Es wird Zeit, dass sich die Politik auch mit Taten schützend vor das Gesundheitspersonal stellt. Drohungen, wie sie jetzt eine Hausärztin zur Aufgabe ihrer Ordination zwingen, überschreiten Grenzen.
Wegen Morddrohungen via Internet hat eine Allgemeinmedizinerin in Oberösterreich ihre Ordination vorübergehend geschlossen. Wie sie auf ihrer Homepage mitteilt, sei sie seit mehr als sieben Monaten in unregelmäßigen Abständen Repressalien „aus der Covid-Maßnahmengegner- und Impfgegner-Szene“ ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft Wels hat im Juni das Ermittlungsverfahren gegen einen Verdächtigen eingestellt. Die Ärztin ging damit an die Öffentlichkeit, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Dass die Medien das mit der Nennung des Namens breittreten, ist ebenso problematisch, wie dass sich die Politik seit Monaten maximal zu Worthülsen hinreißen lässt. Ernsthafte Taten zum Schutz des Gesundheitspersonals fehlen weitgehend.
Achselzuckend und für den Moment betroffen nimmt man zur Kenntnis, wenn ein Gesundheitsminister aufgrund von Drohungen gegen die Familie zurücktritt, wenn gegen Bürgermeister vor deren Häusern protestiert wird, oder wenn Ärztekammerfunktionäre beschimpft werden und Demonstrationen die Arbeit in Krankenhäusern behindern. Vom Alltag des Gesundheitspersonals redet niemand mehr. „Es ist nicht tolerierbar, wenn eine Ärztin bedroht wird. Es ist noch weniger tolerierbar, wenn sich nun manche öffentlich hinstellen und meinen, sie sei selbst schuld an der Bedrohung, weil sie ihre Meinung gesagt hat“, sagt Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen, und kritisiert die Oberösterreichischen Behörden für ihre Untätigkeit. Er lehne jede Form der Verharmlosung und Schuldumkehr ab. „Es ist nicht die Schuld einer Medizinerin, dass sie bedroht wird, nur weil sie sagt, was sie denkt. Wer das so sieht, hilft genau jenen, von denen die Drohung ausgeht.“ Das allein greift aber zu kurz, es braucht glaubwürdigere Kritik.
Wichtig ist, dass man nicht die Sprache der Bedroher übernehmen und von Gräben in der Gesellschaft sprechen sollte. Es ist eine Minderheit. Es hat auch nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun, die vor allem jene immer ins Treffen führen, die mit Freiheit primär ihre eigene nennen. Freiheit bedeutet nicht, dass man tun kann, was man will. Sie endet im Kantschen Sinn dort, wo sie die Freiheit von anderen einschränkt. Oder wie es Rosa Luxemburg formulierte: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ Wenn also Impfgegner schon nicht über evidenzbasierte Wissenschaft diskutieren möchten, so sollten sie doch die Sprüche, die sie selbst vor sich hertragen auch im Umgang mit anderen leben.
In Pakistan sind laut dortigen Behördenvertretern am Dienstag übrigens drei Menschen bei einer Impfkampagne gegen das Poliovirus getötet worden. Bewaffnete Unbekannte töteten einen Impfhelfer und zwei Polizisten in Nordwasiristan nahe der Grenze zu Afghanistan. In der Grenzregion waren lange Zeit militante und islamistische Gruppen aktiv. Immer wieder werden dort Unterstützer der Impfkampagnen angegriffen. Vielleicht sollten wir auch beginnen darüber zu diskutieren, wie weit westliche Impfkritiker in der Art ihrer Kritik noch von religiösen Fundamentalisten entfernt sind.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Föderalismus gesundheitsschädigend ist und sich die Bundesländer in Gesundheitsfragen zunehmend als inkompetent erweisen. Es braucht endlich Transparenz über regionale Ausgaben, Erkrankungszahlen, Spitalsdaten und eine zentrale Steuerung. (rüm)