interessen der Patientinnen und Patienten angemessen berücksichtigen“, sagt Fiedler. „Das von der Regierung geplante und von Fachleuten viel kritisierte Bewertungsboard für teure Medikamente vernachlässigt das Patientenwohl aber völlig. Minister Rauch darf dieses Projekt nicht stur durchziehen.“ In der Vergangenheit hat sich auch die FPÖ mit dem Wort „Sterbekommission“ gegen den Plan gestellt.
Im Gesundheitsministerium betonte man, zuletzt noch Änderungen vorgenommen zu haben. So müssen auch die Länder- und Kassenvertreter einen medizinischen oder pharmakologischen Hintergrund aufweisen. Außerdem müssten die Empfehlungen des Boards nicht von den Spitalsträgern übernommen werden, die ursprünglich geplante Verpflichtung sei wieder gestrichen worden. Das Vorhaben wurde am Dienstag im Gesundheitsausschuss des Nationalrats behandelt. Der Plenarbeschluss der Gesundheitsreform ist für kommende Woche vorgesehen. Im Gesundheitsausschuss nahm auch Gesundheitsminister Johannes Rauch Stellung zum umstrittenen Bewertungsboard, wobei er erneut unterstrich, dass nur fachkundige Vertreter:innen aus den Bereichen Humanmedizin und Pharmazie im Gremium sitzen werden. Überdies liege die Letztentscheidung bezüglich der Arzneimittel beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin beziehungsweise beim Spital. Bisher habe jedes Krankenhaus eigene Verhandlungen mit den Pharmafirmen geführt, die zudem völlig intransparent abgelaufen seien. Alle Beteiligten würden daher glauben, dass sie „den besten Vertrag haben“. Diese „Einflugschneise für Lobbyisten“ solle es in Hinkunft nicht mehr geben, formulierte Rauch.
Bereits vergangene Woche hagelte es Kritik am geplanten Arzneimittelboard von Industrie und Patientenvertreter:innen. „Wenn es nicht mehr den behandelnden Ärzt:innen obliegt, gemeinsam mit Betroffenen über den Einsatz einer Therapie zu entscheiden, sondern einem mehrheitlich patientenfernen und fachfremden Board in einem monatelangen bürokratischen Prozess, wird das die Versorgung definitiv verschlechtern“, warnt Alexander Herzog, Generalsekretär des Pharmaverbandes Pharmig. Entweder würden dann Therapien verzögert verfügbar gemacht oder sogar überhaupt verhindert. „Das ist gerade bei so schweren Krankheiten wie beispielsweise Krebs oder seltenen Erkrankungen fatal, wo jeder Tag für die Patient:innen zählt.“
Konkret wird die Besetzung des Gremiums kritisiert, denn es fehle darin die je Indikationsgebiet erforderliche fachmedizinische Expertise und Patientenorganisationen sind gänzlich ausgeklammert. „Damit entscheiden dominant Personen über den Einsatz von Therapien, die das eigentlich gar nicht können und die vielmehr einen wirtschaftlichen und keinen medizinischen oder patientenorientierten Blick auf die Therapien haben“, ärgert sich Herzog. Zwar sind drei Pharmakolog:innen vorgesehen und können gegebenenfalls medizinische Expert:innen beigezogen werden, aber das bilde die notwendige fachspezifische Perspektive nur äußerst bedingt ab. Zwar soll die Patientenanwaltschaft fixer Teil des Boards sein, aber ohne Stimmrecht.
Das geplante Bewertungsboard wäre auch ein falsches Signal in Richtung Arzneimittelforschung. „Fakt ist, dass klinische Forschung vermehrt in jenen Ländern stattfindet, die einen raschen und frühen Zugang zu neu entwickelten Therapien ermöglichen, und zwar durch entsprechend förderliche Rahmenbedingungen. Ist das nicht der Fall, kann dies dazu führen, dass innovative Therapien erst später, eingeschränkt oder gar nicht verfügbar werden.
Auch der Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) sieht die Patientensicherheit gefährdet. Er sieht die Reform im Bereich innovativer Therapien im Widerspruch zum Ärztegesetz. In diesem werden Ärzt:innen angehalten nach „state of science“, also dem aktuellen Stand der Wissenschaft, raschest mit der besten Therapie zu therapieren. Die geplante Novelle spreche die Entscheidung über den Einsatz von innovativen Therapien im Krankenhaus aber einem Gremium zu, das mehrheitlich aus Behördenvertreter:innen bestehe. Österreich sei zudem angehalten, der EU-Strategie „health in all policies“ folgend, in diesen Prozessen die Beteiligung und Einbringung der demokratisch gewählten Patientenvertreter:innen bindend zu berücksichtigen. (red/APA)