Das vorläufige Wegfallen der Corona-Ausgangsbeschränkungen ist für den Reise- und Tropenmediziner Herwig Kollaritsch „ein Sprung ins kalte Wasser“. Er fordert ein rasches und flächendeckendes System der Zurückverfolgung neuer Fälle.
„Wir gehen derzeit von einem sehr geringen Niveau bei der Zahl der Fälle aus. Ich glaube, dass wir mit dem Wegfallen der Ausgangsbeschränkungen am Beginn gar nicht sehr viel sehen werden. Das wird eine Zeit lang, wahrscheinlich mindestens ein Monat dauern. Es ist auf jeden Fall zu erwarten, dass die Zahl der Fälle wieder ansteigen wird“, sagte Kollaritsch im APA-Interview. Worauf es jetzt extrem ankomme, sei die sorgfältige Zurückverfolgung neu auftauchender SARS-CoV-2-Infektionen. „Wir brauchen dieses ganz schnelle Contact-Tracing, und das auf lokaler Ebene. Wir haben das nie gemacht. In Deutschland hat man ‚Corona-Scouts’ angedacht. In den USA will man 180.000 Personen dafür einsetze“, erklärte der Experte. Mit der Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen bräuchte man am besten Teams, die im Fall des Falles „blitzschnell“ die Infektionswege finden könnten, um die Kette zu unterbrechen. „Damit steht und fällt unser System.“
Österreich hätte ein gut organisiertes und föderal funktionierendes Gesundheitssystem. Das sei aber gut im Verwalten. Jetzt benötige man schnelles Handeln auf lokaler Ebene. Da Österreich in den vergangenen Jahrzehnten zum Glück nie von einer vergleichbaren Pandemie heimgesucht worden ist, hätte auch kein Bedarf nach Scouts für die Beherrschung von Krankheitsausbrüchen bestanden. In vielen regelmäßig von Seuchen betroffenen armen Staaten der Erde sind solche Vorkehrungen jedoch etwas ganz Normales.
Das stufenweise Vorgehen mit Lockerungen in Österreich hätte hier etwas Gutes, wie Kollaritsch betonte: „Ich bin aber überzeugt, dass wir das hinkriegen, weil wir von einem derzeit extrem niedrigen Niveau ausgehen.“ Zusätzlich würde es in den kommenden Wochen auch durch die laufenden Studien zunehmend mehr und bessere Informationen über die Dunkelziffer an SARS-CoV-2-Infektionen geben. Mitte Mai, Mitte Juni würden da härtere Daten aus laufenden Untersuchungen vorhanden sein. Entscheidend, so Kollaritsch, ist vor allem ein Aspekt: „Wir müssen die Zahl der Neuinfektionen so gering halten, dass wir mit dem Contact-Tracing nachkommen.“ Bei zu vielen Infektionen und zu langen Infektionsketten wird das unmöglich. „Es hatte schon seinen Grund, dass die Chinesen die Sperren erst aufgehoben haben, nachdem sie überhaupt keine Neuinfektionen mehr gehabt haben“, gibt der Experte zu bedenken. (APA)