Die EU-Wahl rückt näher und auch das Thema Gesundheit ist mittlerweile aus dem europäischen Kontext längst nicht mehr wegzudenken. Relatus MED hat die Spitzenkandidat:innen der Parteien zu den drängendsten Herausforderungen befragt.
EU oder Nationalstaaten: Wer ist primär gefordert, wenn es darum geht, Medikamentenengpässe oder die Abhängigkeit bei der Produktion von Arzneimitteln zu verhindern? Es braucht beide Ansätze und Leadership auf beiden Ebenen. In Folge der Pandemie gibt es nun die Möglichkeit, dass mehrere Länder Medikamente gemeinsam einkaufen – bei bestimmten hochpreisigen Präparaten ist dies sicherlich von Vorteil. Bei Produktionsbedingungen oder der Preisgestaltung braucht es aber natürlich auch nationale Maßnahmen, da nicht alle Aspekte von der EU geregelt werden können. Wir begrüßen und unterstützen in diesem Zusammenhang gemeinsame Bemühungen für schnellere Zulassungen oder bessere Forschungsmöglichkeiten.
Konkreter gefragt: Welche drei Initiativen bräuchte es auf EU-Ebene zur Lösung der anhaltenden Lieferengpässe bei Medikamenten, unter denen sowohl Ärzt:innen als auch in der Folge Patient:innen leiden? Erstens: Bekämpfung des Arbeitskräftemangels – da es auch in der Pharmaindustrie in vielen Bereichen an Mitarbeiter:innen fehlt und Produktion und Auslieferung dadurch verzögert werden. Zweitens: Mehr Transparenz zwischen den Mitgliedstaaten. Viele Engpässe könnten durch einen besser geregelten, transparenteren Markt zwischen den Ländern wohl auch besser geregelt werden. Oft weiß man aber nicht einmal innerhalb eines Landes, wie viele Packungen von welchen Medikamenten wo vorhanden sind und gerade bei unerwartetem Mehrbedarf könnte so Abhilfe geschaffen werden. Drittens: An der Attraktivität des Forschungsstandortes arbeiten. Bestimmte Bereiche der Produktion werden in Europa nicht attraktiver werden können als in Billiglohnländern. Europa muss sich deshalb auf seine Kompetenzen konzentrieren und mit besten Forschungsbedingungen aus seinem Wissensvorsprung das nötige Kapital schöpfen, um pharmazeutische Unternehmen zu halten.
Bleiben wir beim Arbeitskräftemangel. In ganz Europa fehlt Gesundheitspersonal. Welche europäischen Ansätze zur Problemlösung sehen Sie? In der La Hulpe Deklaration haben sich fast alle Länder der Europäischen Union zu einer besseren Zusammenarbeit in Sozialsicherungsbereichen und damit auch Pflege und Gesundheit und in Hinblick auf Arbeitsbedingungen bekannt. Diese Zusammenarbeit sehen wir als wichtigen Kernpunkt, auch um gegenseitige Konkurrenz um Personal zu reduzieren. Im Vergleich zu anderen Ländern sehen wir in Österreich aber auch das Problem, dass unser Gesundheitssystem sehr arztzentriert ist. Das macht Österreich schon innerhalb der EU für Gesundheitspersonal unattraktiv, wir müssen also auch auf nationaler Ebene unbedingt an einer Modernisierung unserer Gesundheits- und Pflegelandschaft arbeiten, um den Personalmangel zu mildern.
Stichwort Modernisierung: Die Digitalisierung kann den einen nicht schnell genug gehen, die anderen fürchten um den Datenschutz. Wie stehen Sie zur Einführung des „European Health Data Space“ (EHDS)? NEOS hofft darauf, dass der EHDS eine bessere Nutzung von Gesundheitsdaten ermöglicht. Österreich nutzt hier immer noch viele Potenziale von ELGA nicht, durch die EU-weiten Bemühungen könnte es hier neuen Schwung geben. Ziel sollte es sein, dass Befunde tatsächlich leicht lesbar über ELGA vorhanden sind, Patient:innen auch wissen, welche Krankheiten sie haben, welche Medikamente sie vertragen und welche nicht – und idealerweise sollte bei chronischen Krankheiten der Krankheitsverlauf beobachtet werden können. Im niedergelassenen Bereich werden in Österreich überhaupt noch sehr wenige Daten erfasst und selbst die, die erfasst werden, werden nicht mit jenen aus dem Krankenhaussektor verknüpft. Das lässt Datenlücken für Patient:innen entstehen und wir hoffen, das der EHDS diese im Sinne der Patient:innen schließen wird. Für diejenigen, die eine Sekundärnutzung erlauben, erhoffen wir uns aber natürlich auch eine bessere Datenbasis für Gesundheitspolitik und Forschung.
Gesundheit fällt innerhalb der EU nach wie vor in nationale Zuständigkeiten. Soll sich das ändern? Im Gesundheitsbereich wird aktuell so viel wie noch nie auf EU-Ebene zusammengearbeitet und das ist gut so – wie bisherige Ergebnisse zeigen. Da Gesundheitssysteme in EU-Ländern aber so unterschiedlich funktionieren, müsste zuerst erhoben werden, in welchen Bereichen es überhaupt Sinn ergeben könnte. Ohne diese Information ist es wenig zielführend, über Zuständigkeitsänderungen zu diskutieren.
Soll es europäische Steuern geben, um soziale Systeme abzusichern? Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten an einer besseren Absicherung der Sozialsicherungssysteme, damit Personenfreizügigkeit nicht nur auf dem Papier existiert, sondern auch mit weniger bürokratischem Aufwand gelebt werden kann. Da die EU selbst kaum eigene Steuermittel hat, sind diese Arbeiten ein naheliegender und wichtiger Schritt zur Absicherung der Sozialsysteme und sehr zu begrüßen. (Das Interview führte Evelyn Holley-Spiess)