Anlässlich einer im Fachjournal „The Lancet“ erschienenen Serie zum Thema Fehlgeburten mahnt die Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Bettina Toth, einen offeneren Diskurs und mehr Forschungsgelder ein.
Laut einer dreiteiligen Lancet-Serie beläuft sich die Zahl der weltweiten Fehlgeburten pro Jahr auf 23 Millionen. Das entspreche einer von sieben Schwangerschaften weltweit und rund „44 pro Minute“. Vermutlich sei die Zahl der tatsächlichen Fehlgeburten „wesentlich höher“, weil nicht jeder Fall gemeldet werde, hieß es in dem Bericht. Die meisten Fehlgeburten passieren in den ersten drei Monaten, erklärte Toth. Danach sinke die Wahrscheinlichkeit deutlich. Zwischen dem dritten und sechsten Monat hätten nur noch ein bis vier Prozent der schwangeren Frauen eine Fehlgeburt. In Österreich sei mindestens jede zehnte Frau betroffen.
Die 31 an der Studie beteiligten Forscherinnen und Forscher fordern eine bessere medizinische und psychologische Betreuung von Betroffenen und Risikopatientinnen. Denn 20 Prozent aller Betroffenen würden in der Folge einer Fehlgeburt eine posttraumatische Belastungsstörung auftreten, warnten die Forscher. „Der Zusammenhang mit Angstzuständen und Depressionen ist signifikant“, bestätigte Toth im APA-Interview. Ferner lägen erste Erkenntnisse vor, dass betroffene Frauen später überdurchschnittlich häufig an einer Volkskrankheit wie etwa Diabetes erkranken. An der Universitätsklinik Innsbruck würden sie strukturierte Sprechstunden anbieten und eng mit Psychologen und Psychosomatikern des Hauses zusammenarbeiten. Dennoch ortete Toth eine Hemmschwelle, die sich in vielen Fällen auf Scham und Schuldgefühle zurückführen ließen. Dabei hängen Fehlgeburten meist damit zusammen, dass der Embryo sich nicht richtig entwickelt. „Viele Frauen nehmen eine Fehlgeburt jedoch als Versagen des eigenen Körpers wahr und reden nicht gerne darüber“, berichtete Toth und forderte, das Thema Schwangerschaft, -vorbereitung und Misslingen einer Schwangerschaft schon im Biologieunterricht in allen Schulformen zum Thema zu machen.
„Wir brauchen eine strukturierte Abklärung“, betonte Toth. Früher habe man nur 50 Prozent der möglichen Ursachen für eine Fehlgeburt identifizieren können, heute seien mehr solcher Risikofaktoren bekannt. Generell seien Fehlgeburten etwa bei älteren Frauen wahrscheinlicher. Mehrere Studien würden ferner zeigen, dass Rauchen das Risiko für eine Fehlgeburt erhöht. Auch wenn der Mann raucht, steigt das Risiko für eine Fehlgeburt. Alkohol und Koffein sowie Unter- oder Übergewicht können zudem das Risiko für Fehlgeburten erhöhen, informierte die Medizinerin. Außerdem erhöhe auch Nachtarbeit oder „extremer Stress“ das Risiko einer Fehlgeburt. „Wir müssen den Frauen helfen, aus dem Schamgefühl auszubrechen und sich helfen zu lassen“, verlangte Toth. Dann würden sich vielleicht mehr Frauen trauen, mit anderen über ihren Verlust zu sprechen und bekämen so die nötige Unterstützung durch das Umfeld. „Mein Appell richtet sich hier auch an die Politik“, unterstrich sie. Hierzulande sei es im internationalen Vergleich schwierig, Forschungsgelder zu lukrieren. (APA)