Angesichts der von der Österreichischen Gesundheitskasse erwarteten steigenden Verluste kündigt Generaldirektor Bernhard Wurzer einen „Konsolidierungspfad“ an. Kürzen wolle man bei künftigen Honorarverträgen für Ärzte und andere Leistungsanbieter.
Als „illusorisch und patientenfeindlich gleichermaßen“ bezeichnete am Donnerstag abend Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, den Vorstoß des Generaldirektors der Österreichischen Gesundheitskasse, Bernhard Wurzer, zukünftig Kürzungen bei den Ärztehonoraren vornehmen zu wollen. Wurzer hatte zu den erwarteten hohen Verlusten der ÖGK in den kommenden Jahren (RELATUS berichtete bereits am 26.1.) erklärt, man werde jetzt versuchen, „das Ruder herumzureißen.“ Man werde ausgabenseitig „den Gürtel enger schnallen“ müssen, sagte Wurzer. Bei künftigen Honorarverträgen werde die Steigerung nicht über den Beitragseinnahmen liegen können, stellte der Generaldirektor in Aussicht. Kürzen wolle man nicht bei den Leistungen für die Versicherten, sondern bei künftigen Honorarverträgen für Ärzte und andere Leistungsanbieter.
Damit würde es zu einer Schwächung des extramuralen Bereichs kommen, die „direkt zulasten der Patienten“ ginge, reagierte Steinhart prompt. Keinesfalls werde die Ärzteschaft die Mehrkosten, die durch die Fusionierung der Krankenkassen entstanden sind, durch willkürliche Honorar- und Leistungskürzungen hinnehmen. Die soziale Krankenversicherung habe den Auftrag, eine bestmögliche Versorgung ihrer Versicherten sicherzustellen. „Wenn dies mit den Beitragseinnahmen nicht gelingt, dann muss ein Einvernehmen mit der Politik hergestellt werden, um die Krankenkassen mit ausreichenden finanziellen Mitteln zu versorgen“, betonte Steinhart. Leistungsanbietern wie der Ärzteschaft ein Spar- und damit auch ein Leistungskorsett umzubinden, sei jedenfalls der falsche Weg.
Wurzer hatte erklärt, beim geplanten Gesamtvertrag mit den Ärzten werde nicht alles nach oben harmonisiert werden können. Neben der schwächer werdenden Konjunktur machte Wurzer als Ursache für die Entwicklung aus, dass die Kassen vor der Fusionierung „in den letzten zwei Jahren über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten. So hätten einzelne Gebietskrankenkassen vor der Zusammenlegung überdurchschnittliche Verträge mit einer Steigerung von bis zu elf Prozent bei den Ärztehonoraren abgeschlossen. Die Aufwendungen für die ärztliche Hilfe seien von 2017 bis 2019 um durchschnittlich 5,9 Prozent pro Jahr gestiegen. Dies bedeute Mehrausgaben von rund 300 Millionen Euro, die aber jetzt „mitgeschleppt“ würden. Ein Teil der versprochenen Milliarde an Einsparungen sei „da schon drinnen“, sagte Wurzer. Außerdem verwies der ÖGK-Generaldirektor darauf, dass noch vor der Zusammenlegung in den Satzungen Leistungsharmonisierungen beschlossen wurden. Diese machen auch rund 20 Millionen Euro pro Jahr oder 100 Millionen Euro zusammengerechnet in den nächsten fünf Jahren aus. „Einige Kassen haben ihren Anteil an der Patientenmilliarde schon vor der Fusion ausgegeben“, resümierte Wurzer. Entgegen der von der türkis-blauen Regierung angekündigten Einsparungen für eine „Patientenmilliarde“ durch die Kassen-Fusion erwartet die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) in den nächsten Jahren steigende Defizite. Laut der Gebarungsvorschau wird bis zum Jahr 2024 der Verlust auf 544 Millionen Euro steigen. 2018 hatten die neun Gebietskrankenkassen noch einen Überschuss von 75 Millionen Euro erreicht.
Rückendeckung bekam Wurzer wenig überraschend von der Wirtschaftskammer: Die Verluste würden vor allem aus Zeiten vor der Fusion resultieren. Sie würden zeigen, dass die Reform der Sozialversicherungen „dringend notwendig war“, sagte der Abteilungsleiter für Sozialpolitik und Gesundheit, Rolf Gleißner, in einer Aussendung. Die Opposition hingegen tobt. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bezeichnete die Zahlen der ÖGK mit einem prognostizierten Gesamtverlust von 1,7 Milliarden Euro bis 2024 als „dramatisch“. „Die Zerschlagung der Sozialversicherung durch Schwarz-Blau ist ein riesiges finanzielles Desaster und ein gesundheitspolitischer Skandal zulasten der Menschen.“ Rendi-Wagner befürchtet nun drohende Beitragserhöhungen, Selbstbehalte und Leistungskürzungen für die Patienten. Der Arbeitnehmerobmann in der ÖGK, Andreas Huss, forderte „einen finanziellen Ausgleich von der Regierung und den anderen Kassen, damit die Arbeitgebervertreter den Schwarzen Peter nicht den Versicherten zuschieben.“ (APA/rüm)
zum RELATUS-Artikel vom 26.1.: ÖGK: 600 Millionen fehlen in den nächsten drei Jahren