ÖGK-Finanzloch als Hürde in Koalitionsverhandlungen

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Die Krise im Kassensystem spitzt sich nach Ansicht der Österreichischen Ärztekammer rasant zu. Sie warnt vor einer sozialpolitischen Zeitenwende und drängt die Koalitionsverhandler:innen zu Antworten.

Angesichts der Negativmeldungen rund um die Finanzen der Österreichischen Gesundheitskasse, die mehr als 900 Millionen Verlust für heuer erwartet, fürchtet die Ärztekammer Leistungseinschränkungen und noch längere Wartezeiten. Die Probleme in der niedergelassenen Gesundheitsversorgung stünden in den Koalitionsverhandlungen nicht oben auf der Agenda und drohten unter die Räder zu geraten. „Wir stehen heute vor einer sozialpolitischen Zeitenwende, wenn nicht schnell etwas Wirksames passiert. Jetzt die geeigneten gesundheitspolitischen Schritte zu setzen, halte ich für eine Bringschuld der künftigen Regierung“, sagte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, am Wochenende in Salzburg.

„Die Versorgungsdefizite in Österreich erfordern mutige Reformen in allen Leistungsbereichen unseres Gesundheitswesens. Prävention, Versorgungssteuerung, Entbürokratisierung, die Attraktivierung des Arztberufes in Kassenarztpraxen und Spitälern, und die langfristige Sicherung der Finanzierung gehören deshalb unbedingt in den politischen Fokus einer neuen Bundesregierung“, betonte der ÖÄK-Präsident. Steinhart fordert unter anderem mehr Geld für die Gesundheitsversorgung. „Dass Gesundheit immer teurer wird, ist unausweichlich und sollte niemanden überraschen: Die Bevölkerung wächst, die Menschen werden älter und damit betreuungsbedürftiger, moderne Diagnostik und Therapien werden nicht nur immer besser, sondern auch kostspieliger. Und nicht zuletzt befinden wir uns inmitten einer Wirtschaftskrise und wir wissen, dass der medizinische Versorgungsbedarf einer Bevölkerung in Krisenzeiten zunimmt“, erklärt Steinhart.

Zudem brauche es einen zügigen Ausbau des öffentlichen Bereichs. „Derzeit sind fast 300 Kassenarztpraxen unbesetzt, oft finden sich monate- oder sogar jahrelang keine Interessent:innen. Wir fordern deshalb zunächst einmal mindestens 1.000 zusätzliche Kassenarztpraxen, und eine spürbare Attraktivierung der Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeit, damit sich genügend Mediziner dazu bereit erklären, als Kassenärzte zu arbeiten.“ Und in den öffentlichen Spitälern müsse der Personalmangel zügig behoben werden. „Häufig monatelange Wartezeiten auf OP-Termine darf es einfach nicht mehr geben. Hier ist die Politik in die Pflicht zu nehmen.“

Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, zeigt sich alarmiert: „Eine finanzielle Absicherung der Österreichischen Gesundheitskasse ist zwar dringend notwendig, aber damit dürfen die Maßnahmen keinesfalls aufhören, das Grundsatzproblem bleibt sonst ungelöst. Ohne eine nachhaltige Reform der ÖGK sowie ohne Maßnahmen zur Attraktivierung der Kassenverträge allgemein ist die Gefahr hoch, dass nur Steuergeld für ein kurzfristiges Pflaster verschwendet wird. Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, gibt zu bedenken: „Anstatt die Kassenmedizin nachhaltig abzusichern, droht ein Qualitätsabbau, der voll zulasten der Versicherten ginge. Wie wir gehört haben, soll angeblich ein Gesetz für den einheitlichen Gesamtvertrag kommen, damit wäre die Selbstverwaltung ausgeschaltet. Die Ärzteschaft wird sich keinen Gesamtvertrag gesetzlich aufzwingen lassen.“ (rüm)