Rund zehn Prozent der Österreicher sind von Diabetes betroffen. Das bedeutet in vielen Fällen auch Stigmatisierung und Diskriminierung. Dabei gibt es Mängel in der Versorgung der Patienten, hieß es am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien.
„In Österreich sind etwa 800.000 Menschen von Diabetes betroffen. Der Trend zeigt eine starke Steigerung. Diabetes wird oft als ‚Lebensstilerkrankung‘ dargestellt. Das ist gefährlich“, sagte Susanne Kaser, Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG). Auch im Zusammenhang mit COVID-19 sei in der Öffentlichkeit von „schwerem“ oder „leichtem“ Diabetes gesprochen worden. Das sei prinzipiell falsch. „Es gibt keinen leichten Diabetes“, erklärte die Spezialistin von der Innsbrucker Universitätsklinik. Auch die einfache Kategorisierung von Menschen nach bei ihnen eventuell vorliegenden chronischen Erkrankungen sei inakzeptabel, sagte Karin Duderstadt, Geschäftsführerin des Selbsthilfe-Dachverbands „Wir sind Diabetes“: „Sagen Sie der ‚Krebsler‘, sagen Sie der ‚Infarktler‘?“ Ab der Diagnose werde man zum Diabetiker. „Das Wesen der Stigmatisierung ist die Begriffszuordnung. Nach der Stigmatisierung erfolgt oft Diskriminierung.“
Die Krankheit müsse jedenfalls ernst genommen werden, betonte Kaser: „In Österreich stirbt alle 50 Minuten ein Mensch an den Spätfolgen des Diabetes. Das sind 10.000 Todesfälle pro Jahr beziehungsweise die fünfthäufigste Sterbeursache. Pro Jahr gibt es rund 2.500 Amputationen, etwa 200 Menschen erblinden jedes Jahr als Spätfolge. Rund 300 Patienten müssen pro Jahr neu zur Nierenersatztherapie.“ Der Grund dafür sind die Gefäßschäden, die bei nicht ausreichend gut beherrschter Zuckerkrankheit langfristig auftreten können. Dabei haben sich die Behandlungsmöglichkeiten in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verbessert. Harald Sourij, Leiter der Diabetesambulanz der MedUni Graz, nannte hier die Möglichkeiten der kontinuierlichen Blutzuckermessung, neue Insuline, welche die Gefahr von Unterzuckerung (Hypoglykämien) um 50 reduzieren können, und die zunehmend ausgefeilteren Insulinpumpen. Hinzu kommen neue Blutzucker-senkende Medikamente für Typ-2-Diabetiker, welche das Herz-Kreislauf-Risiko um 15 Prozent und die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit um 30 Prozent vermindern.
Weiterhin existieren laut den Experten in Österreich Mängel in der Versorgung der Zuckerkranken. So gibt es kein Diabetes-Register, um Diagnose und Therapie sowie Status der Erkrankten zu analysieren. Kaser betonte: „Was wir brauchen, ist ein Diabetes-Register für ganz Österreich. Wir brauchen einen flächendeckenden Ausbau des Disease-Management-Programms ‚Diabetes aktiv‘.“ Schließlich müssten flächendeckend auch ambulante bzw. im niedergelassenen Bereich funktionierende Strukturen für eine spezialisierte Betreuung der Zuckerkranken zwischen Hausärzten und den spezialisierten Spitalsabteilungen etabliert werden. Menschen mit Diabetes wollten ihr Leben selbst in die Hand nehmen und ihre Erkrankung im Griff haben. Darum fordert ÖDG Präsidentin Kaser: „Nicht die Erkrankung darf den Alltag bestimmen, sie muss sich in den Alltag der Menschen integrieren lassen. Dafür ist genau darauf zu achten, dass auch der Zugang zu den medizinischen und technischen Innovationen für jeden Menschen mit Diabetes möglich ist.“ (red/APA)